Tagebuch einer Songschreiberin

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"Sei aufgeschlossen und höre es an einem ruhigen Ort. Lass dich mitnehmen. Höre es von Anfang bis zum Ende. Ich hoffe, du lernst ein bisschen über mich oder vielleicht auch über dich. Wir alle versuchen das [Leben] zu verstehen oder brauchen auch mal eine Pause davon. Lasst mich euch dabei helfen." (Lanie Gardner / sweetyhigh.com, 25. Oktober 2024)

Bier statt Whiskey?

"Alles wird anders,
das Leben ändert sich aus dem Nichts heraus.
Es ist nur ein Bud Light, aber ist es nicht komisch,
was aus einem Bier so werden kann?"
(One Beer / Hardy, Hillary Lindsey, Jake Mitchell)

Jedes Jahr werden in den USA mit Bier Umsätze in der Höhe von 119 Milliarden Dollar gemacht. Das lässt sich auf rund 100 Liter Jahreskonsumation pro Erwachsenem Amerikaner umrechnen und liefert eine Indikation für die gesellschaftliche Bedeutung dieses Getränks. So ist es auch wenig verwunderlich, dass Country Songs, die Geschichten aus dem Alltagsleben erzählen, nicht daran vorbeikommen, Bier als wiederkehrende Requisite aufzugreifen.

Bis vor kurzem war es jedoch durch ein stärkeres Getränk ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden. Einige der bekanntesten Songs der letzten 5 Jahre bevorzugten nämlich den Whiskey. Wohl ausgelöst durch den epochalen Auftritt von Chris Stapleton und Justin Timberlake bei den 49. CMA Awards 2015 in Nashville wurde der Song 'Tennessee Whiskey' zum Klassiker, der weit über die Genre-Grenzen hinausschwappte. Ungeachtet der Tatsache, dass der Song in der Version von Chris Stapleton bereits die 2. Cover-Version darstellt, ist genau diese Version inzwischen mit 6-fach Platin ausgezeichnet und immer noch gefragt.

Während der Text  von 'Tennessee Whiskey' die Wirkung des Getränks in fast untypischer Weise mit trunkener Verliebtheit vergleicht, wird der Whiskey in Songtexten üblicherweise für seine vergessenmachende Wirkung als Narkotikum eingesetzt. So singt Morgan Wallen in einem der erfolgreichsten Hits aus 2019 ('Whiskey Glasses'): ich möchte nichts mehr fühlen, einfach nur Schluck um Schluck spüren, wie der Schmerz verschwindet.



Auf die Spitze trieben das die Songschreiber des Liedes 'Drowns the Whiskey' (Josh Thompson, Jeff Middleton, Brandon Kinney), mit dem Jason Aldean (und Miranda Lambert im Background) 2018 einen zweiwöchigen Nummer-1 Hit in den Radio (Billboard Country Airplay) Charts hatte. Denn in ihrem Song beschwert er sich darüber, dass die Wirkung des Whiskey nicht stark genug ist, die verlorene Liebe vergessen zu machen:
All die Leute dort in Lynchburg, Tennessee [dem Ort, aus dem der Jack Daniels Whiskey kommt]
arbeiten hart für Jungs wie mich.
So möchte ich nicht der Erste sein, der ihnen sagt,
dass der Stoff, den sie verkaufen,
nicht so funktioniert, wie er sollte.

Seit jeher war Country Music bekannt dafür, dass man in einer Bar zu den traurigen Songs seinen Liebesschmerz aus Selbstmitleid in sein Bier weinen konnte. Bereits 1950 schrieb der legendäre Hank Williams einen Song mit dem Titel 'There's a Tear in My Beer', in dem er erklärt, warum das so ist: da ist eine Träne in meinem Bier, weil ich um dich weine! Der Autor selbst feierte übrigens im Video zu dem Song, den sein Sohn 1989 veröffentlicht hatte, dank Studio-Technik eine damals vielbeachtete Auferstehung.



So entspricht es also nur der Tradition, dass im August 2019 wiedermal ein Song an der Spitze der Radio Charts stand, der sich auf das Bier als guten Freund berief. Mit 'Beer Never Broke My Heart' feierte Luke Combs nicht nur seinen 6. Nummer-1 Hit in Folge, sondern stellte auch unmissverständlich fest, dass auf nichts mehr Verlass ist, als auf ein gutes altes Bier, denn Mädchen haben mich verlassen, Autos gingen kaputt, Hunde sind fortgelaufen, Politiker haben gelogen und selbst mein Boss hat mich schon rausgeschmissen.



Ob der Hit Anlass war, oder ob es Zufall ist - jedenfalls stehen in den Billboard Hot Country Song Charts vom 27. April 2020 gleich 4 Songs, die im Titel das Wort Bier tragen. Interessant ist dabei, dass jeder der Songs, das Getränk in einer anderen Bedeutung verwendet.

