2024: an der Kreuzung von Pop und Country

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"2024 demonstrierten Pop-Künstler ihr Liebe für Country Music, und die Wählerschaft der Grammy Awards honorierte das. Pop und R&B Stars dominierten die Country Grammy Nominierungen, darunter Beyoncé, die als einzige Künstlerin eine Nominierung in allen 4 Country Kategorien erhielt." (Melinda Newman / billboard.com, 8. November 2024)

Cowboy Carter

"BREAKING NEWS: Journalist aus New York entdeckt ein neues Musik-Genre mit der Bezeichnung 'Country', dank der Veröffentlichung des neuen Beyonce's Albums 'Cowboy Carter'."
(Colby Acuff / X [vormals Twitter], 30. März 2024)

Es ist eine unerwartete Überraschung, als Pop-Superstar Beyoncé im Rahmen der Super Bowl 2024 ihr neues Album ankündigt. Eine Ankündigung, die bei den Fans der Pop-Künstlerin (dem BeyHive, oder in der Übersetzung des Wortspiels: dem Bienenstock) für riesige Vorfreude sorgt. Gleichzeitig aber gibt sie mit der Vorab-Veröffentlichung der beiden ersten Songs aus dem Projekt ('Texas Hold 'Em' und '16 Carriages') Anlass für Verwunderung und Spekulationen. Hat Mega-Pop-Star Beyoncé wirklich ein Country-Album gemacht oder ist das alles nur Teil einer gezielten Marketing-Kampagne?

Erst 10 Tage vor der Veröffentlichung des Projekts schreibt die Künstlerin dann auf ihrer Instagram-Seite (mit vermutlichem Bezug auf ihren Auftritt bei den Country Music Association [CMA] Awards 2016 mit The Chicks) unter anderem: "Ich habe an dem Album 5 Jahre gearbeitet. Es entstand aus einer Erfahrung, die ich vor Jahren machte, als ich mich nicht willkommen gefühlt hatte ... und es klar war, dass ich es auch nicht war. Aber auf Grund dieses Erlebnisses, habe ich mich sehr detailliert mit der Geschichte der Country Music auseinandergesetzt."

Es geht bei Beyoncé also tatsächlich um Country Music. Aber auch schon wie in ihrem ersten Projekt ("Rennaisance") ist es ihr erneut ein zentrales Anliegen, speziell auf die Rolle farbiger Künstlerinnen einzugehen.

So betont sie: "Ich fühle mich geehrt, die erste schwarze Frau mit einer Nummer-1 Single in the Hot Country Songs Chart zu sein. Meine Hoffnung ist, dass irgendwann einmal die ethnische Abstammung eines Künstlers im Zusammenhang mit einem Musikgenre irrelevant sein wird."

Die schmerzhafte, persönliche Zurückweisung bei den CMA Awards 2016 führt Beyoncé vermutlich nicht ganz unbegründet auf ihre ethnische Abstammung zurück. Denn obwohl die Entstehung der Country Music, wie auch später die des Rock 'n' Roll, ganz eng mit der Musik schwarzer Künstler verbunden ist, führte die Kommerzialisierung von Musik in den 1920er Jahren dazu, dass die Labels Musik von-Schwarzen-für-Schwarze als Race Music und solche von-Weißen-für-Weiße als Hillbilly Music zu vermarkten begannen.

Die Annahme war, auf diese Art und Weise publikumsgerechter produzieren und verkaufen zu können. Und das spielte nicht nur der gesetzlichen Rassentrennung in die Hände, sondern sorgte auch früh für ein festgefahrenes System in der Country Music, in der farbige Künstler zwar nicht ganz verschwanden, aber für lange Zeit die Ausnahme blieben.

Im Gegensatz dazu war der Rock 'n' Roll sowohl als rebellisches Genre, als auch vom Publikum her jung und aufgeschlossen genug, um 1964, als die Rassentrennung in den USA für illegal erklärt wurde, nicht in alten Schemata zu verharren. Anders als die Country Music. Denn dort gab es bis in die 1990er Jahre kaum eine Handvoll farbiger Künstler. Unter ihnen lediglich Charley Pride, der von den späten 1960er- bis in die 1980er-Jahre hinein, zu einem der anerkanntesten und erfolgreichsten Stars des Genres wurde.

Allerdings gilt es auch zu erwähnen, dass die Zurückweisung in Nashville nicht notwendigerweise immer einer Hautfarbe geschuldet sein muss. Auch namhafte Künstler wie John Denver und Olivia Newton-John mussten Verachtung und Zurückweisung erdulden. Ihnen wurde die Anerkennung jedoch aus dem Grund verweigert, weil sie einfach musikalisch nicht in Nashville groß geworden waren.

