Balladen & Bangers: Handshakes in Heaven & Learn About Love

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"Was macht einen Banger? Das wichtigste ist der Hook, den man nicht mehr aus dem Kopf kriegt, nachdem man den Song nur einmal gehört hat. Außerdem hat er einen festen Beat, zu dem man sich einfach bewegen muss. Und Wiedererkennung ist ebenfalls ein Schlüssel." (DJ Rinehart / deepinthemix.com, 23. Juli 2023)

Verzweifelt

"Es ist eine Weile her und ich muss sagen, ich habe euch vermisst. Aber ich habe gute Nachrichten: das Album ist fertig und wir sind zurück! Es heißt "Desperate Man" und die erste Single heißt 'Desperate Man'.
Und wie schon das letzte Mal werden alle im [Fanclub] Church Choir am 5. Oktober das Album erhalten. Ich freue mich darauf, euch alle wieder auf Tour zu sehen."
(Eric Church / ericchurch.com / youtube, 12. Juli 2018)

Am 3. November 2015 hatte Eric Church sein bisher letztes Album völlig überraschend und unvorangekündigt veröffentlicht. Alle Mitglieder seines Fanclubs -treffenderweise Kirchenchor genannt- erhielten "Mr. Misunderstood" unaufgefordert zugesandt. Nicht oft geschieht es, dass ein Projekt mit so wenig Vorbereitungszeit so erfolgreich ist und damit den Spruch "Gut Ding braucht Weile" widerlegt.

Bereits 2015 war das Album in unzähligen Bestenlisten aufgetaucht und nachdem es 2016 als "Album of the Year" bei den ACM-Awards nur für die Nominierung reichte, gewann es den Titel dann doch noch bei den Country Music Association (CMA) - Awards fast genau 1 Jahr nach Erscheinen. 3 von vier veröffentlichten Singles aus dem Album erreichten die Top-10 in den Radio (Billboard Country Airplay) Charts, darunter 'Record Year' Platz 1.

Lediglich der Titelsong blieb, wie schon beim vorhergehenden Album "The Outsiders", außerhalb der Top-10 hängen. Zu wenig kommerziell, zu wenig ins Ohr gehend war offenbar der sehr textlastige Song über das Heranwachsen und der Zufluchtsuche in der Musik. Dabei ist 'Mr. Misunderstood'  eine ehrlichere Auseinandersetzung mit dem Außenseiter-Thema als der ausgestreckte Mittelfinger von 'The Outsiders'. Gleichzeitig ist er nicht nur dessen Weiterentwicklung, sondern liefert auch einen Aufhänger für die neue Single, wenn es im Text von 'Mr. Misunderstood' heißt:

"... deine Freunde stehen auf Top-40 im Radio,
aber du liebst die Schallplatten deines Vaters,
echter alter Rock and Roll,
Elvis Costello, Ray Wylie Hubbard, oder auch Jeff Tweedy."

Zwar stehen alle 3 erwähnten Künstler in Beziehung zum Thema des Liedes, weil sie Songs über das Anders-Sein veröffentlicht haben: Elvis Costello eine Cover-Version von Nina Simone's 'Don't Let Me Be Misunderstood', Jeff Tweedy von der Alt-Country Formation Wilco den Titel 'Misunderstood' und Ray Wylie Hubbard den Song 'Screw You, We’re from Texas'. Aber letzterer taucht auch wieder auf als Co-Autor des neuen Eric Church Songs 'Desperate Man'.


Auf der (verzweifelten) Suche nach Themen für das kommende Album, wandte sich Eric Church an Ray Wylie Hubbard, mit der Idee, gemeinsam ein Lied über einen verzweifelten Mann zu schreiben. Gemäß Twitter stieg dieser sofort darauf ein, indem er meinte: "Ich war einmal so verzweifelt, dass ich zu einer Wahrsagerin ging, um meine Zukunft zu erfahren. Und sie sagte mir, ich hätte keine!" Damit war die Hauptstrophe auch schon getextet.


Der Rest des Songs ist ein Groove, der zwar viele mit seinem boo-boo-boo nerven wird, der aber letztendlich doch seinen Weg in die Gehirnwindungen des Zuhörers findet. Mannigfaltige Versuche, das Lied mit Bekanntem zu vergleichen, kursieren in den Medien. Da wird funkiger Soul und Southern Rock, die 1970er oder 'Sympathy for the Devil' von den Rolling Stones genannt. Stilistisch lässt sich Eric Church eben weiterhin in kein Klischee pressen.