Das in den letzten (Bro-Country) Jahren am häufigsten verwendete und am wenigsten kreative Thema greift Newcomer James Rodgers in dem von ihm mitgeschriebenen Song 'Cold Beer Calling My Name' auf. Nämlich, das Bier als Symbol für ein ausgelassenes Wochenende mit ihr. Und für das perfekte Macho-Bild dürfen dann natürlich auch schnelle Autos nicht fehlen (von wegen Don't drink and drive!): weiß nicht, wohin die Nacht noch führt, aber ich will schnell dort sein!
Während der Song also inhaltlich nicht viel hergibt, ist die Melodie eingängig und spätestens Duett-Partner Luke Combs, mit dem James Rodgers auf Tour war, beschert dem Song einiges an Aufmerksamkeit.



In ähnlichen Gefilden bewegt sich 'Beer Can't Fix' mit Thomas Rhett und Jon Pardi. Für sie ist das Bier jedoch mehr das augenzwinkernde Rezept dafür, wie sich alle Probleme einfach lösen lassen: manchmal reicht eines, dann bedarf es sechs davon, jedenfalls einmal ausgetrunken, tut es seine Wirkung. Nicht zuletzt durch das Urlaubsfeeling des Videos spricht der Song aktuell viele an und befindet sich so in den Top-10 der Radio (Billboard Country Airplay) Charts.

Auch von Brad Paisley sitzt ein aktueller Bier-Song in den Charts. Bereits vor einigen Jahren geschrieben, aber erst jetzt anlässlich der Umstände veröffentlicht, macht 'No I in Beer' die Gemeinsamkeit zum Thema: [Bier-]Trinken sollte eigentlich Teamarbeit sein! Bekannt für seine Schlagfertigkeit und seinen Humor, wollte Brad Paisley sein Publikum in der ursprünglichen Version wohl in erster Linie zum Schmunzeln bringen, wenn es da etwa in der Bridge heißt: es gibt kein "du" und kein "ich" im [Wort] Bier, das ist richtig, aber dafür gleich viel Bier in mir und dir!

Da es zur Zeit (speziell in den USA) nicht viel zu lachen gibt, wurde der Song ganz offensichtlich vor der Veröffentlichung durch einige Textzeilen ergänzt, die auf die aktuelle Situation Bezug nehmen:
Es hätte unsere Zeit werden sollen,
uns galt es erst zu schlagen!
Aber jetzt nicht mehr.
Wir schauen auf die Ergebnisse,
in Schock und Ungläubigkeit.

Trotzdem bleibt ein wenig hoffnungsvolle Grundstimmung, wenn es schließlich heißt: es betrifft uns alle zusammen und es gibt ja immer noch ein nächstes Jahr ...




Den Preis für die kreativste Geschichte rund um das Thema Bier gebührt jedoch dem talentierten Songschreiber und inzwischen selbst zum Interpreten gewordenen Hardy. Aus seinem Duetts-Album "Hixtape, Vol. 1" stammt seine aktuelle Single mit dem vieldeutigen Titel 'One Beer', auf dem ihn Lauren Alaina und Devin Dawson stimmlich begleiten. Darin erzählt er, wie das Leben so spielt und wie aus einem einfachen Bier ganz ungeplant eine Familie werden kann:

Ein Bier führt zu einer Zigarette,
die entflammt einen 2-Bier Schwipps.
Drei Bier werden zu fünf und sechs,
und einem betrunkenen Kuss auf dem Rücksitz.
Erst kommt die Lust, dann die verpflichtende Ehe
und sechs Monate später das Baby in der Trage.

Geschickt taucht Hardy gleich in der ersten Strophe mitten in das Geschehen ein:
17 [Jahre] in einer Kleinstadt,
nervös in die Drogerie,
das Badezimmer zugesperrt,
was für ein Gefühl, auf das Testergebnis zu warten.

Erst danach klärt er den Zuhörer darüber auf, um welchen Test es sich handelt und was die Vorgeschichte ist. Ein cleverer Song, zu dem das dramatische Video noch eine zusätzliche Ebene hinzufügt.



Bier ist übrigens nicht das einzige Getränk, das in den aktuellen Charts in einem Songtitel Verwendung findet. Allerdings bevorzugt Luke Bryan 'One Margarita' und Lady Antebellum verlässt sich auf 'Champaign Night'.

Fragt man sich, warum der Alkohol eine so dominante Rolle spielt, hilft es leider auch nicht, bei dem aktuellen Hit von Justine Moore hineinzuhören. Denn auch der vielversprechende Titel 'Why We Drink' liefert keine echte Antwort, sondern lediglich nicht ganz ernstgemeinte Erklärungsversuche:

... weil wir erwachsen sind,
weil wir noch Kinder sind,
weil wir lieben, was unsere Väter gemacht haben,
weil es Alkohol-Missbrauch ist,
wenn wir ihn in den Abfluss schütten,
deshalb trinken wir!
(Why We Drink / Justine Moore, Casey Beathard, David Lee Murphy, Jeremy Stover)


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