Balladen & Bangers: Handshakes in Heaven & Learn About Love

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"Was macht einen Banger? Das wichtigste ist der Hook, den man nicht mehr aus dem Kopf kriegt, nachdem man den Song nur einmal gehört hat. Außerdem hat er einen festen Beat, zu dem man sich einfach bewegen muss. Und Wiedererkennung ist ebenfalls ein Schlüssel." (DJ Rinehart / deepinthemix.com, 23. Juli 2023)

Trikot an der Wand

"Ich sah Danielle's Trikot on der Wand hängen, und die Nummer darauf und ich dachte mir: ich habe Fragen an Gott. Und ich denke es ist ok, solche Gedanken zu haben, denn sie und die Gespräche darüber tragen zum Heilungsprozess bei, egal um welchen Schmerz oder Verlust es geht. Was ich an Musik so sehr liebe, ist dass sie über Dinge sprechen kann, die so schwierig sind."
(Tenille Townes / Country Mile Podcast, 10. Oktober 2019)

Im März 2018 hatte die damals 24-jährige Kanadierin Tenille Townes einen ersten Meilenstein auf ihrem Karriereweg erreicht: Columbia/Sony Music Nashville bot ihr ihren ersten Major Label Plattenvertrag an. Bereits im Folgemonat erschien eine erste, noch wenig aufwendig produzierte EP mit 4 Songs unter dem Titel "Working Room Tapes".

Im September 2018 veröffentlichte das Label den Song 'Somebody's Daughter' daraus in einer neu produzierten Studio-Version als die erste offizielle Single. Eine riskante Entscheidung! Denn der nachdenkliche Song über ein namenloses, obdachloses Mädchen passte thematisch so gar nicht ins kommerzielle Country Radio, das es zudem weiblichen Künstlern ganz besonders schwer macht.

Aber nicht zuletzt der eingängige Refrain half mit, dass die erste Single einer noch dazu unbekannten Kanadierin nicht gleich fallengelassen wurde. Im Juni 2019 erreichte der Titel schließlich Platz 26 in den Radio (Billboard Country Airplay) Charts und brachte Tenille Townes damit mit ihrer anspruchsvollen Debüt-Single gleich den ersten Top-30 Hit. Ein unerwarteter Erfolg!

Am 16. August 2019 ist nun die zweite Single von Tenille Townes erschienen. Und erneut geht es um ein riskantes, wenngleich wesentlich weniger sozialkritisches Thema. In 'Jersey on the Wall' macht sich die Künstlerin Gedanken darüber, wie sich ein schwerer menschlicher Verlust verarbeiten lässt. Auf genius.com beschreibt sie die Hintergründe und den Entstehungsprozess:

"Dieser Song entstand aus einer Reihe von Geschichten, die alle zugleich geschahen und mich sehr betroffen machten. Zuerst war da die Geschichte von dem Mädchen [Michelle], die in Grand Manan in New Brunswick [Kanada] Star in ihrer Basketball Mannschaft war. Sie hatte eben die Schule abgeschlossen, als sie bei einem unglücklichen Autounfall ums Leben kam. Zur selben Zeit verlor eine meiner besten Freundinnen ihren kleinen Bruder, der Eishockey Spieler war. Und als ich diesen Song geschrieben hatte, kam ein Schüler aus meiner High School, der im Football Team gespielt hatte, ebenfalls bei einem Unfall ums Leben."



"Diesen Song zu schreiben ist mir unendlich schwer gefallen und gleichzeitig war es unendlich heilsam. Ich bin so dankbar, dass mir Gordie [Sampson] und Tina [Parole] in dieser Verletzlichkeit [beim Schreiben des Songs] geholfen haben."

Tenille Townes gibt sich jedoch nicht damit zu zufrieden, die Umstände zu beschreiben. Das tut sie nur soweit als notwendig, wenn sie in der ersten Strophe singt:
"Da hängt ein Trikot an der Wand,
in der Sporthalle meiner High School,
in der Ecke bei der Anzeige für das Spiel-Ergebnis,
dort wo die aufstellbaren Tribünen sind.
Diese Nummer 27 hat die Tigers ins Finale gebracht,
aber das ist nicht der Grund, warum es da hängt."

Ihr geht es nicht um die Details des "wie", sondern in ihr brennt die Frage nach dem "warum?". Die Frage, die sich jeder stellt, der mit einem schweren Unglücksfall konfrontiert ist. Eine Frage, die besonders heikel wird, wenn ihr der Glaube an ein gottgelenktes Leben gegenübersteht. Denn besonders in den USA spielt der Glaube eine ganz zentrale gesellschaftliche Rolle. Häufig wird er sogar als valide Antwort auf menschliches Leid angesehen. So wie die endlosen Stoßgebete, die beispielsweise über social media versendet werden, wenn es wieder einmal zu einer Massenschießerei gekommen ist.



