Tagebuch einer Songschreiberin

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"Sei aufgeschlossen und höre es an einem ruhigen Ort. Lass dich mitnehmen. Höre es von Anfang bis zum Ende. Ich hoffe, du lernst ein bisschen über mich oder vielleicht auch über dich. Wir alle versuchen das [Leben] zu verstehen oder brauchen auch mal eine Pause davon. Lasst mich euch dabei helfen." (Lanie Gardner / sweetyhigh.com, 25. Oktober 2024)

Silver Bullet

"Ich wälze mich hin und her, als wäre mein Bett ein entgleister Zug,
und die Flügel des Deckenventilators gleichen einem Helikopter,
der auf meinem Plafond landen will.
Die Tropfen in der Spüle klingen, als wären sie aus Blei,
im Eisfach geht eine Lawine ab und die Uhr an der Wand tickt
wie eine Zeitbombe, die jeden Moment losgeht."
(Loud / Jacob Powell, Oscar Charles, Ryan Tyndell)

In der Literatur des 20. Jahrhunderts ist es nur mittels einer Gewehrkugel aus Silber möglich, einen Werwolf zu töten. Auch der Lone Ranger aus der Amerikanischen Fernseh- und Comic-Serie der 1950er Jahre verwendete Geschosse aus Silber als Symbol für die von ihm vertretene Gerechtigkeit. Abgeleitet davon, wird der Begriff Silver Bullet umgangssprachlich auch für Allheilmittel oder Königsweg verwendet. Er führt immer zur Lösung einer problematischen Situation.

1878 gründete der deutsche Einwanderer Adolph Coors im US-Bundesstaat Colorado eine Brauerei, dessen American Lager Bier seinen Geschmack angeblich aus dem reinen Quellwasser der Rocky Mountains erhielt. 1959 brachte Bill Coors, eine Getränkedose aus Aluminium heraus, die vollständig recycelt werden konnte. Die Arbeiter in der Brauerei fühlten sich bald an silberne Geschosse erinnert, als sie die Dosen über die Fließbänder fahren sahen und "Gimme a bullet" wurde rasch zum geflügelten Wort.

Aber erst Ende der 1970er Jahre griff das Marketing den Begriff auf und schuf mit The Silver Bullet eine bis heute legendäre Marke für das Coors Bier in der silbernen Dose, auf der die blaue Silhouette der Rocky Mountains abgebildet ist.

All diese mehrfachen Bedeutungen greift auch Jacob Powell in seinem Song 'Silver Bullet Proof' auf, wenn er hofft, damit seine zerbrochene Liebe vergessen zu können.

Gleichzeitig verwendet er es aber auch als Titel für sein am 22. Februar 2019 vollständig erschienenes Album "Silver Bullet". Vollständig deshalb, weil es eigentlich in mehreren Teilen erschienen ist, wie ein Puzzle, das sich langsam zu einem Gesamtbild zusammensetzt.

Bereits seit dem Herbst 2017 wurden die ersten 7 Songs daraus nach und nach veröffentlicht und schließlich am 27. Juli 2018 in der EP mit dem Titel "Silver" zusammengefasst. Sowohl der Titel, als auch das Cover-Bild deuteten an, dass das irgendwie noch nicht alles war. Aber das Bild vervollständigte sich erst mit der zweiten EP, die nun unter dem Titel "Bullet" erschienen ist. Sie enthält 6 weitere Songs, von denen 4 bisher unveröffentlicht waren. So wird das ganz, was bisher nur halb war, und es zeigt sich ein vollständiges Album mit 13 Songs und dem vollständigen Titel "Silver Bullet".

Während mit 'Stampede' und 'Silver Bullet Proof' bereits 2 Songs Ende des Jahres 2018 erschienen waren, sind die übrigen 4 Titel völlig neu. Sie passen perfekt in das bisherige Bild des Albums, das von emotional aufwühlenden Texten, bissigen Arrangements und der rauhen Stimme von Jacob Powell geprägt ist. Auf 'Routine' etwa empfiehlt der Arzt genau das, um ein gebrochenes Herz zu heilen. Allerdings hat er nicht das gemeint, was der Song dann daraus macht: ein immer wiederkehrendes Vermissen-Trinken-Schlafen. Musikalisch gelingt es, diese endlose Depression mitreissend umzusetzen.

Wie schon bei 'Silver Bullet Proof' wird auch im Midtempo-Song 'Crown' mit überraschenden Wortspielen gearbeitet. Wenn der Refrain fragt, ob sie auch ohne Krone seine Königin sein möchte (will you still be my queen without the crown, when the ice is melted and the whiskey runs out, when the walls come tumbling down), dann steht die Krone für den Crown Royal Whisky. Oder mit anderen Worten für den Alkohol, den er braucht, um unterhaltsam und wortgewandt zu sein, ohne jemanden in sein Inneres blicken zu lassen. Wird sie ihn auch noch mögen, wenn er darauf verzichtet und sich offenbart? Dann wenn der Whisky leer ist und die Eiswürfel geschmolzen sind?

Im melancholischen Ohrwurm 'Vibe' geht es um sie, die nicht mehr da ist. Zwar hat sie alles zurückgelassen, aber es hilft nichts, sich damit auseinanderzusetzen, denn das einzige, das sie mitgenommen hat -und nur das zählt-  ist das Gefühl, die gleiche Wellenlänge, der Vibe.

Das Album endet mit 'Mechanical Bull', einem Song der verblüffend nach Eric Church klingt. Sowohl stimmlich, als auch produktionstechnisch meint man, einen versteckten Titel aus dem aktuellen Album "Desperate Man" zu hören. Es ist eine Hymne daüber, echt und authentisch zu sein. Da wird nicht vorgetäuscht oder nachgeahmt, kein mechanischer Bulle bestiegen, sondern das Risiko einkalkuliert, vom echten Bullen in den Dreck geworfen zu werden. Denn ohne Schmerz gibt es keinen Gewinn: ich reite keine mechanischen Bullen ...

Mit "Silver Bullet" präsentiert sich Jacob Powell als höchst interessanter Künstler, der mit kantig-ausgefallener Produktion auf den Spuren von Eric Church, Erik Dylan und Kip Moore wandelt. Dabei glänzt er wiederholt als Songschreiber, wenn er die Sprache mit all ihren Doppeldeutigkeiten ausleuchtet. Mag sein, dass er wie die genanten Künstler stilistisch kein Hitparaden-Stürmer ist, trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sollte er ganz oben auf der Wunschliste der Major Labels stehen. Denn auch kommerzieller Erfolg spielt sich nicht nur in den Single Charts ab, wovon beispielsweise Chris Stapleton mehr als ein Lied singen kann.

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