2024: an der Kreuzung von Pop und Country

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"2024 demonstrierten Pop-Künstler ihr Liebe für Country Music, und die Wählerschaft der Grammy Awards honorierte das. Pop und R&B Stars dominierten die Country Grammy Nominierungen, darunter Beyoncé, die als einzige Künstlerin eine Nominierung in allen 4 Country Kategorien erhielt." (Melinda Newman / billboard.com, 8. November 2024)

Eine neue Big & Rich Zeit!

"Dieses eine Mal bin ich mir ganz sicher,
wenn die Zeit abgelaufen ist, dann ist es vorbei.
Und wenn ich zurückblicke, gibt es nichts zu bereuen,
sondern unvergessliche Erinnerungen.
Denn Leben, Lieben und laut Lachen,
ist es nicht das, worum es geht?"
(Did It For the Party / Brandon Day, Big Kenny, Marty Dodson)

Wenn man sich das Cover und den Titel des am 15. September 2017 erschienen brandneuen Albums von Big & Rich ansieht, dann wirkt es sehr vertraut. Denn mitreissende Live Shows und das Kennwort Party stehen ganz oben am Lebenslauf der beiden Künstler John Rich und Kenny Alpine. Aber trotzdem ist diesmal etwas anders als sonst. Eine mehr als gelungene Überraschung!

Über 13 Jahre ist es her, dass die beiden mit ihrem Album "Horse of a Different Color" 2004 das Genre durcheinander wirbelten. Mit musikalischen Einflüssen, die man noch nicht im Country gehört hatte und dem doppeldeutigen Hit 'Ride A Horse (Save A Cowboy)' katapultierten sie sich ganz nach oben. Aber Big & Rich stand nicht nur für Party und Spaß bei lauten Konzerten, sondern auch für Kreativität. Bereits 2001 waren sie in Nashville Mitbegründer einer Underground Songwriter Community, die sich MuzikMafia nannte und Musik schrieb, die sich nicht an Genre-Grenzen hielt.



Bis 2007 folgten zwei weitere erfolgreiche, Major-Label Alben, dann schien die Begeisterung nachzulassen. Dabei kam mit dem dritten Album "Between Raising Hell and Amazing Grace" nicht nur ihr erster und bisher einziger Nummer-1 Hit ('Lost In This Moment', eine fast untypische Ballade), sondern auch noch das außergewöhnlich Mini-Movie Video zum Titelsong des Albums. Und wen hätte man besser für die Hauptrolle des Predigers in diesem Film besetzen können, als Big Kenny persönlich. Dafür gibt es dann auch ein 5-teiliges Making-Of.



Von Anfang an, war das Duo ein Live-Act, dessen Energie und Charisma nur schwer auf Platte zu pressen war. Entsprechend wurden Big & Rich auch nicht die großen Hitparadenstürmer. Selbst die Doppel-Platin Single 'Save A Horse', die die Legende von Big & Rich begründet hatte, kam nur auf Platz 11 in den Billboard Hot Country Song Charts. Der Titel war übrigens der einzige, der sogar in den deutschen Charts auftauchte, nachdem die beiden bei Stefan Raab in TV Total zu Gast gewesen waren.

2008 machten sich dann Auflösungserscheinungen breit. Die beiden kündigten eine Pause an und jeweils ein veröffentlichtes Solo-Album schien das Ende von Big & Rich zu besiegeln, ehe es ganz still um die beiden wurde.

Erst 2011 steuerten sie wieder einen Song zum Soundtrack des Remakes des Kinofilms "Footloose" bei. Dann waren sie 2012 plötzlich wieder mit einem neuen Album zurück. Mit dem schrägen Titel "Hillbilly Jedi" versuchten sie ihr Image wiederzubeleben, aber nur die ernste Ballade 'That's Why I Pray' wurde zum Hit. Irgendwie machte sich Enttäuschung breit, die Luft war draußen. Und so folgte die unvermeidliche Trennung vom Major Label Warner Bros., für das sie seit Beginn ihrer Karriere aufgenommen hatten.



Aber was wie ein Ende klang, wurde zu einem Neuanfang. Die beiden gründeten ihr eigenes Label, Big And Rich Records -kurz B&R Records- und 2 Jahre darauf (2014) erschien ihr 5. Studio-Album "Gravity". Darauf schien Big & Rich gereift zu sein. Ein einziger Titel ('I Came to Git Down') erinnerte an die wilden Zeiten. Für so manchen eine Enttäuschung. Auch bei mir blieb kaum ein Song aus dem Album hängen. Aber mit unermüdlicher Unterstützung des Marketing Labels Thirty Tigers machten sie das Unmögliche möglich und brachten alle 3 veröffentlichten Singles aus dem Album in die Top-20 der Billboard Hot Country Song Charts.

Nun schreiben wir den September 2017 und das 6. Studio-Album von Big & Rich ist veröffentlicht. Und es klingt wie die Wiedergeburt des Duos. "3 Jahre lang haben wir geschrieben, Aufnahmen gemacht und Lieder bei Konzerten getestet", so John Rich zu Billboard Magazine. Rund 30 Songs hatten sie für das Album aufgenommen, am Ende blieben 13 über. "Wir sind so aufgeregt, das Album der Welt vorzustellen!"



Die neu gewonnene Begeisterung hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sie mit "Gravity" ihr berufliches Schicksal ganz in ihre eigenen Hände nahmen. "Jetzt sind wir unser eigener Boss. Wir bestimmen, welche Songs wir als Single veröffentlichen, wann sie erscheinen, wie das Album heißen soll, wann wir auf Tour gehen, einfach alles. Das gefällt uns. Natürlich werden wir nicht immer damit Erfolg haben können, aber wenn es nicht klappt, dann lieber, weil wir selbst eine falsche Entscheidung getroffen haben. Bisher jedenfalls ist bei Big & Rich Records noch nichts schiefgelaufen."