Das was dem Lied an textlicher Erzählung fehlt, findet sich dafür in dem am 17. Juli 2018 veröffentlichten Video zur Single. Auf den ersten Blick wirkt dieses wie ein Drogen-Thriller im Stile von "Breaking Bad", entpuppt sich in Folge jedoch als geschickte Abwandlung davon. Nicht um Drogen, sondern um die Produktion des neuen Albums geht es. Der wertvolle Stoff ist demnach Vynil in bester Qualität und der muss in veredelter Form möglichst rasch zu den Kunden, bevor das Einsatzteam der Behörden (in dieser Abwandlung nicht das FBI, sondern die 3 Buchstaben des Labels von Eric Church, EMI) es stoppen können. Aber sie kommen zu spät, denn mittels Flugzeug ist die Auslieferung bereits passiert und alle Beweismittel sind vernichtet.

Im Video spielt nicht nur Eric Church die Hauptrolle, sondern auch Ray Wylie Hubbard ist in einer Nebenrolle zu sehen. Der inzwischen 71-jährige, Texas-Country-Folk Künstler ist seit den 1960er Jahren als Songschreiber und Musiker aktiv und längst zu so etwas wie einer Legende in Texas geworden. Bekannt für Texte mit beissendem Humor war sein erstes Album 1976 mit dem Titel "Ray Wylie Hubbard and the Cowboy Twinkies" erschienen. Neben einer Biografie 2015, hatte er 2017 bereits sein 17. Album mit einem nicht weniger ungewöhnlichen Titel veröffentlicht: "Tell The Devil That I'm Getting There As Fast As I Can".

Aber auch dramatische Themen kennt Ray Wylie Hubbard in seinen Songs. So fand sein düstere Ballade 'Dust of the Chase' (aus dem Album "Delirium Tremolos") einen Platz auf dem Soundtrack zum hochgelobten, modernen Texas Western "Hell or High Water" von David Mackenzie mit u.a. Jeff Bridges.




11 Songs wird das neue Album von Eric Church beinhalten, wenn es am 5. Oktober 2018 erscheint. Auf Instagram gibt es die ersten Ausschnitte weiterer Songs zu hören. Für Mitglieder des Fanclubs Church Choir gibt es sie bereits in voller Länge. Das melancholische 'Some of It' geht besonders schnell ins Ohr, während sich das soulig-rythmische 'Hangin' Around' noch nicht so recht einordnen lässt.



1972 machte die Rockgruppe Dr. Hook & the Medicine Show den von Shel Silverstein geschriebenen Song 'The Cover of Rolling Stone' zum Hit. Auf dem Cover des Rolling Stone Magazines zu erscheinen war das ultimative Ziel und der Beweis, es als Künstler geschafft zu haben. Über 45 Jahre später ist da noch immer ein Stückchen Wahrheit enthalten, denn nicht jeder Künstler kann von sich behaupten eine Titelgeschichte für das Rolling Stone Magazine wert gewesen zu sein.

Eric Church gehört seit 25. Juli 2018 jedenfalls dazu. In einem ausführlichen Interview spricht er darin durchaus kontroversielle Themen wie Waffengesetze, die NRA oder das politisch-wirtschaftlichen Klima im Lande an. Seine für manche dabei überraschend liberalen Ansichten haben in Folge zu hitzigen Diskussionen geführt. Ebenso die Kritik an Garth Brooks und der Tatsache, dass dieser bei den CMA-Awards 2018 nur mit Playback aufgetreten war.

Eric Church möchte bekannt dafür sein, seinen eigenen Weg zu gehen und seine eigene Meinung kund zu tun. Nicht immer gelingt das authentisch, manchmal schwingt auch kommerzielles Kalkül mit. Aber schließlich verdient er sich seinen Lebensunterhalt damit und da darf es schon als akzeptabel gelten, dass man sich in einem heftig umkämpften Umfeld mit Wiedererkenungswert positionieren möchte. Ganz besonders dann, wenn das künstlerische Ergebnis dann so gelungen ist, wie das letzte Album "Mr. Misunderstood". Spätestens am 5. Oktober 2018 werden wir dazu mehr sagen können.

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