Highwomen

"Wir singen davon, worüber niemand spricht.
Wir bringen die Söhne zur Welt, die niemand mehr hält.
Wir sind die Töchter der Generation ohne Worte.
Man schickt unsere Herzen in fremde Länder,
und lässt sie dort sterben."
(Highwomen / Jimmy Webb, Amanda Shires, Brandi Carlile)

Am 15. August 2019 ist Jimmy Webb 73 Jahre alt geworden. Geboren im US-Bundesstaat Oklahoma, hat er als Musiker seit Ende der 1960er Jahre 13 Solo-Alben aufgenommen. Keines davon hat ihn zum weltbekannten Künstler gemacht. Das ist vielmehr seinen Songs gelungen, die von anderen Interpreten aufgenommen wurden. An vorderster Stelle stehen dabei die weltweiten Hits, die Glen Campbell mit seinen Titeln wie 'By the Time I Get to Phoenix', 'Wichita Lineman' oder 'Galveston' hatte.

Einen weiteren Song von Jimmy Webb, den dieser bereits zwei Jahre zuvor geschrieben und auf seinem eigenen Album "El Mirage" (1977) veröffentlicht hatte, nimmt Glen Campbell 1979 auf. Er ist so sehr beeindruckt davon, dass er ihn zum Titelsong seines Albums "Highwayman" macht. Auslöser für die Entstehung des Liedes war laut Songschreiber Jimmy Webb ein Albtraum, den dieser hatte und in dem er in eine Verfolgungsjagd verwickelt wurde.

Noch schlaftrunken und schweißgebadet, begann er daraufhin den Song zu schreiben. Am Ende war daraus ein episches Drama entstanden, welches das Schicksal von 4 Männern beschreibt. Da ist der titelgebende Desperado, der am Galgen endet, der Matrose, der vor dem Horn von Mexiko über Bord geht und nicht mehr gesehen ward, der Bauarbeiter, der bei Dammbauten in den noch feuchten Beton stürzt und zuletzt der Astronaut, der eines Tages mit seinem Raumschiff die Unendlichkeit durchqueren will.

In der Intention von Jimmy Webb handelt es sich bei allen vier Charakteren um die selbe Person, deren Seele durch Reinkarnation immer wiederkehrt und keine Ruhe findet:
Vielleicht werde ich wieder zu einem Highwayman,
oder auch nur einem einfachen Regentropfen.
Aber ich vergehe nicht
und kehre wieder und immer wieder und wieder ...

1984 befinden sich Kris Kristofferson, Willie Nelson und Waylon Jennings auf Einladung von Johnny Cash in der Schweiz, um an den Filmaufnahmen für dessen Weihnachts-Special teilzunehmen. Dabei kommt die Sprache auf ein mögliches gemeinsames Musikprojekt. In Folge stoßen sie auf den Jimmy Webb Song 'Highwayman' - und der Rest ist Geschichte.

Knapp 5 Monate später veröffentlicht die neue Supergruppe unter dem Namen The Highwaymen ihr erstes Album, das bis auf Platz 1 in den Country Album Charts klettert und mit Platin ausgezeichnet wird. Der Titelsong 'Highwayman' erreicht als erste Single aus dem Album ebenfalls Platz 1 in den Billboard Hot Counry Songs Chart und bei der Grammy-Verleihung 1986 den Preis für den Best Country Song.

In der Version von The Highwaymen übernimmt jeder der 4 Sänger die Rolle eines Charakters im Lied: Willie Nelson wird zum Highwayman, Kris Kristofferson zum Matrosen, Waylon Jennings zum Damm-Bauarbeiter und Johnny Cash zum Astronauten. Bis heute ist diese Version die bekannteste und erfolgreichste von allen.


Aber noch ist die Geschichte nicht zu Ende. Denn 2019 folgt ein weiteres Kapitel in der Geschichte dieses außergewöhnlichen Songs. Nur 3 Wochen nach dem 73. Geburtstag von Jimmy Webb, am 6. September 2019 erscheint das Lied in einer neuen Version. Erneut ist es titelgebend nicht nur für ein Album sondern gleichzeitig auch für eine musikalische Formation aus eigentlich eigenständigen Künstlern.

