Kaltes Bier & der King der Country Music

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"Das ist es, was gute Musik ausmacht. Sie fasst das in Worte und Melodien, was Menschen oft schwer fällt, mit eigenen Worten zu sagen. Aber wenn sie den richtigen Song hören, dann fühlen sie sich verstanden. Ich denke, das ist ganz entscheidend." (Zach Top / americansongwriter.com, 5. April 2024)

Menschen verletzen

"Ich denke jeder hat so seine Narbe,
gib dem Leben Zeit, und du kriegst auch deine.
Leb' ein wenig länger, und ich wette,
du wirst selbst welche hinterlassen."
(Hurt People / Ashley Ray, Rick Brantley)

Keith Urban hat sein neues Album nicht nur in den wichtigsten Musikmetropolen der USA live vorgestellt, nämlich New York und LA, sondern selbstverständlich auch in Nashville. Denn es ist wohl nicht übertrieben, wenn man die Hauptstadt von Tennessee musikalisch inzwischen zu den 3 einflussreichsten Städten zählt. Kaum sonstwo gibt es eine so lebendige Musikszene, wie hier, längst hinausgewachsen über das Genre Country. Immer mehr zieht es hierher, weil sie dieses Reservoir an Möglichkeiten schätzen, das Nashville an einem einzigen Ort bietet. Hier gibt es nicht nur die Veranstaltungsmöglichkeiten und die Studios, auch Labels, Produzenten und Musiker leben hier vor Ort.

Ob diese neuen musikalischen Einflüsse dazu beigetragen haben, dass die kommerzielle Country Music sich so weit von seinen Wurzeln wegentwickelt (weiterentwickelt) hat, oder ob diese Entwicklung erst das Interesse in anderen Genres geweckt hat, ist nicht ganz gewiss.

Sicher ist, dass Nashville zu einem Schmelztopf an Stilrichtungen geworden ist. So sehr, dass es oft schwierig ist, sie auseinander zu halten. Das mag die einen verärgern, die anderen machen es sich möglicherweise bewusst zunutze, um am Erfolg mitnaschen zu können. Und manchmal passiert es ganz einfach durch die Medien, die Schubladen öffnen, um jemanden heinzuschubsen.

Rolling Stone Country beispielsweise veröffentlicht immer wieder Listen mit Namen von Musikern, die man noch kaum kennt, denen man aber im Country Genre mehr Aufmerksamkeit schenken sollte. Denn sie könnten die Country Stars von morgen werden. Würde man diese Künstler befragen, würden sich wohl nicht alle in die Country Schublade stecken. Andererseits gegen eine gute Presse, die den Bekanntheitsgrad steigert, muß man ja nicht gleich etwas haben.


So taucht da beispielsweise Rick Brantley auf. Stimmlich wird er mit Steve Earle verglichen, was  ganz gut hinkommt. Aber noch besser passt der Vergleich mit Bruce Springsteen und auf seiner Homepage nennt Rick Brantley Billy Joel als eines seiner Vorbilder. Dort bezeichnet er sich auch als Singer-Songwriter, was für jemanden, der nach Nashville gezogen ist, fast zwangsläufig zur Nennung von Kris Kristofferson, Guy Clark und Townes Van Zandt führen muss.

Die Zeitung The Tennessean beschreibt ihn als jemanden, der all das verkörpert, wofür der Rock & Roll steht. Mit einer Stimme, die den Weltfrieden verheißt, inmitten einer rauhen See aus Hardcore Untergrund Southern Rock.

Drei, mitunter rauhe Rock-Alben hat er zwischen 1998 und 2008 veröffentlicht, die man auch John Mellencamp oder dem "Boss" zuschreiben könnte. "Ich mag diese Alben, die ich damals machte, denn sie stehen für das was ich damals war, als ich 19 und 22, 23, 24 war", erzählt er theshotgunseat.com in einem Interview. "Aber gleichzeitig bin ich froh, dass nichts daraus wurde, denn ich musste erst erwachsen werden, erst lernen, wirklich Songs zu schreiben, lernen, wie ich mit meiner Stimme umgehen muss und wie ich die Welt damit ansprechen möchte."

