2024: an der Kreuzung von Pop und Country
Immer noch gelten die seit 1959 von der Recording Academy verliehenen Grammy Awards als die weltweit höchste Auszeichnung im Musikgeschäft. Aber schon seit Jahren wird diese wiederholt für ihre Entscheidungen kritisiert. So äußerte sich etwa Rap-Superstar Drake bei seiner Preisverleihung 2019 mit den Worten: "All ihr großartigen Künstler, vergesst nie, dass diese Show hier keine Fakten demonstriert, sondern lediglich die Meinung einer Gruppe von Leuten ist, deren Name geheim gehalten wird."
Die Recording Academy wurde 1957 in Los Angeles mit der Zielsetzung
gegründet, außergewöhnliche Leistungen in der Aufnahme-Industrie
auszuzeichnen, und damit die Beständigkeit und die Bedeutung von Musik in
unserer Kultur zu unterstützen. Ihre inzwischen über 12.000 Mitglieder sind
alle in der Musikbranche tätig und machen die Grammy Awards damit zum
einzigen Musikpreis, der quasi nur von Insidern vergeben wird.
Da eine Mitgliedschaft aber nur über Empfehlung eines bereits registrierten Mitglieds möglich ist, hat die Anerkennung populärer Musikentwicklungen eine entsprechend lange Nachlaufzeit. Speziell Kritik an der fehlenden Anerkennung weiblicher Künstler oder etwa des Rap-Genres waren in den vergangenen Jahren besonders laut geworden. Auch das aus den Südstaaten und Mittelwesten kommende Country Genre hat bekannterweise nur wenige Fürsprecher in einer Organisation, die ihren Anfang in einer Großstadt an der Westküste genommen hat.
All das führte dazu, dass Künstler wie Drake die Grammy Awards sogar boykottierten. 2021 verkündete auch der kanadische R&B Star The Weeknd: "Die Grammies bleiben korrupt. Weil es ein geheimes Wahlkommitee gibt, gestatte ich es meinem Label nicht mehr, meine Musik bei den Grammies einzureichen." Denn nur offiziell eingereichte Aufnahmen werden von der Recording Academy für Nominierungen in Betracht gezogen.
2024 reichte auch
Zach Bryan
seine Musik nicht mehr für die kommenden Grammy Awards 2025 ein.
Quellen bestätigten, dass er sich nicht wohl damit fühle, wenn Musik zu einem
Wettbewerb gemacht werde. Seinem Kult-Status tut das wohl keinen Abbruch,
zählte seine Tournee doch im abgelaufenen Jahr gemäß
Pollstar
mit über 1 Mio. verkauften Tickets (und einem Umsatz von
200 Mio. US-Dollar) als erfolgreichste Country Tour und weltweit
8. erfolgreichste über alle Musikstile hinweg.
Somit stand sein drittes Studio-Album in voller Länge für Warner Recoords ("The Great American Bar Scene"), das im Sommer auf Platz 2 der Billboard 200 Pop Album Charts einstieg und die Single 'Pink Skies', die Platz 6 in den Billboard Hot 100 Pop Single Charts erreichte, nicht zur Auswahl für die Nominierung eines Grammy Awards.
Gemeinhin wird Zach Bryan in die Country Schublade gesteckt, obwohl er sich selbst offenbar gar nicht dort sieht, wie er im Herbst 2024 im Gespräch mit Bruce Springsteen erneut betonte: "Ich möchte kein Country Musiker sein. Jeder nennt mich so. [Aber] ich möchte [nur] ein Songschreiber sein."
Und irgendwie verbindet ihn das mit Beyoncé, die sich ebenfalls von Country distanziert, wenn sie über ihr im Frühjahr 2024 erschienenes Album "Cowboy Carter" sagt: "Das hier ist kein Country Album. Das hier ist ein Beyoncé Album." Trotzdem wird das Albums in allen 4 Country Kategorien nicht nur eingereicht, sondern auch für jeweils einen Grammy Award nominiert (Best Country Solo Performance, Best Country Album, Best Country Duo/Group Performance, Best Country Song). Sowie in 7 weiteren Kategorien.
Mit anderen Worten, das als bestes Country Album des Jahres nominierte Projekt "Cowboy Carter" enthält auch Nominierungen für die Best Melodic Rap Performance, Best Pop Solo Performance und Best Pop Duo/Group Performance. Ist es da nicht nachvollziehbar, dass es bei den Country Music Association (CMA) Awards keine Nominierungen für Beyoncé und ihr Projekt gab, wenn sie selbst sich gar nicht dort sieht?