Im Unterschied zu 1985 haben sich diesmal jedoch vier Frauen zusammengetan und den Song als ihr Thema auserkoren. So nennt sich denn nicht nur die Formation aus Amanda Shires, Brandi Carlile, Maren Morris und Natalie Hemby The Highwomen, sondern gemeinsam mit Jimmy Webb wird aus 'Highwayman' auch der neue Song 'Highwomen'. Gemäß dem Anliegen der vier Künstlerinnen und ihrem musikalischen Projekt, gemeinsam mehr Aufmerksamkeit für Musikerinnen und ihre Themen zu schaffen, wurde auch der Text unter Mitwirkung von Brandi Carlile und Amanda Shires gelungen neu adaptiert.



In dieser neuen Version wird die Grammy-prämierte Singer-Songschreiberin Brandi Carlile in der ersten Strophe zur Highwoman, die mit ihrer Familie aus Honduras vor den Sandinistas flüchtet, aber die Flucht mit Schleppern (Coyote) durch Mexiko als einzige nicht überlebt. Singer-Songschreiberin und Fiddle-Spielerin Amanda Shires wird zu einer bei den berüchtigten Salem Hexenprozessen im Massachusetts des 17. Jahrhunderts Angeklagten und verwirkt in der zweiten Strophe ihr Leben am Galgen.

Die farbige britische Sängerin Yola (als Gast-Interpretin) wird treffenderweise in der dritten Strophe zu einem Freedom Rider, die in den 1960er Jahren auf die diskriminierende Rassentrennung im Süden der USA hinwiesen, indem sie verbotenerweise auf den vorderen Plätzen in öffentlichen Verkehrsmitteln saßen. Das führte wiederholt zu vom Ku Kux Klan initierten Gewaltausschreitungen und in der dritten Strophe fällt sie einer solchen zum Opfer.

In der vierten Strophe wird Natalie Hemby zu einer weiblichen Predigerin, die ihrer Verfolgung nicht entkommen kann, weil sie eine Frau ist. Das Lied endet mit Wehmut darüber, dass die Töchter der ungeliebten Vietnam- und Korea-Kriegsgeneration nun selbst als Mütter ihre Söhne in fremde Kriege schicken müssen. Gleichzeitig aber bleibt die Hoffnung auf ein besseres Morgen.


The Highwomen haben sich zusammengefunden, um ein Album zu produzieren, das helfen soll, die von der Industrie so vernachlässigten Sängerinnen wieder verstärkt in den Vordergrund zu schieben. Dabei bedienen sie sich klassischer Old-Time Country Elemente, aber auch 1970er Einflüsse. Im Zentrum stehen nicht nur ihre Stimmen, sondern als Songschreiberinnen auch die klare Verpflichtung, mit Texten zu überzeugen.

So sprechen sie ganz unverfroren Themen über Immigration, Rassismus und Sexismus an und fordern damit das mehrheitlich konservative Country Publikum heraus. Ende Juli 2019 hatten sie ihren ersten erfolgreichen Live-Auftritt beim legendären Newport Folk Festival, wo sie mit ihren Texten nicht nur auf offene Ohren stießen, sondern wo sie auch von Dolly Parton mit einem gemeinsamen Auftritt überrascht wurden.

In einem Interview mit Esquire Magazine fasst Maren Morris die Intention des Projektes zusammen, wenn sie sagt: "Ich erinnere mich an das Ferienlager, in dem ich als Kind war und der Betreuer weckte uns jeden Morgen mit dem Lied 'Wide Open Spaces' von den Dixie Chicks. Das wurde zu unserem Soundtrack. Mein Wunsch ist, dass die Mädchen [von heute] die Highwomen hören und es zum Soundtrack ihrer Jugend lassen werden. Aber auch Frauen wie Dolly [Parton] oder älter werden Freude daran haben und sich wiedererkennen. Es ist einfach gute Musik. Musik, die die Menschen hören sollten."