Tagebuch einer Songschreiberin

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"Sei aufgeschlossen und höre es an einem ruhigen Ort. Lass dich mitnehmen. Höre es von Anfang bis zum Ende. Ich hoffe, du lernst ein bisschen über mich oder vielleicht auch über dich. Wir alle versuchen das [Leben] zu verstehen oder brauchen auch mal eine Pause davon. Lasst mich euch dabei helfen." (Lanie Gardner / sweetyhigh.com, 25. Oktober 2024)

Hab' an dich gedacht

"Eure Reaktion auf den Song 'Thought About You' hat mich und mein Team unglaublich berührt ... Musik hat so eine Magie. Sie berührt unsere Herzen und Gefühle, wie nichts anderes. Danke an alle, die ihre Geschichten über Liebe und Verluste geteilt haben. Mit dem heutigen Tag machen wir zu unserer neuen Single!"
(Tim McGraw / twitter, 23. Jänner 2019)

Tim McGraw ist die letzten beiden Jahre alles andere als untätig gewesen. So hat er unter anderem das erste Duett-Album mit seiner Frau Faith Hill veröffentlicht, bestritt mit ihr die ausverkaufte Soul2Soul Konzert-Tour, hat vom Sender Showtime ein TV-Special darüber produzieren lassen, hat mit TRUMAV eine eigene Fitness-Center Kette ins Leben gerufen und einen Song für den Film "Free Solo" geschrieben, der für den Oscar zum besten Dokumentarfilm des Jahres 2019 nominiert ist.

Lediglich in den Charts war er in den letzten beiden Jahren wenig vertreten. 2016 hatte er mit 'How I'll Always Be' aus seinem letzten Studio-Album "Damn Country Music" seinen vorerst letzten Top-5 Hit in den Radio (Billboard Country Airplay) Charts. Die Singles aus dem Nachfolgeprojekt mit Faith Hill konnten den Erwartungen unverständlicherweise nicht gerecht werden. Lediglich 2 Songs wurden veröffentlicht, aber beide errichten die Top-15 nicht.

So meldete sich Tim McGraw im Herbst 2018 mit neuer Musik zurück. 'Neon Church' sollte die große Lead-Single für das kommende Album sein. Die geschickt-riskante textliche Verknüpfung von Kirche und Herzschmerz mit Alkohol schien wie geschaffen, für einen Country Hit. Shane Drake produzierte ein spielerisch, farbenfrohes Video zum Song, das Rolling Stone Country als Hommage an den Wim Wenders Film "Der Himmel über Berlin / Wings of Desire" aus dem Jahr 1987 bezeichnete. Aber nach 15 Wochen in den Radio Charts war der Song enttäuschenderweise nicht über Platz 20 hinausgekommen.



Gemeinsam mit 'Neon Church' hatte Tim McGraw einen zweiten Song veröffentlicht, der fast unbeachtet blieb. Es war gewissermaßen die B-Seite der Single, deren A-Seite vom Label promotet wurde. Dieser Song trägt den Titel 'Thought About You' und Tim McGraw betont, dass er keineswegs als minderwertig zu sehen ist. Auf den ersten Blick ist es ein Lied über Erinnerungen an eine verlorene, offenbar langjährige Beziehung, die den Protagonisten nicht loslassen.


Aber auf den zweiten Blick lässt sich darin so viel mehr finden. "Das großartige an dem Song ist, dass er für jeden, der ihn hört, etwas oder jemanden anderen in Erinnerung ruft. Das kann eine verflossene Liebe sein, die man gestern gesehen hat oder ein Freund, mit dem man seit Jahren nicht mehr gesprochen hat oder jemand, von dem man weiß, dass man ihn nie wieder sehen wird", rückt Tim McGraw die tiefere Bedeutung des Liedes ins rechte Licht.

