2024: an der Kreuzung von Pop und Country

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"2024 demonstrierten Pop-Künstler ihr Liebe für Country Music, und die Wählerschaft der Grammy Awards honorierte das. Pop und R&B Stars dominierten die Country Grammy Nominierungen, darunter Beyoncé, die als einzige Künstlerin eine Nominierung in allen 4 Country Kategorien erhielt." (Melinda Newman / billboard.com, 8. November 2024)

Gefühl von Stolz

"Bei den letzten Projekten hatte ich immer das Radio im Hinterkopf. Heute ist Radio das letzte, an das ich denke. Das hat es mir möglich gemacht, mich auf persönliche Erfahrungen und Emotionen zu konzentrieren, ohne mir Gedanken machen zu müssen, ob es eine Chance im Radio hat. Das macht die Musik für mich so viel authentischer. Und sie ist auf das Wesentliche reduziert. In der Endversion ist es nur meine Gitarre und ich."
(Gary Morris / digitaljournal.com, 4. September 2018)

Die Tenor-Stimme von Gary Morris ist unverkennbar. Wenig verwunderlich, brachte sie ihm doch die Hauptrolle im Musical "Les Miserables" am Broadway in New York ein. Es war der Winter 1987/88 und Gary Morris wollte sich die Chance nicht entgehen lassen.

Ob das der Grund war oder ob einfach die Zeit gekommen war - aber genau zu dem Zeitpunkt riss seine Hit-Serie in den Country Charts ab. Seit Beginn der 1980er Jahre hatte er 5 Nummer-1 Hits und 16 Top-10 Singles erzielt. Und seine Version von 'Wind Beneath My Wings' brachte ihm 1983 die Auszeichnung für den Song des Jahres sowohl von der ACM (Academy of Country Music) als auch der CMA (Country Music Association) ein. Fünf Jahre bevor Bette Middler einen Welthit damit hatte.

Stilistisch war Gary Morris immer jemand, der moderner Studiotechnik nicht abgeneigt war, sondern sie vielmehr geschickt nutzte, um seine Stimme noch stärker leuchten zu lassen. So singt er über spherischen Synthesizer-Klängen a-capella von gespenstischen Erinnerungen auf der 'South December Road' und nutzt ihre Dramatik um die Verzweiflung in 'Heaven's Hell Without You' zu zerschmettern. Dass seine Stimme aber keine Studiotechnik braucht, zeigte er bereits 1986 mit dem quasi-unplugged Album "Plain Brown Wrapper", auf dem er unter anderem mit dem Hank Williams Klassiker 'I'm So Lonesome I Could Cry' zeigt, welche Emotionen seine Stimme zu transportieren vermag. Wie auch beim ultimativen Liebesbekenntnis 'Bread and Water' vom späteren Album "Stones".



Das ist auch der Weg, den er in den letzten Jahren beschritten hat. Längst ohne Major Label Plattenvertrag, nimmt er sich die Zeit nach Lust und Laune neue Musik zu veröffentlichen. Im Mittelpunkt steht dabei seine Stimme, das Liedmaterial und manchmal auch nur eine Gitarre, wie er es auf seinen beiden eindrucksvollen Live Alben aus den Jahren 1995 und 2003 demonstrierte. Wieder moderner produziert war sein bisher letztes Studio-Album "Single Man" aus dem Jahr 2013. Ein hörenswertes Projekt, das viel zu wenig bekannt ist.

2018 wurde Gary Morris unbegreifliche 70 Jahre alt. Zum Glück kein Hinderniss, neue Musik zu veröffentlichen. So positiv es sein mag, sich nicht an Industrievorgaben halten zu müssen, so nachteilig ist es, wenn neue Projekte dafür dann viel zu oft unentdeckt bleiben. So war es auch mit dem 13. Studio Album von Gary Morris, das bereits am 9. September 2018 erschienen ist. Es trägt den Titel "Sense of Pride" und beinhaltet 9 bisher unveröffentlichte Songs.



