Stein Papier Schere

"Wie selten entdeckt man einen Künstler, der sich zwischen Rock Riffs und akustischen Balladen bewegen kann, ohne sich selbst dabei zu verlieren. Brett [Shiroky] schafft das mit einem Sound, der sich sowohl klassisch und neu, ein bisschen Zeppelin, ein bisschen 90'er Country, und nach ganz viel Soul anfühlt."
(Nick Tressler / raisedrowdy.com, 28. April 2025)

Mit über 10.000 Seiten gilt "Das Rad der Zeit" nicht nur als das umfangreichste Werk der Fantasy-Literatur, sondern auch als eines der gesamten Literaturgeschichte. So umfangreich, dass es bereits 12 Bände umfasste, als sein Autor Robert Jordan noch vor Vollendung des Werkes 2007 im Alter von nur 58 Jahren verstarb. Da er jedoch noch vor seinem Tod den Inhalt des abschließenden 13. Bandes skizziert hatte, beauftragte seine Witwe den Autor Brandon Sanderson mit der Umsetzung und Vollendung von "Rad der Zeit".

2009 gründeten 3 junge Amerikaner ein Start-Up Unternehmen, das als Finanzierungsplattform für die kommerzielle Umsetzung kreativer Ideen dienen sollte. Die investierten Gelder für diese Projekte sollten dabei aus der breiten Öffentlichkeit kommen. Sie nannten das Unternehmen Kickstarter und wurden damit Begründer und Vorreiter für das sogenannte Crowd-Funding Konzept. Sie konnten über das Unternehmen bis heute über 7 Milliarden US Dollar an Finanzierungsgeldern für tatsächlich umgesetzte Projekte lukrieren.

Ganz oben auf der Liste der finanziell größten und erfolgreich bei Kickstarter eingereichten Kampagnen steht überraschenderweise ein Buch-Projekt. Fast genau 10 Jahre nachdem Brandon Sanderson das Werk von Robert Jordan ("Das Rad der Zeit") 2013 mit 3 weiteren Bänden vollendet hatte, half ihm die nicht zuletzt dadurch gewonnene Popularität dabei, über Kickstarter knapp 42 Mio. US Dollar für die Veröffentlichlung von 4 neuen Büchern  ("Secret Projects", 2023) zu generieren. Obwohl der ursprünglich von ihm ausgeschriebene Betrag nur bei knapp 1 Mio. US Dollar gelegen hatte.

Geradezu bescheiden nimmt sich dagegen die 2023 von Brett Sheroky bei Kickstarter eingereichte Kampagne aus, die dieser mit den Worten zusammenfasste:  "Ich bin seit [2009] in Nashville und schreibe Songs für andere Interpreten. Mit eurer Hilfe möchte ich gerne mein eigenes Album machen."

"Mein Ziel ist es, über Kickstarter $30.000 zu lukrieren, um ein Album aufnehmen, mixen, mastern, pressen, verteilen und promoten zu können. [Denn] über die Jahre, die ich in Nashville bin, ... habe ich immer wieder versucht, durch das Schreiben von Songs für andere Künstler genug Geld zu verdienen, um meine eigene Karriere zu unterstützen. Aber es war nie genug, um mehr als nur da und dort einen Song zu veröffentlichen." 

Nicht zuletzt durch eine überstandene Herz-Operation motiviert, entschied der aus Illinois stammende Songschreiber daher endlich die konkrete Umsetzung seines Traums anzugehen. 

32.813 US Dollar erbrachte die Kickstarter Kampagne am Ende und erlaubte es damit dem aus Illinois stammenden Brett Sheroky ins Studio zu gehen und sein offizielles Debüt-Album aufzunehmen. Knapp ein Jahr nach dem ursprünglich anvisierten Veröffentlichungsdatum -am 18. April 2025- ist es dann auch erschienen: völlig eigenständig produziert und als Songschreiber natürlich an allen Liedern beteiligt.

Das Album trägt den Titel "Rock Paper Scissors" und beinhaltet stolze 15 Titel. Eine Handvoll davon waren über die Jahre zuvor (seit 2021) bereits veröffentlicht worden, aber als stimmiges Gesamtwerk liegen sie nun alle erstmals vor. Und das Ergebnis begeistert nicht nur durch eingängige Melodien und abwechslungsreich-moderne Produktion, sondern ganz besonders durch die Texte und Themen der Songs.