Trotzdem muss man ihr für den Umstand Respekt zollen, dass sie mit ihrem Album die Country Music zum Mainstream-Gesprächsthema gemacht hat. Auch wenn viele nach wie vor nicht so recht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Vermutlich sind sie immer noch unschlüssig, weil sie mit dem Namen Beyoncé mehr anzufangen wissen, als mit ihrem aktuellen Album, das neben dem weltweiten Nummer 1 Hit 'Texas Hold 'Em' bis dato nur eine weitere Top-10 Single ('II Most Wanted' mit Miley Cyrus in den Billboard Hot 100) platzieren konnte.
Der Song, für den Beyoncé ihre Grammy Nominierung für Best Melodic Rap Performance erhielt trägt übrigens den Titel 'SPAGHETTII'. Diesen hat sie gemeinsam mit unter anderem Collins Chibueze geschrieben. Als Sohn Nigerianischer Eltern im US-Bundesstaat Virginia geboren und aufgewachsen, nennt dieser sich der Einfachheit halber Shaboozey, weil sein eigentlicher Name zu schwierig auszusprechen ist. Durch seinen Vater entdeckte er die Country Music, begann seine musikalische Karriere aber mit Rap und Hip-Hop.
Nachdem er gemeinsam mit Beyoncé auf "Cowboy Carter" zu hören war, nutzte sein Label EMPIRE die Gunst der Stunde und veröffentlichte Ende Mai 2024 sein bereits drittes Studio-Album mit dem vielversprechenden Titel "Where I've Been, Isn't Where I'm Going". Zu dem Zeitpunkt wusste noch niemand, dass die erste Single daraus ('A Bar Song (Tipsy)') ganze 19 Wochen lang auf Platz 1 der Billboard Hot 100 Pop Charts stehen und damit den Rekord aus 2019 von Lil Nas X und Billy Ray Cyrus mit 'Old Town Road' als erfolgreichster Chart-Song aller Zeiten einstellen würde.
'A Bar Song (Tipsy)' interpoliert den Pop Hit 'Tipsy' von J-Kwon aus 2004 und platzierte sich im abgelaufenen Jahr auch
mehrere Wochen an der Spitze der Radio (Billboard Country Airplay) und
der Billboard Hot Country Songs Charts. Für diesen Erfolg wurde
Shaboozey von der Recording Academy gleich
viermal für einen Grammy Award nominiert:
Best New Artist, Song Of The Year, Best Country Song und
Best Country Solo Performance. Und sogar die CMA-Awards im
November 2024 nominierten ihn für Single of the Year und
New Artist of the Year. Wird es mehr werden als nur ein
One-Hit-Wonder?
Bis zum 15. August 2024, als Post Malone sein offiziell erstes Country Album veröffentlichte, galt dieser als weltweit respektierter Hip-Hop und Pop-Star. So etwa luden ihn die aktuell größten Pop-Stars der Welt (Beyoncé und Taylor Swift) ein, auf ihren aktuellen Alben mitzuwirken. Gemeinsam mit Taylor Swift und ihrer ersten Single 'Fortnight' aus ihrem aktuellen Album "The Tortured Poets Department" stand Post Malone bereits im Mai 2024 zwei Wochen lang an der Spitze der Billboard Hot 100 Pop Charts.
Nur 2 Wochen später war er erneut dort zu finden. Diesmal mit 'I Had Some Help' im Duett mit Morgan Wallen. In Summe 6 Wochen belegte der Song Platz 1 (sowie 4 Wochen die Spitze der Billboard Country Airplay Chart) und wurde damit von billboard.com zum Sommerhit des Jahres gekürt.
Umso erstaunlicher ist es, dass Post Malone vom sonst so restriktiven Country Genre mit offenen Armen aufgenommen wurde. Man kaufe ihm offenbar ab, dass er ein authentisches Interesse daran habe, wirklich Country Music und nicht nur kurzfristig Geld machen zu wollen, hieß es. In der Tat war Posty schon das letzte Jahr über immer wieder in der Szene gesichtet worden, wo er jede Menge Kontakte geknüpft hatte.
