Kaltes Bier & der King der Country Music

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"Das ist es, was gute Musik ausmacht. Sie fasst das in Worte und Melodien, was Menschen oft schwer fällt, mit eigenen Worten zu sagen. Aber wenn sie den richtigen Song hören, dann fühlen sie sich verstanden. Ich denke, das ist ganz entscheidend." (Zach Top / americansongwriter.com, 5. April 2024)

Atlanta

"So süß war unsere Rose,
im Licht der aufgehenden Sonne,
wir werden sie nie vergessen,
gab sie doch ihr Leben für uns alle."
(Sweet Was Our Rose / Ken Leray, Roger Spooner)

Als im Mai 1980 das Album "My Home's In Alabama" erschien, konnte niemand ahnen, was für eine epochale Musikkarriere damit ihren offiziellen Anfang nehmen sollte. Erschienen auf dem Major Label RCA, beinhaltete das Album Musik, die bereits einige Jahre zuvor aufgenommen worden war. Darunter der Song 'I Wanna Come Over', der zum ersten Country Top-40 Hit für Alabama wurde (Platz 32) und als Wiederveröffentlichung auf dem Album "My Home's In Alabama" enthalten war.

Bereits ein Jahr zuvor (1979) war der Song auf dem kleinen, unabhängigen Label MDJ Records als Single erschienen. Eine Plattenfirma, die vom Geschäftsmann Larry McBride gegründet worden war. Und dieser Larry McBride war 1979 geschäftlich in Nashville, als er über eine Platte der damals noch völlig unbekannten Band stolperte. Immer auf der Suche nach neuen Interpreten für sein Label, zeigte er sofort Interesse.

In einem Artikel der Chicago Tribune vom 15. April 1984 erzählte Larry McBride dazu: "Man sagte mir, dass die Gruppe auf einem anderen kleinen Label mit dem Namen GTR eine Single laufen hätten. Sie hieß 'I Wanna Come Over' und sie war in die wöchentlichen Country Top 100 Charts eingestiegen. Aber sie war praktisch am Ende, weil man kein Geld hatte, sie zu promoten. Sie lag irgendwo auf Platz 96."

Larry McBride war eigentlich als Finanzberater tätig gewesen, aber eine Verurteilung wegen einer Überweisungs-Betrugsgeschichte brachte ihn dazu, die Branche zu wechseln. Ein Tatbestand, der ihn sehr schnell noch einholen sollte. Vorerst aber nahm er Kontakt mit Alabama auf und bot ihnen als guter Geschäftmann an, sie innerhalb eines Jahres in die Top 20 der Country Charts zu bringen. Sollte ihm das gelingen, wollte er ihr offizieller Manager/Produzent sein und MDJ dürfte die Songrechte an der Musik übernehmen.

Mit der finanziellen Unterstützung von Larry McBride kam die musikalischen Lawine Alabama dann auch tatsächlich ins Rollen. Innerhalb eines Jahres kletterte 'I Wanna Come Over' bis auf Platz 32 und die Nachfolgesingle 'My Home's In Alabama' erreichte Platz 17. "Es klingt so einfach, aber wir hatten rund $1,6 Mio. in sie investiert", ergänzte Larry McBride.

Aber nun waren auch die großen Labels aufmerksam geworden und im April 1980 unterschrieb die Band bei RCA. Beide bisherigen Singles wurden auf dem dann ersten Major Label Album "My Home's In Alabama" neu veröffentlicht und Larry McBride wurde neben Harold Shedd als Produzent geführt. Noch im Sommer erreichte die 3. Single 'Tennessee River' Platz 1 und der Rest ist Geschichte, wie es so schön heißt.

1981 erschien das Nachfolge-Album "Feels So Right" und wieder war Larry McBride als Produzent vermerkt. Aber es sollte das letzte Mal sein, denn seine Vergangenheit hatte ihn eingeholt. Für die Betrugsgeschichte aus dem Jahre 1978 musst er eine 14 monatige Haftstrafe absitzen. Ein Tatbestand, mit dem die Band Alabama, auf der Schwelle zum Superstar Status, nicht in Verbindung gebracht werden wollte. Folglich trennte man sich. Und Larry McBride erhielt eine Abfindung, deren Höhe nie publik gemacht wurde, aber gerüchteweise eine Zahl mit sehr vielen Nullen gewesen sein soll.