"Cowboy Carter" hat in den USA primär eine Diskussion über die Inklusivität von Country Music angestoßen. So sind lange Artikel über die Rolle schwarzer Künstler und Künstlerinnen bei der Entwicklung des Genres und zur Frage, warum trotz des wichtigen Entsehungseinflusses am Ende nur so wenige Spuren verblieben sind, entstanden. Und auch über den Elitarismus von Nashville und dessen historischer Verschlossenheit gegenüber Künstlern aus anderen Genres macht man sich Gedanken.

Abgesehen davon spielt die Veröffentlichung von "Cowboy Carter" jedoch eine weitere wichtige Rolle! Denn Beyoncé ist zur Zeit (nach Taylor Swift) vermutlich der größte Pop-Star der Welt. Und wenn sie sich musikalisch äußert, dann ist es auch ein weltweites Publikum, das zuhört. Und damit Country Music weltweit zum Gesprächsthema macht.

Eine Zielsetzung, an der die Country Music Branche und deren größte Stars sich seit Jahrzehnten mehr oder weniger erfolglos die Zähne ausgebissen hatten. Umso skurriller erscheint es also, dass das nun einer genre-fremden, farbigen Künstlerin mit der überraschenden Veröffentlichung eines Albums so ganz nebenbei gelungen ist.

Denn plötzlich sind Musik-Journalisten gezwungen, sich mit einem Genre auseinandersetzen, um das sie traditionellerweise lieber einen großen Bogen machen. Als wäre das nicht schon Herausforderung genug, gilt es nun auch noch, sich ernsthaft mit dem Genre auseinanderzusetzen. Mit anderen Worten: das Ergebnis sollte mehr als nur oberflächliche Satire sein, wie meist bisher! Denn es hat auch etwas mit Respekt zu tun, den man einer Beyoncé auf dem Höhepunkt ihrer Karriere wohl auch ein wenig schuldig ist!

Leider wird genau das für viele plötzlich zur radikalen Herausforderung. Wusste man doch bis dato oft kaum wie der Name des Genres auszusprechen ist und ob Western nun dazu gehört oder vielleicht doch nicht. In den seltenen Fällen, in denen dann doch mal über Country gesprochen wurde, war man meist rasch dazu übergegangen, es möglichst schnell wieder mit Klischees, Vorurteilen und Unwissenheit überhäuft, zurück ins verbale Schmuddel-Eck zu treten!

Nach den vorwiegend positiven internationalen Kritiken rund um das neue Projekt von Beyoncé, bedeutet es eben auch für die Medienlandschaft hierzulande, dass es nicht mehr ausreichen kann, vernichtende Kritiken einfach mit dem Genre zu argumentieren. Nicht jedem wird das gelingen. Während es manche wenigstens versuchen, machen sich andere erst gar nicht die Mühe, sondern bleiben weiterhin herablassend beim Kuhbuben-Schlager.

Es ist eine bornierte Einstellung, die schon in den 1990er Jahren Garth Brooks bei seinen Pressekonferenzen schockiert hattte und wohl ein wichtiger Mitgrund war, warum er (abgesehen von Irland) nie wieder einen Fuß nach Europa gesetzt hatte.

Ein erstes Beispiel für den positiven Beyoncé -Effekt, sich plötzlich mit dem Thema auseinandersetzen zu wollen, sieht man bereits am lobenswerten Versuch des Generation Sound - FM4 Podcasts. Unter dem Titel "Kann Beyonce Country cool machen?" möchte Moderator Christoph Sepin im Gespräch mit Beyoncé-Fan Dalia Ahmed feststellen, ob "Country eh so uncool ist, wie man vermutet"?

Leider weicht die Hoffnung über ein informatives und aufklärendes Gespräch recht schnell der Ernüchterung über die vorherrschende fachliche Inkompetenz. Es ist verständlich, wenn ein Beyoncé-Fan selbstbewusst zugibt, weder Country schon mal gehört zu haben, noch eine Ahnung davon zu haben. Vielmehr ist es lobenswert, wenn aus diesem Umstand heraus Offenheit für ein erstes Einlesen signalisiert wird.

Gleichzeitig macht man es sich aber auch zu einfach, wenn man als Grund für die eigenen, fehlenden Berührungspunkte mit dem Genre Country keine eigenen Beispiele anführt, sondern einfach fremd-zitierte Rassismus- und Nationalstolz-Argumente vorschiebt.