Im The Raised Rowdy Podacst spricht Brett Sheroky unter anderem über die Bedeutung des Album-Titels: "Ich wollte nie jemand sein, der sich für eine einzige Stilrichtung entscheidet. Auch wenn man mir sagte, du kannst [Country] Rock machen, oder kommerziellen Country oder der traurige Singer-Songwriter sein, aber du kannst nicht alles sein. [Genau deshalb] sind die ersten 5 Songs Rock-orientiert, die nächsten 5 sind kommerzieller, sehen also am Papier gut aus, während die letzten 5 für den einfühlsamen Songwriter stehen, die weh tun können, wie eine Schere, an der man sich verletzen kann."

Schon dabei zeigt sich die Begabung von Brett Sheroky, den Zuhörer mit sorgfältig gewählten Worten an der Hand zu nehmen und ihn dann an einem unerwarteten Ziel ankommen zu lassen. Erst dann ist es die Magie der Sprache, wenn sie es uns ermöglicht, mehr als eine Bedeutungen zu erkennen. 

Die Klammer um diese 3 Kapitel bilden der erste und der letzte Song auf dem Album, aus denen sowohl Frustration über die Musikindustrie, als auch persönliche Glaubenssätze sprechen. So liest sich der Text zum rockigen 'Killin It' wie ein nachdenkliches Editorial über die Erfahrungen im Musikgeschäft.

Sie geben mir das Gefühl der König zu sein,
nur weil ich einen Song im Radio habe, dabei wissen sie nicht,
dass ich immer noch nicht genug zum Leben habe.
Ich bemühe mich, die Songs die ich schreibe, besser zu machen,
[aber] sie wollen, dass ich  mich auf die Sozialen Medien konzentriere, es gehe nur um die Zahlen.
 
Ich möchte gewinnen, aber Trends hinterherzujagen ist nicht mein Weg,
auch wenn mich das direkt ins Grab führt.
Lass sie sagen,
dass ich großartig bin, aber ich weiß nicht,
lebe ich einen Albtraum oder wirklich schon den Traum?
(Killin It / Brett Shiroky, Cassidy Lynn, Daniel Stephen Wilson)

Klanglich anders verarbeitet Brett Sheroky das Thema im ruhigen 'Sold Out Show', ohne dabei die Botschaft weniger eindringlich zu vermitteln oder auf überraschende Wortwendungen zu verzichten. 

Ich bin bekannt dafür,
unbekannt zu sein.
Nein, ich jage nicht dem hinterher, was im Radio gespielt wird.
Deshalb sagen sie, mache ich es falsch.
 
Aber sollte ich jemals auf der große Bühne spielen,
und sie bis zum letzten Platz füllen,
dann verdammt nochmal nicht, indem ich meine Seele verkaufe.
Ich werde mich nie verkaufen, [auch nicht] in einer ausverkauften Show.
(Sold Out Show / Andrew Peebles, Brett Sheroky, Andrew Wills)
 
Mit dem pulsierenden 'Everybody Wants' stellt Brett Sheroky fest, dass jeder erfolgreich, anerkannt und berühmt sein will, aber dass niemand dafür arbeiten möchte. In Zeiten von Sozialen Medien ein mehr als allgegenwärtiges Thema.
 
Das bereits 2021 veröffentlichte, gitarrenlastige 'Good Thing Going' bekommt man nicht mehr so ohne weiteres aus dem Kopf. Der Song über das unerwünschte Ende einer Beziehung konzentriert sich auf das clevere Wortspiel: ich hatte eine gute Sache am Laufen, jetzt läuft die gute Sache fort.
 
 
Ähnlich funktioniert 'Last Thing I Need'. Ausgelöst durch Alkohol, sehnt er sich zuallererst nach ihr, weiß aber, dass sie ihm nicht gut tut und eigentlich das Letzte ist, was er wirklich braucht. In 'Move On Fast' hat sie ihn verlassen und als er sie mit jemandem Neuen sieht, quält ihn die Frage: bist du so schnell darüber hinweg oder braucht es bei mir nur so lange?
 
Auch das Radio-taugliche '4 Goodyears' ist bereits 2021 erschienen und nimmt sich eines beliebten Themas an: Erinnerungen an eine unbeschwerte Sommer-Jugendliebe. 
Ich wünschte ich könnte zurück
durch den Rückspiegel,
zu diesen 3 guten Monaten
auf diesen 4 Goodyear [Reifen].
(4 Goodyear / Andrew Peebles, Bret Sheroky, Daniel Wilson)
 
Im Ohrwurm 'Know When Situation' geht es um die Erkenntnis, dass man zwar immer hinterher erst klüger ist, man aber trotzdem vorher schon Entscheidungen treffen muss. Entscheidungen, die manchmal auch bittere Erkenntnisse beinhalten. Ein schwieriges Thema, über das die musikalische Umsetzung wohl ein wenig hinweghelfen soll.
 