Damit scheint er die Menschen mehr zu berühren, als man zuerst glauben wollte. Denn schließlich hatte Sony Music Nashville ja nicht auf diesen Song als neue Single gesetzt, sondern auf 'Neon Church'. So registrierte man mit etwas Überraschung, dass 'Thought About You' ohne aktive Promotion beinahe so oft gestreamt wurde, wie 'Neon Church'. Als die offizielle Single dann in den Charts kaum mehr Tendenzen nach oben auswies, beschloss man, ein Lyric-Video zu 'Thought About You' zu produzieren.

Produzent JP Robinson entwickelte dafür gemeinsam mit Tim McGraw ein Thema, in dessen Zentrum Fotos (unter anderem auch aus dem Familienalbum von Tim McGraw) und die damit verknüpften Geschichten über Liebe, Freundschaft und Verlust stehen. Am 10. Jänner 2019 wurde das Video auf youtube veröffentlicht und Tim McGraw begann in den darauf folgenden Tagen auf Twitter die Geschichten zu Fotos aus dem Video zu erzählen.

So ist da zum Beispiel Scott, der langjährige Freund des Produzenten, der zu früh an Krebs verstarb oder Sam, die beide Eltern viel zu früh verloren hatte. Geblieben ist ihr als Erinnerung ein Bild von Mary und Charley in einem roten Heißluftballon. Eine Erinnerung, die sich in der letzten Textstrophe des Liedes wiederfindet:
Ich sah einen roten Ballon, er ist jemandem davongeflogen.
Ich sah wie er langsam im Himmel kleiner wurde
und für einen Moment oder zwei,
dachte ich an euch.

Ein Bilderbuch-Konzept, wie man das Publikum in das Erleben eines Liedes einbindet und es dabei den Song mit eigenen Erinnerungen emotional verbinden lässt. So wird aus einem kleinen Lied über Erinnerungen ein großes Thema, das jeden von uns zu berühren im Stande ist.
Ich dachte an Lieder, die uns trösten und aufmuntern.
Ich dachte über Glauben und Vertrauen nach, die alles zusammenhalten.
Ich dachte ans Jetzt und an die Ewigkeit.

Auf Twitter ermutigte Tim McGraw die Menschen, persönliche Geschichten über Liebe und Verluste unter mit der Welt zu teilen. So schreibt etwa Emily English: "Ich liebe dieses Lied! Es lässt mich an meine Eltern denken, die nicht mehr da sind. Vielen Dank für deine Musik." Melissa schreibt: "Deine Lieder erzählen die Geschichten meines Lebens. Ich könnte irgendein Lied nennen und es bringt mich zurück zu einem Moment, der mich zum Lachen oder zum Weinen gebracht hat. Danke."

"Wir brauchen Lieder wie dieses im Radio!", schrieb Songwriter City voller Begeisterung über den von Brad & Brett Warren (The Warren Brothers) und Lee Thomas Miller geschriebenen Song. Dort ist es zwar noch nicht zu hören, aber auf Spotify hat 'Thought About You' mit 5,6 Mio. Streams 'Neon Church' bereits überholt. Und für viele Menschen ist es schon zum Hit geworden, ohne noch in den Charts aufgetaucht zu sein. Am Ende muss gute Musik genau so sein. Denn dann ist sie auch für den Künstler langfristig so viel erfüllender, als ein schneller kommerzieller Erfolg in den Charts, der morgen wieder vergessen ist.

Mit diesem Song knüpft Tim McGraw an die großen Hits seiner Karriere an (wie 'Live Like You Were Dying' oder 'Humble and Kind'), in denen er zeitlose Themen aufgreift, die größer sind, als wir alle, weil sie nicht nur jeden von uns betreffen, sondern auch klar machen, dass wir alle dem Wandel der Zeit und dem damit verknüpften Schicksal ausgeliefert sind. Am Ende verbindet uns das alle miteinander und macht uns erst menschlich. Und alleine dafür muss man Tim McGraw dankbar sein.


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