Moderator Christoph Sepin kennt wenigstens Johnny Cash. Und unterscheidet sich damit wohl nicht von 99% der Bevölkerung außerhalb Nordamerikas. Schließlich gibt es ja sogar einen Kinofilm über ihn und sein Name findet sich auf so manchem T-Shirt. Allerdings würde man sich in Vorbereitung auf einen öffentlichkeitswirksamen Podcast etwas mehr Recherche erwarten. So reicht es gerade für das Zitat einer Musik-Wissenschaftlerin.

Konsequenterweise bleibt auch die Erörterung des Genres laienhaftes Stückwerk. Man versucht es, indem man sich an die 100 Jahre in die Vergangenheit begibt, um über das Banjo und die Carter Family als erste kommerziell erfolgreiche Country Gruppe aus den 1920er Jahren zu sprechen. Ein unglaublich weites Ausholen, ohne den Bogen dann auch nur ansatzweise wieder zu Ende zu führen. Künstlernamen aus dem Country Genre des 21. Jahrhunderts bleiben unerwähnt. Soll damit eine Überforderung des Publikums vermieden werden oder ungewollt die eigene Unwissenheit offengelegt werden?

Und nein, es gab auch keine Massenflucht aus dem Country, nur weil Taylor Swift dereinst beschlossen hatte, Pop Musik zu machen. Und auch Lil Nas X wollte wohl nie wirklich Country machen, sondern sah lediglich eine kommerzielle Chance darin, sich einen schnellen Namen zu machen.

Am Ende ist Hopfen und Malz völlig verloren, wenn beide Moderatoren wirklich ratlos sind, warum plötzlich so viele (Pop-)Künstler Country machen wollen. Es ist, als würden sie sich die Köpfe darüber zerbrechen, warum so viele Autokonzerne plötzlich E-Autos produzieren. Im Ernst?

Dabei wäre auch für totale Anfänger die einfachste Antwort, dass es in der Musikindustrie immer noch in erster Linie um kommerziellen Erfolg geht. "Country Music war eine der am schnellsten wachsenden Streaming Genres in den USA im Jahr 2023, mit weit über 20 Milliarden Streams und einem Wachstum von +23,7%", stellte beispielsweise Newsweek fest.

Der richtige Frage ist demnach nicht, warum Pop-Stars Country machen wollen, sondern warum Country Stars plötzlich in den Pop Charts so erfolgreich sind? Laut Billboard Magazine war Morgan Wallen der erfolgreichste Musiker in den USA 2023. Neben ihm waren Künstler wie Zach Bryan, Luke Combs, Jelly Roll, Hardy, Lainey Wilson oder Chris Stapleton weitere maßgebliche Gründe für den Erfolg von Country im abgelaufenen Jahr. Und gleichzeitig dafür, dass das Genre eben plötzlich auch für Pop-Künstler attraktiv ist.

Ausgelöst durch ein persönliches Erlebnis, widmet sich Beyonce auf "Cowboy Carter" also in der Tat dem Genre Country Music: "Die Kritik, die ich erntete, als ich mich zum ersten Mal in das Genre wagte, zwangen mich alle Hindernisse zu überwinden. Für das daraus entstandene Ergbnis habe ich mir Zeit genommen, um Genres zu verändern und zu vermischen."

Natürlich bezeichnet sie ihr Werk als eigenständig und keinem Genre zugehörig. Denn so nimmt sie jedem Kritiker den Wind aus den Segeln, der sie dafür kritisieren möchte, weil sie mögliche Genre-Regeln nicht befolgt.

"Das ist kein Country Album. Das ist ein Beyonce Album."

Während die Medienlandschaft dem Publikum hierzulande seit Jahrzehnten erfolgreich eingeredet hat, wie uncool Country ist, hat sich inzwischen ein entscheidendes Element im System geändert: nämlich die Art und Weise wie Musik heutzutage konsumiert wird.

Denn mit den Möglichkeiten von Streaming ist kein Musik-Interessierter mehr auf Radiostationen oder meinungsvorgebende Musikkritiker angewiesen, sondern kann sich jederzeit selbst ein Bild davon machen. Und es ist zu vermuten, dass immer mehr Musikfans diese Eigenständigkeit auch vermehrt zu nutzen wissen. 

Und nicht zuletzt deshalb muss man "Cowboy Carter" als das vielleicht wichtigste Album der letzten 30 Jahre für die (weltweite Anerkennung und Akzeptanz der) Country Music bezeichnen!


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