Amerikanischer Herzschmerz
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Er ist 26 Jahre alt, stammt aus dem 1.000-Seelen Kaff Oologah im US-Bundesstaat Oklahoma, war 8 Jahre lang Soldat in der US-Navy und ist zur Zeit in aller Munde. Denn er steht im Moment an der Schwelle zum kommerziellen Durchbruch.
Erst 5 Jahre ist es her, dass Zach Bryan im März 2018 begonnen hatte, auf YouTube selbst erstellte Videos zu veröffentlichen, in denen er mit leidenschaftlicher Stimme und einfacher akustischer Gitarre selbstgeschriebene Songs über Schmerz und Hoffnung, Liebe und Einsamkeit sang.
Zu der Zeit noch Soldat bei der US-Navy, gingen seine Videos völlig unerwartet
in kürzester Zeit viral
und verzeichneten bald mehrere Hundertausend
Aufrufe. Sein trotziger Aufruf 'Heading South', sich als hoffnungsvoller Künstler nicht unterkriegen zu lassen, etwa steht
inzwischen gar bei 15 Mio. Klicks. Ein erstes, selbst erstelltes Album
mit 12 Songs und dem Titel "DeAnn", gewidmet seiner zu früh gestorbenen Mutter, war nur eine logische
Konsequenz und genau das, was das Publikum wollte.
Allerdings war ihm zu dem Zeitpunkt auch noch nicht so recht klar, wie es in
seinem Leben weitergehen sollte:
"Ganz ehrlich, als ich das letzte Album machte, wusste ich nicht, ob ich
Musik weitermachen wollte."
Die Möglichkeit, sein nächstes Album bei Warner Records in L.A. zu
veröffentlichen, nahm ihm diese Entscheidung rasch ab.
"Der Grund, warum ich bei einem Label unterschrieben habe, ist dass ich ein
Album machen wollte, das ich mir auch in 40 Jahren noch anhören kann, mit
all den kleinen Details, die ich wollte und all den Musikern."
"Ich wollte professioneller werden. Ich wollte der Musik Industrie gegenüber nicht mehr respektlos sein und mich über sie lustig machen, denn es gibt so viele gute Musiker, die alles geben würden, um in meiner Situation zu sein."
So feierte er 2021 nicht nur einen ehrenvollen Abschied aus der Navy, sondern begann auch die Arbeit am neuen Album für Warner Records. Ein Projekt, das Dave Cobb produzierte und das am 20. Mai 2022 mit dem Titel "American Heartbreak" veröffentlicht wurde - nur um sogleich den Titel für das Country Album mit den meisten Streams an einem einzigen Tag (mehr als 1 Milliarde weltweit) einzuheimsen. Geschuldet unter anderem dem Umstand, dass der Zuhörer förmlich erschlagen wird, von der Anzahl der Songs auf dem Projekt. Nämlich ganze 34 an der Zahl!
Damit wird das Album in den kommenden Wochen auch ganz vorne in allen Charts
einsteigen. Längst hat er seine eingeschworene Fangemeinde, die bei jedem
seiner Konzerte Wort für Wort mitsingt. Aber am 21. Mai 2022 folgte in Denver,
Colorado eine weitere Entwicklung, als er das große Konzert von Luke Combs im
Mile High Stadion eröffnen durfte. All das symbolisiert einen großen Schritt für ihn, so wie es auch am Cover des Albums angedeutet wird. Mit anderen Worten:
Zach Bryan ist in der kommerziellen Musikwelt angekommen!
Dieser unerwartet rasche Aufstieg lässt die Frage im Raum hängen: wird Zach Bryan dort bleiben, wird er seinen Platz festigen können oder wird er - vielleicht auch gezwungenermaßen - wieder einen Schritt zurück machen müssen, und sich mit seinem Kult-Status abseits des glitzerneden Rampenlichts begnügen?
Im Pressetext für seine Konzerte heißt es: "Zach Bryan ist ein Singer/Songschreiber aus Oologah, Oklahoma, der stolz auf seine Kleinstadt-Wurzeln ist und dessen Musik von Leidenschaft authentisch zu bleiben, befeuert wird. Sein Erfolg findet sich in seiner rauhen Stimme, einer Mischung aus klassischen Folk Melodien und Outlaw Country mit Biss, die direkt ins Herz gehen."