Aus diesem Reifungsprozess kam nicht nur ein Wechsel nach Nashville, der Welthauptstadt der Songwriter, sondern 2015 auch ein neues Album. Unter dem Titel "Lo-Fi" nahm er 6 Titel (darunter eine Cover Version von Otis Redding's 'Try A Little Tenderness') im akkustischen Setting auf. Roh, nachdenklich und mit einer Stimme voller Emotionen.

Das ganz besondere Glanzstück ist der Abschlusstitel, den David Nail 2012 schon aufgenommen hatte: 'Half Mile Hill'. Eine traurig, melancholische Ballade über verlorene Jugenderinnerungen, deren Gänsehaut-Charakter aber erst in der Version von Rick Brantley so richtig einfährt, wenn man auf den Text hört.
"Vom Half Mile Hügel, kannst Du das Baseball Feld sehen,
die Autos, wie sie am Rathaus vorbeifahren,
die Sonne untergehen, die Straßenlaternen,
wie sie die Schachbrettstraßen erleuchten.
Ich wünschte ich könnte fliegen,
wie ein abgerissener Drachen,
bis an den Plafond des Himmels.
Hört mich denn niemand?"

Rick Brantley ist jemand, der zuhört und nachdenkt. Beides ist für ihn essentiell für das Schreiben guter Lieder. "Entweder mußt du es selbst erleben oder du mußt einen gewissen Grad an Empathie entwickeln, um diese Erlebnisse anderen weitergeben zu können. Denn in Wirklich will niemand all diese Erfahrungen selbst machen müssen. Aber wir können davon lernen, wenn wir offen sind."

"Ich liebe diese Bar in Nashville. Wenn ich dort hereinkomme, fühle ich mich besser, nach einem langen Tag. Ich hatte dort schon so viele Gespräche, die mich in vielen Dingen geradezu erleuchtet haben, als Mensch, als Songschreiber, als Freund. Dinge, die ich woanders nie gelernt hätte. Deswegen bedeutet mir dieser Ort soviel."

Die Elemente für Country sind da. Nashville, Bars, Geschichten, Menschen. Aber am Ende bleibt das Stück Musik, der Text und die Emotion die einen entweder berühren oder kalt lassen. Die Schublade ist nicht wichtig. Ganz besonders, wenn man auf so einen unglaublichen Song wie 'Hurt People' stößt.

Ausnahmsweise lässt sich hier auch die doppelte Bedeutung des Titels ins Deutsche übersetzen. Je nachdem wie man es verstehen möchte, kann es bedeuten
1) Menschen verletzen (andere Menschen)
2) Menschen (mit etwas) verletzen.
Und Titel und Text verbinden diese beiden Bedeutungen im Refrain.

Das Lied, zu Beginn im Sprechgesang vorgetragen, der sich langsam zur gospelhaften Emotion aufbäumt, beschreibt nicht nur 2 Situationen, in denen es einmal um physisches und dann um psychisches Verletztwerden geht. Es versucht auch gleich die Erklärung mitzuliefern. Denn meist gibt es einen Auslöser, ein prägendes Erlebnis, von dem wir (unbewusst) gelernt und es übernommen haben. So entsand ein Lied, dessen Text man sich nicht entziehen kann, und schon gar nicht dessen Emotion.

"Dein Blut ist mein Blut,
deine Wunde ist meine Wunde,
deine Haut ist meine Haut,
du verlierst, ich verliere,
wenn Du fällst, falle ich auch.
Verletzte Menschen verletzen Menschen."


Rick Brantley arbeitet an einer "Hi-Fi" Version seines nächsten Albums. Ob 'Hurt People' ein Vorgeschmack ist, ist nicht klar. Klar ist, dass es ein geradezu epochaler Song ist. Dahinter verschwinden Genres, weil es um das Verständnis von Menschen und Gefühle in einer Art geht, die alles andere unwichtig werden lassen. Diese Lied kann nicht hoch genug gelobt werden. Und jeder Mensch sollte es zumindest einmal in voller Länge gehört und dabei auf den Text geachtet haben!!!

P.S.: Ebenfalls empfehlenswert: seine Podcasts zum Album "Lo-Fi" auf itunes.

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