Und all das scheint sich auf das neue Album auszuwirken. Denn es klingt so frisch und neu und abwechslungsreich wie schon lange kein (Big & Rich) Album mehr. Natürlich ist es kein traditionelles Country Album, aber das hätte auch keiner von den beiden erwartet. Dabei ist in den 2010er Jahren das, was Big & Rich macht, schon lange nicht mehr auffällig, weil die Entwicklungen, die sie mit angestoßen haben, sie längst überholt haben.

Heute liefern sie andere Überraschungen. Bereits unter der Oberfläche des vermeintlichen Party-Titelsongs verbirgt sich ein resumierender und zufriedener Blick zurück, auf Zeiten in denen es eben einfach darum ging, Spaß im Leben zu haben. Weil man jung war und es einfach tun wollte. Für Big Kenny waren das zugleich aber auch die Zeiten, aus deren Unbeschwertheit er viel musikalische Kreativität schöpfte.

Man sollte nicht übersehen, dass es auch auf den frühen Alben nicht nur um Party ging, nur weil diese Elemente eben die auffälligsten und lautesten waren. Schon auf dem allerersten Album befindet sich so ein nachdenkliches Jahrhundert-Lied über Leben und Sterben und den Glauben, wie 'Live This Life'.

Auf 'Did It for the Party' trägt jeder der beiden Künstler als Songschreiber zumindest ein eigenes Lied bei, das etwas über das Leben zu sagen hat. John Rich schrieb 'My Son' für seine Söhne. "Da war der Gedanke in meinem Kopf, wenn mir ganz plötzlich etwas zustößt, und ich bin nicht mehr da, was wäre es, dass ich ihnen gerne vermittelt hätte, weil ich glaube, dass es wichtig ist? Es ist ein einfaches Lied, mit wenig Text, aber großer Wirkung. So wie es vielleicht Johnny Cash geschrieben hätte", erzählt er in einem Interview mit The Boot. Aufgenommen mit den Country/Bluegrass/Gospel Stimmen von The Isaacs, bekommt das Lied einen zusätzlichen Gospel-Touch.

'Lie, Cheat or Steal' steuert Big Kenny bei. Und er spielt mit den Titel-Worten und indem er sie im Englischen umdeutet. Aus Lügen, Stehlen und Betrügen wird "steal a kiss, cheat death and lie with the one you love". Eine Redewendung, die er schon jahrelang bei sich trug und nun zu einem Lied verarbeitet hatte. Auch stilistisch täuscht der erste musikalische Eindruck, ebensso wie der Titel über den texlichen Inhalt. Denn glaubt man in den ersten Momenten noch, von Elektronik überrollt zu werden, verwischt die warme Stimme von Big Kenny im nächsten Moment bereits diesen Eindruck.



Überhaupt ist die Produktion des Albums frisch und lebendig. Die Stimmen und Harmonien der beiden stehen ganz klar im Vordergrund. Auch ist nicht mehr diese gleichmäßige Unaufgeregtheit des letzten Albums vorhanden. 'Did It for the Party' atmet und lebt und steckt voller Überraschungen. Da ist wieder Big & Rich, wie man sie kennt, mit Ideen und Elementen, die sie scheinbar aus der Luft greifen und zu ihrem machen. Aber anders als bei anderen aktuellen Chart Hits, lassen sie nichts davon übermächtig werden und alles andere übertönen.

In 'We Came To Rawk' blitzt nicht nur der endlose Humor der beiden auf, wenn sie im langgezogenen Südstaaten-Akzent We Came to Rock umformulieren, sondern auch der Rock n Roll ist da, ohne aber vom Lied vollständig Besitz zu ergreifen. So ist auch 'Funk in the Country' kein Funk, auch wenn man dezente Elemente davon heraushört, wenn man aufmerksam ist. Und selbst der Pop-R&B Ohrwurm 'No Sleep', den man einfach nicht mehr aus dem Gehörgang kriegt, wenn man ihn einmal gehört hat, ist immer noch unverkennbar Big & Rich.

'Congratulations (You're A Rock Star)' ist der modernste Titel auf dem Album, der am ehesten in die heutige Country Radio Landschaft passt. Big & Rich machen daraus in Ansätzen Stadion-Rock mit Bläsern und Hip-Hop Elementen. Aber am Ende kommt immer wieder unverkennbar Big & Rich dabei heraus. Auch bei der Ballade 'The Long Way Home' geht es nicht zuletzt ein wenig autobiografisch um das Leben auf Tour und die Ablenkungen, die sich dem kürzesten Weg nach Hause zu oft in den Weg stellen.

'Smoke in Her Eyes' hat eine geniale Refrain-Melodie, die den Song über das traurige Mädl in der Bar, das den Rauch als Erklärung für ihre Tränen ausgibt, schon jetzt zu einem potentiellen Hit macht. Selten klingt es so glaubwürdig wie bei diesem Album, wenn Big & Rich betonen, wirklich nur die besten Songs für das Album ausgewählt zu haben. Auch wenn am Ende des Tages ja doch nur 3 oder vielleicht 4 davon als Single veröffentlich werden können.

Das Album 'Did It for the Party' ist zweifellos der bisher größte Überraschungshit des Jahres und begeistert von Anfang bis Ende. Und da freut man sich dann doppelt wenn John Rich sagt: "Ich wünsche mir, dass es uns immer geben wird, denn das wofür wir als Duo stehen, die Musik, die wir machen, gibt es kein zweites Mal. Und glaube wird es nie geben. Wir sind einige der wenigen Künstler, für die echte Langlebigkeit möglich ist."

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