Nun hatte der Geschäftsmann Larry McBride Blut geleckt und wollte die Erfolggeschichte wiederholen. Dazu formierte er 1982 in Nashville eine Country Gruppe, die das ermöglichen sollte. Um dem Erfolgsrezept von Alabama zu folgen, benannte er die Band zwar nicht nach einem US-Bundesstaat, aber nach einer US-Stadt, deren Name sehr ähnlich klang: die Country Gruppe Atlanta war geboren und selbst ihr Logo war dem von Alabama nachempfunden.

Da wo sich Atlanta aber vom Quartett aus Alabama (und allen anderen Country Gruppen bis heute) abhob, war, dass sie aus 9 Mitgliedern bestand. Zwar kam nur 1 Mitglied tatsächlich aus Atlanta, aber alle waren erfahrene Musiker, die sich ihre Sporen quer durch die USA verdient hatten. Das besondere an der Gruppe war der Tatbestand, dass alle 9 Mitglieder auch sangen, was einen nie dagewesenen Harmoniegesang erlaubte.

"Ich war sehr wählerisch in der Zusammenstellung der Gruppe", sagte Larry McBride. "Alle Jungs können Leadstimme singen und die meisten spielen mehrere Instrumente. Das habe ich aus der Erfahrung mit Alabama mitgenommen, wo es nur eine Leadstimme gab und ich immer Angst hatte, er könnte ausfallen."

Damit brachte Atlanta eine Vielseitigkeit auf die Bühne, die es bis dahin nicht gegeben hatte. Auch wenn es gleichzeitig problematisch war, wenn die Bühnen nicht genug Platz boten. Denn meist trat Atlanta mit 2 Schlagzeugsets auf. So durfte auch ich sie 1984 in der Nähe von San Francisco erleben und bis heute hat die Gruppe einen bleibenden Einruck hinterlassen.

Denn 1984 war auch das Jahr in dem das erste Album von Atlanta unter dem Titel "Pictures" erschienen war. Die ersten Singles hatten den Namen Atlanta bereits 1983 bekannt gemacht. Die Songs 'Atlanta Burned Again Last Night' (Platz 9) und 'Dixie Dreaming' (Platz 11) waren bereits in die Top-20 geklettert. Ein noch nie dagewesener Erfolg für eine Gruppe auf einem unabhängigen Label (MDJ von Larry McBride).



Und wie zuvor bei Alabama wiederholte sich die Geschichte. Denn nun trat das Major Label MCA auf den Plan und nahm die Gruppe unter Vertrag. Die nun folgende Single 'Sweet Country Music' wurde mit Platz 5 zu ihrem größten Hit (im Juni 1984). Das Album "Pictures" beinhaltete, wie schon bei Alabam, die im Vorfeld auf MDJ Records veröffentlichten Singles. Atlanta schien in der Tat auf den Spuren von Alabama zu wandeln.



Die Gruppe und das Album waren zweifellos großteils auf dem Reißbrett entstanden. Aber die Umsetzung dessen war viel größer geworden, als man zu hoffen gewagt hatte. Die 9 Musiker hoben sich nicht nur wegen ihres Outfits (Anzüge), die sie auf der Bühne trugen, von anderen Gruppen ab, sondern ganz speziell wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten an Stimmen und an den Instrumenten. Sie brachten einen großen und unverkennbaren Sound auf die Bühne, der einmalig war und es auch geblieben ist.

All das traf zur richtigen Zeit auf ein Album mit außergewöhnlichen Songs. Dabei wirkt das Konzept weniger aufgesetzt, als vielmehr durchgängig und stimmig. Denn das Album beinhaltet Songs rund um Atlanta, als der Stadt aus "Vom Winde verweht", die gleichzeitig als Synonym für den Süden und seine Geschichte steht und den damit verbundenen Emotionen. Es mag schon an einen Marketing-Gag erinnern, dass die erste Single 'Atlanta Burned Again Last Night' all das vereint, inklusive des Namens der Gruppe. Auch wenn es letztendlich im Song nur um die Verführung eines 17-jährigen durch eine 30-jährige geht.