Kontakte, die sich auf seinem am 15. August 2024 präsentierten Album "F1-Trillion" wiederfinden, von dessen 18 Songs nicht weniger als 15 Duette mit vielen der aktuell namhaftesten Stars des Country Genres sind. Das Album, dessen Titel eine Anspielung auf den beliebten Ford F-150 Pickup Truck ist und der textlich im ironischen Song 'Finer Things' mit Hank Williams Jr. genannt wird, stieg auf Platz 1 sowohl der Billboard 200 Pop Album Charts, als auch der Billboard Country Album Charts ein. In letzteren stand es dann für ganze 6 Woche an der Spitze.
Gleich 7-mal nominierte die Recording Academy Post Malone daraufhin für einen Grammy auf Basis seiner Zusammenarbeit mit Taylor Swift und Beyoncé, sowie seines aktuellen Albums. Darunter: Best Country Album, Best Country Duo/Group Performance und Best Country Song.
Auch Recording Academy - Liebling Kacey Musgraves wurde in
den 4 Country Kategorien dreimal für ihr aktuelles Pop-Folk
Singer-Songwriter Album "Deeper Well" nominiert. Zwei Nominierungen erhielt weiters der ehemalige Rapper
Jelly Roll
und einmal findet sich auch Folk-Newcomer Noah Kahan für sein Duett mit
Kelsea Ballerini ('Cowboys Cry Too') auf der Liste der Nominierten.
Für viele scheint das die Bestätigung, dass eine Öffnung des Country Genres in den allgemeinen Mainstream nicht zu mehr Country im Pop, sondern nur zu mehr Pop im Country führt. Weshalb es wohl gut und richtig sein muss, dass Nashville das Genre entsprechend gegen andere abschirmt und als Türwächter fungiert.
Zu den wichtigsten Künstlern im kommerziellen Country Genre des abgelaufenen
Jahres zählen Namen wie Lainey Wilson, Ella Langley,
Riley Green, Cody Johnson, Nate Smith,
Megan Moroney, Bailey Zimmerman oder Luke Combs. Von
ihnen wurde lediglich Lainey Wilson für ihr Album "Whirlwind" von der Recording Academy mit einer Nominierung bedacht. Es ist auch
für mich das beste Album des Jahres 2024 und hätte sich durchaus eine
Grammy-Nominierung für das Album of the Year - also eine der
4 wichtigsten -weil genre-übergreifenden- Kategorien verdient.
Aber wie schreibt Melinda Newman bei
billboard.com
ganz nachvollziehbar:
"Der relative Ausschluss [von Country] in den 4 großen Kategorien [der
Grammy Nominierungen] bleibt auch für 2025 bestehen, obwohl Country eine
Welle an Popularität erlebt und die Hot 100 dominiert hat, ... und für mehr
als die Hälfte des Jahres Platz 1 der Billboard Hot 100 belegt hatte."
Auch
Morgan Wallen, dessen sehnsuchtsvolle aktuelle Single 'Love Somebody' mit seiner großartigen spanischen Gitarre zu meinen Favoriten des Jahres
zählt, bleibt ein schwarzes Schaf der Recording Academy. Denn obwohl
sein Verhalten wiederholt polarisiert und an Reife vermissen lässt, stand er
heuer gleich 5-mal an der Spitze der Radio (Billboard Country Airplay) Charts und seine letzten beiden Alben haben die Top-10 der
Billboard 200 (der erfolgreichsten Alben Amerikas) seit
2021 kein einziges Mal verlassen. Es sollte also wenig Zweifel daran
bestehen, dass er ein entsprechend großes Publikum anspricht und damit einen
bedeutsamen Teil der aktuellen musikalischen Kultur repräsentiert.
Während 2024 also ein bahnbrechendes Jahr für Country Music im Mainstream war, sind viele Meinungsmacher nach wie vor in ihrer abwertenden Sichtweise von gestern verfangen. Sie werden sich vermutlich bestätigt sehen, wenn die Recording Academy am 2. Februar 2025 ihre Preise in Los Angeles mit höchster Wahrscheinlichkeit an Künstler vergeben wird, die aus dem Pop-Umfeld kommen und trotzdem für die beste Country Music ausgezeichnen werden.
Dann sollte man noch einmal Drake zitieren, wenn er denjenigen Mut macht, die von der Recording Academy vergessen werden: "Wenn ihr ein Publikum habt, dass die Texte zu euren Songs singt, wenn ihr Helden in euren Heimatstädten seid, wenn es Leute gibt, die auch im Regen kommen, die mit ihrem hart verdienten Geld Tickets für eure Konzerte kaufen, dann braucht ihr [diese Auszeichnungen] hier nicht gewinnen. Das verspreche ich euch. [Denn dann ] habt ihr schon längst gewonnen."
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