So darf es nicht verwundern, dass dieses Thema nicht nur Eingang in die Populärmusik, sondern auch entsprechenden Zuspruch beim Publikum findet. Häufig reicht bereits die Nennung von Jesus, Kirche oder Religion im Songtitel, um die Beliebtheit des Liedes zu steigern. Auch wenn das Thema des Songs dann meist gar nichts damit zu tun hat. Aber zu viele Zuhörer bleiben ohnehin meist an der Oberflächlichkeit von Refrain oder Songtitel hängen.

So hatten etwa Florida Georgia Line einen ihrer größten Hits mit 'H.O.L.Y.', ein Akronym, das in Wirklichkeit nichts mit Religion zu tun hat. Auch der irische Folk-Rocker Hozier hatte in Amerika seinen größten Hit mit dem Song 'Take Me to Church', einem Song, der abseits des Titels eigentlich religiöse Pragmatismen kritisiert. Und auch die aktuelle Nummer 1 in den Radio (Billboard Country Airplay) Charts trägt den Titel 'Pray for You'. Auch in diesem Hit von Matt Stell geht es nur um den Wunsch, endlich die große Liebe zu finden.

Lediglich für Tim McGraw ging dieses Konzept bei seiner Single 'Neon Church' nicht ganz auf. Ein Song der voll mit Anspielungen und Begrifflichkeiten aus dem religiösen Umfeld ist, die clever auf eine Bar-Situation umgemünzt wurden. Vermutlich war hier die Doppeldeutigkeit bereits im Titel zu offensichtlich. Man musste also erst gar nicht auf den Text achten, um zu wissen, dass es nicht wirklich um Themen des Glaubens ging.

Besonders im Country Genre werden Glaubensthemen, wenn sie denn angesprochen werden, nicht in Frage gestellt. Selbst der Titel 'God Must Be Busy', der als zweite Single aus dem Brooks & Dunn Album "Cowboy Town" (2007) veröffentlicht wurde, verweist am Ende auf das alleinige Mittel des Gebets. Über den Umweg einer verlorenen Liebe lässt sich der Text als Erklärung dafür auslegen, warum soviele Dinge in der Welt schief gehen - Gott ist einfach überarbeitet. Gleichzeitig aber bleibt mit der Schlussstrophe das Gebet als einzige Hoffnung im Raum stehen:
"Der Nachrichtensprecher sagt,
die Kämpfe werden schlimmer,
die Städte brennen im Mittleren Osten,
die Welt betet für Frieden."

Tenille Towns verrät im Titel, wie schon in ihrer ersten Single, nichts über den Inhalt des Liedes. Und es kommt schon sehr überraschend, dass sie dann die Verzweiflung und das Unverständnis der Situation in eine alles entscheidende kritische Frage an Gott kanalisiert. Wobei diese erst am Ende eines rhetorisch eindrucksvoll aufgebauten Arguments kommt. Wie kann Gott, dem so viele großartige Dinge möglich sind, so etwas Kleines, wie einen Autounfall nicht verhindern?

"... wie machst du Schneeflocken?
Bist du verärgert, wenn die Erde bebt?
Wie verändert sich der Himmel von einer Minute zur nächsten?
Wie schaffst du es, dass sich die Erde dreht?
Warum konntest du nicht einen Autounfall verhindern?
Verzeih mir, ich frage ja nur."
(Jersey on the Wall / Tenille Townes, Gordie Sampson, Tina Parole)

Wenn man der quirligen Kanadierin im aktuellen Podcast von USA TODAY NETWORK's zuhört, traut man ihr diese Ernsthaftigkeit in ihren Songs gar nicht so recht zu. Umso erfrischender ist es, dass sie diese Songs nicht nur schreibt, sondern vor allem auch die Unterstützung ihres Labels erhält, ohne die vielleicht niemand diese Songs zu hören bekäme.

Nichts fasst die Botschaft von 'Jersey on the Wall' besser zusammen, als die Worte der Künstlerin selbst, wenn sie festhält: "Ich hoffe, dieses Lied gibt den Menschen den Mut, dorthin zu gehen, wo sie die Fragen stellen können, auf die sie keine Antwort haben und dabei die Gewissheit sprüen, mit diesen Fragen nicht alleine zu sein. Ich glaube fest daran, dass Heilung -oder zumindest ein bisschen davon- in der Akzeptanz und dem Gespräch liegt."

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