Aber das Album ist voll mit Geschichten, wie das epischen 'Blue Side of the Grey' oder die berührende Ballade mit dem vielleicht besten Harmonie-Refrain, der jemals im Studio aufgenommen wurde ('Sweet Was Our Rose'). Beides Geschichten aus bzw. über den Amerikanischen Bürgerkrieg. Die musikalische Vielseitigkeit zeigt die Gruppe aber auch mit einer beeindruckenden Cover Version von 'Long Cool Woman (In a Black Dress)' (The Hollies), in der die Stimmen über druckvoller Percussion glänzen, oder etwa mit dem bluesigen 'You Are the Wine'.



Ein Album das in seiner Ganzheit über die Jahre hinweg nichts von seiner Faszination verloren hat, außer dass es viel zu schnell vergessen wurde. Denn traurigerweise erreichten die folgenden Singles aus dem Album ('Pictures' und 'Wishful Drinkin') nur mehr knapp die Country Top-40.

So folgte 1985 das zweite Album mit dem simplen Titel "Atlanta". Aber irgendwie war der Faden gerissen. Das Songmaterial des Albums war nur mehr Mittelmaß und auch der kommerzielle Erfolg stellte sich nicht mehr ein. Keine der beiden noch aus dem Album veröffentlichten Singles erreichten die Top-40 der Billboard Country Song Charts. Und so überraschend, wie Atlanta aufgetaucht war, begannen sie wieder aus dem Blickfeld zu verschwinden.



Es folgte kein weiteres Album mehr und als das digitale Zeitalter anbrach, erschienen ihre Alben erst gar nicht mehr im neuen Format (der CD). Man begann Atlanta zu vergessen. Bestand auch meine persönliche Hoffnung noch lange, etwas Neues von Atlanta zu hören, wich sie nun dem Wunsch, wenigstens das außergewöhnliche Album "Pictures" noch in digitaler Form (CD oder als Download) zu besitzen. Aber ich musste beim guten alten Vinyl bleiben.

1991 verstarb Larry McBride, von dem man nach der missglückten Erfolgsgeschichten ohne Happy-End mit Atlanta nichts mehr hörte. 2010 schließlich verstarben mit dem Sänger der Gruppe, Tony Ingram, und Allan Collay, dem bluesigen Vokalisten des Songs 'You Are the Wine' die ersten Mitglieder von Atlanta. Damit war auch der Traum von einer Original-Reunion von Atlanta endgültig ausgeträumt. Nur der Gitarrist von Atlanta, Alan David, versucht auf seinem Blog die Erinerung an die Gruppe lebendig zu erhalten.



Und so erfuhr ich erst durch seinen Blog, dass im Dezember 2016 endlich über Vereinbarungen mit Geffen Records, die Musik von Atlanta den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft hat und nun über alle wichtigen Quellen (u.a. itunes, amazon, spotify) verfügbar ist. Nicht zuletzt Alan David hat eine Vielzahl von TV-Aufnahmen über die Gruppe auf youtube zusammengetragen, die zwar nur in der für heutige Augen nicht mehr gewohnten Qualität der 1980er Jahre verfügbar sind, aber zumindest einen Eindruck von Atlanta zu ihrer besten Zeit geben. Sogar ein HBO-Konzert Special ist da in ganzer Länge verfügbar.

So unerbittlich wie die Zeit, so unbarmherzig ist der Erfolg. Atlanta war ein gewagtes musikalisches Experiment, das für kurze Zeit funktionierte, aber dem traurigerweise keine Langlebigkeit beschieden war. Geblieben jedoch ist ihr zeitloses Album "Pictures", das jetzt, knapp 34 Jahre nach Erscheinen, erstmals und endlich in digitaler Form verfügbar ist.



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