Als Willie Nelson 1975 sein epochales Projekt "Red Headed Stranger" bei Columbia Records präsentierte, erfuhr er große Ablehnung vom Label. Man hielt das Album für ein unfertiges Demo-Projekt, dem die technische Umsetzung noch fehlte. Auch "American Heartbreak" klingt rauh und simpel, ohne Glanz und Überraschungen. Musikalisch dominieren akustische Gitarren und die Mundharmonika, was dem Projekt einen Hauch von Bob Dylan oder spätem Kris Kristofferson verleiht.
"Es betrübt mich, wenn die Leute sagen, dass meine Musik nicht genug Dynamik hat", erwähnt Zach Bryan im Gespräch mit musicmayhemmagazine.com. Ein Umstand, der dem Album in der Tat eine gewisse Eintönigkeit verleiht. Aber für ihn hat das so seine Richtigkeit, wie er betont: "Ich wollte eigentlich nie ein Songschreiber sein. Ich wollte ein Schriftsteller sein, verstehst du? Ich schreibe ... jeden Morgen wenn ich aufwache und jeden Abend, wenn ich schlafen gehe. Ich schreibe, denn das hilft mir mit dem Leben zurecht zu kommen. So wie andere Leute Sport schauen, Golf spielen oder Musik hören. Es ist etwas, das für mich selbstverständlich ist."
Und genau das macht Zach Bryan aus. Er schreibt Texte über Situationen, Erlebnisse und Emotionen im Leben, die er mit Leidenschaft in seiner Stimme vermittelt. Es ist nicht die bunte und perfekte Welt, sondern in seiner Wahrnehmung geht es um Alkohol, um psychische Probleme, um Ängste und Erwartungen, aber doch stellenweise auch um Hoffnung und Vertrauen.
"In diesem Album geht es um all die Herausforderungen, denen wir uns täglich stellen müssen. Und ich habe die Geschichten darüber in der Hoffnung geschrieben, dass irgendjemand irgendwo einen Bezug dazu finden kann", sagt der Songschreiber über das Album bei amnplify.com.au. "Einige Lieder sind traurig, einige fröhlich, einige hoffnungsvoll, andere sind hoffnungslos. Alle bedeuten etwas anderes für mich und ich hoffe, sie bedeuten auch anderen etwas. 'American Heartbreak' ist mein Versuch zu erklären, was es bedeutet, ein 26-jähriger Mann in Amerika zu sein. Da ist Liebe, Verlust, Ausgelassenheit, Verbitterung und Vergebung, alles in einem Werk."
Wenn man die Texte zu den 34 Titeln liest, dann sind das nicht nur viele Zeilen, sondern ihre oft unverblümte Direktheit, aber auch die an Stellen vage Unklarheit lassen die Leidenschaft für das Schreiben erkennen. Zach Bryan spielt dabei weniger mit Doppeldeutigkeiten in der Wortwahl, wie es im kommerziellen Country so beliebt ist, sondern er lässt viel lieber die Rollen und Gefühle der Protagonisten während der Songs die Seiten wechseln ('Happy Instead'). Und er setzt Worte mit überraschenden Wendungen zusammen, so wie in 'Sun to Me': das einzig Schlechte, das du je getan hast, war, das Gute in mir zu sehen.
Gleichzeitig erzählt er die Geschichte eines Liebespaares aus der Hippie-Generation in 'Billy Stay' so ergreifend, dass man ihre Trauer förmlich spüren kann, wenn sie beobachten muss, wie sie ihren Mann an Alzheimer verliert:
aber du kennst [noch] meinen.
Und im Interview mit Spotify betont er abschließend: "Was für mich am wichtigsten ist, dass meine Fans verstehen, dass ich [nur] ein Mensch bin. Und ich möchte, dass das der wichtigste Auslöser für meine Musik ist. Auch wir sind nur Menschen, die versuchen, gemeinsam jeden Tag Freude im Leben zu finden. Ich weiß nicht, wo diese Idee herkommt, dass Künstler diese gottähnlichen Wesen sein sollen oder was auch immer. Wir sind alle kranke Leute."
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