"Es ist mein persönlichstes Werk", betont Gary Morris, der bei 8 Songs davon selbst mitgeschrieben hat. "Dieses Projekt beinhaltet meine Sicht auf das Leben und die Welt." Entstanden wäre es nicht ohne die Unterstützung der Familie Bonagura, die in den 1980er Jahren unter dem Gruppennamen Baillie & The Boys bekannt waren. Während Michael Bonagura gemeinsam mit Gary Morris die Produktion des Albums übernahm, sang Kathie Baillie auf 2 Titeln selbst mit. Und zuguterletzt, ist auch noch die Stimme ihrer Tochter Alyssa zu hören, die inzwischen selbst Teil eines neuen Duos ist (The Sisterhood Band, gemeinsam mit Ruby Stewart, der Tochter von Rod Stewart).

"Michael, Kathi und Alyssa sind nun so etwas wie meine erweiterte Familie", lächelt Gary Morris. "Ich habe praktisch während des gesamten Projekts mit ihnen zusammengelebt. Michael hat zugehört. Michael hat gespielt. Gemeinsam haben wir meine Vorstellungen umgesetzt. Kathi hat ebenfalls zugehört und ihre Stimme dazu beigetragen. Und dann ist da noch Alyssa, vielleicht die begabteste Künstlerin, die ich kenne. Ihre Stimme ist die reinste Seide."

Titelgebend für das Album ist ein Lied über die Eltern von Gary Morris: 'Sense of Pride'. Es erzählt von einem Orden in einer vergessenen Lade, in einem vergessenen Zimmer, der seinem Vater gehört hatte. Als Master Sgt. Stanley Morris war er im zweiten Weltkrieg in Europa und das Lied erzählt in einfühlsamer Weise davon, und von seiner Mutter. Es verklingt mit der Erkenntnis über Sinn und Vergänglichkeit im Leben:
Wir müssen lernen, gütig zu sein,
solange wir noch Zeit dafür haben.

Gemeinsam mit Jeff Rea ist 'I'm in Church' entstanden. Darin geht es nicht um eine weltliche Kirche, sondern vielmehr um die befreiende Erkenntnis, dass das wahre Gotteshaus sich in der Natur finden lässt. Denn als Besitzer einer Ranch in Colorado weiß er seine Zuversicht in der Schönheit der Jahreszeiten zu finden. "Ich habe schon lange geglaubt, dass Gott nicht in einer Kirche wohnt. Wenn ich in der Natur bin, fühle ich mich Gott nahe durch die Natur."



Auch 'Paint Me a River' ist ein Liebeslied voller Metaphern aus der Natur. Alyssa Bonagura begleitet ihn bei der zerbrechlich-sehnsuchtsvollen Ballade 'Where Were You'. Kathie Baillie singt mit ihm über 'The Moment' und auf dem einzigen Uptempo-Song des Albums, dem Percussion-getriebenen 'In My Dreams'.

Co-Produzent Michael Bonagura schwärmt über das Projekt: "Die Arbeit mit Gary war so eine kreative Reise zu unseren innersten Emotionen. Gary wusste genau, welchen Sound er haben wollte und mich hat diese Magie sofort mitgenommen. Das Ergebnis klingt altvertraut und gleichzeitig modern. Es ist zu einem meiner liebsten Projekte seit langem geworden."

Trotzdem bleibt bei Gary Morris Ernüchterung über die Entwicklung, die er in der Musikindustrie von heute wahrnimmt. "Zwar nutze ich gerne moderne Technologie, aber dass heute ein Programmierer mehr wert ist als ein Musiker, das ärgert mich sehr. Ganze Platten werden programmiert, ohne dass man einen Musiker sieht. Selbst Live-Konzerte nutzen technische Hilfsmittel. Wie wäre das, wenn man bei einem klassischen Konzert nur einen Geiger vorfinden würde und das restliche Orchester kommt vom Computer? Die Zeiten haben sich sehr geändert."

"Sense of Pride" ist ein höchst gelungenes Projekt. Wer Gary Morris kennt, wird sich abgeholt fühlen und feststellen, dass seine Stimme kaum gealtert ist. Im Radio wird man seine Musik wohl kaum hören. Aber das ist auch gut so. Denn man sollte sich Zeit dafür nehmen - und sich einfach nur mitnehmen lassen!

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