 
Während 'Ain't No Thing' vom Nichtstun handelt, damit aber eine harmonische Beziehung umschreibt, schwingt die Melancholie über eine verflossene Beziehung durch 'Every Now And Then' - mit perfekt beschriebenen Wahrnehmungen, die alle Sinne ansprechen.
 
Ich denke nicht immer daran,
wie der Sommerregen auf dem Asphalt gerochen hat,
oder wie es sich angefühlt hat, mit bloßen Füßen unters Dach zu flüchten,
oder wie es schmeckte, als du mich geküsst hast.
(Every Now And Then / Andrew Peebles, Brett Sheroky, Phil Vassar) 
 
Der ernste Teil des Albums beginnt mit der Ballade 'Life Ain't Always Pretty', die uns gleich in der ersten Strophe zu einem Begräbnis führt und deren Text voller Lebenserfahrungen und -weisheiten steckt. Und die trotzdem versucht, den hoffnungsvollen Regenbogen zwischen den Unwettern des Lebens zu finden.
 
Du musst das halbleer kennengelernt haben,
um das halbvoll zu erkennen.
Nein, das Leben ist nicht immer nett,
aber ist es nicht [trotzdem] schön?
(Life Ain't Always Pretty / Aaron Reitiere, Brett Sheroky, Brent Rupard)
 
 
Für einen Kloß im Hals sorgt 'How To Remember You', das der Erinnerung an seinen Vater gewidmet ist. Eine Erinnerung, die immer mehr verblasst, wäre da nicht diese alte Maxell VHS-Kasette von Weihnachten 1988. Fast naheliegend, verarbeitet der Song auch kurz die Original-Stimme des Vaters, lässt uns aber mit der Frage zurück: wie gehen wir mit Erinnerungen im Laufe der Zeit um?
 
Es war so, dass ich dein Gesicht sehen konnte,
wann immer ich die Augen schloss.
Konnte deine Stimme durch jeden Lärm hören,
deine Hand in meiner spüren.
 
Ich hätte nie gedacht, als ich dich verlor,
dass ich noch mehr verlieren könnte.
Aber deine Erinnerung ist fast verblasst
und ich vergesse, mich an dich zu erinnern.
(How To Remember You / Brett Sheroky, Andrew Peebles)
 
'Sometimes It Does' will Mut machen, dass es im Leben mit all seinen Hindernissen nicht das eine Ziel gibt, sondern vielmehr der Weg das Ziel ist. 
Nur weil es noch nicht gemacht wurde, heißt nicht, dass es nicht gemacht werden kann.
Diese eine Chance in einer Million kann schon ausreichen.
Es sind die Schwierigkeiten an die man sich erinnert,
ja das Leben kann ein Kampf sein, aber es ist den Kampf wert.
(Sometimes It Does / Brett Sheroky, Neil Mason, Preston James)
 
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Nicht nur unerwartet intensiv, sondern auch thematisch unerwartet präsentiert sich schließlich der Song 'Bring You Home'. Denn dort, wo man aus dem Titel vielleicht die Gedanken an einen Soldaten vermuten würde, geht es um eine Fehlgeburt. So beschreibt der Text die Vorfreude, die Vorbereitungen und die Träume über das neue Leben. Aber am Ende bleibt nur der Versuch, mit der Magie der Sprache wenigstens tröstende Worte zu finden: wir konnten es nicht erwarten, dich nach Hause zu bringen, aber Gott hat uns überholt.

Mit "Rock Paper Scissors" liefert der unbekannte Brett Sheroky bereits jetzt eines der eindrucksvollsten Alben des Jahres. Ob er auch die kommerzielle Anerkennung dafür bekommt, ist wohl bedauerlicherweise angesichts des Fehlens eines großen Labels fraglich. Aber es hat ihm jedenfalls erlaubt, nicht nur ein beeindruckendes musikalisches Werk zu schaffen, sondern auch das zu tun, was er bei Kickstarter als seine Motivation für das Album beschrieben hat:

"Country Interpreten haben begonnen, nur noch über Freitag Abend und Samstag Nacht zu singen. Sie haben aufgehört über die Tage von Sonntag bis Donnerstag zu singen. Nun ja, das Leben ist aber nicht nur eine Party am Wochenende. Mir fehlen Lieder über das echte Leben und die echten Dinge, aus denen es besteht."


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