Kaltes Bier & der King der Country Music

Bild
"Das ist es, was gute Musik ausmacht. Sie fasst das in Worte und Melodien, was Menschen oft schwer fällt, mit eigenen Worten zu sagen. Aber wenn sie den richtigen Song hören, dann fühlen sie sich verstanden. Ich denke, das ist ganz entscheidend." (Zach Top / americansongwriter.com, 5. April 2024)

Rotes Halstuch

"Sohn, es ist an der Zeit, dass du deinen "Red Headed Stranger" - Moment bekommst. Das war der Moment, als Willie [Nelson] endlich seine Anwesenheit in der Country Music verkündete und dass seine Zeit gekommen war. Er war in seinen frühen 40er Jahren, als er endlich WILIIE wurde. Es ist an der Zeit, dass du auch dieses Album machst und die Welt wissen lässt: Hier bin ich!"
(Stories Behind New Album "Red Bandana" / www.allaccess.com, 21. Juni 2019)

Nur widerstrebend veröffentlichte Columbia Records im Mai 1975 das Konzept-Album "Red Headed Stranger". Es war das bereits 18. Studioalbum des damals 42-jährigen, wenig bekannten Country Sängers Willie Nelson und das Label gab dem Projekt mit seiner Geschichte über einen rothaarigen Prediger im Wilden Westen wenig Chancen, daran etwas zu ändern.

Doch das Leben spielte anders. Das Album wurde nicht nur ein überwältigender kommerzieller Erfolg und zum ersten Meilenstein auf dem Weg von Willie Nelson zum Superstar, sondern es gilt bis heute als eines der besten Country-Alben aller Zeiten und das Rolling Stone Magazine listet es 2004 sogar unter den 200 besten Alben aller Genres.

Eigentlich lässt sich gar nicht mehr Druck nach oben aufbauen, als es hier Vater Watson mit seiner Erwartungshaltung bei seinem Sohn Aaron Watson offenbar tut. In der Annahme, dass die Geschichte wahr und nicht nur eine gewiefte PR-Masche ist, sollte sie wohl als Ansporn und Motivation gedacht sein. Ansporn und Motivation für seinen Sohn, der bereits 15 Alben veröffentlicht hatte und im August 2019 -wie passend- seinen 42. Geburtstag feiern wird.

Mit 21. Juni 2019 ist dieses Album nun erschienen und es ist in vielerlei Hinsicht höchst bemerkenswert. Ein Umstand, der auch damit zusammenhängt, dass der Texaner Aaron Watson aus der Not eine Tugend gemacht hat, und konsequent seinen Weg als unabhängiger Künstler ohne Plattenvertrag geht. Auch wenn die heimliche Sehnsucht nach Anerkennung außerhalb von Texas (konkret: im kommerziellen Zentrum der Country Music Nashville) immer wieder thematisch auftaucht.

2015 war ihm das erstmals mit seinem Album und dem treffenden Namen "Underdog" gelungen, als es auf Platz 1 der Billboard Country Album Charts eingestiegen war. Das Nachfolgeprojekt "Vaquero" erreichte im vergangenen Jahr sogar die Top 10 der Pop-Album Charts und brachte ihm mit 'Outta Style' endlich auch den ersten Top-10 Hit in den Radio (Billboard Country Airplay) Charts. Eine Entwicklung, die nun das neueste Projekt fortsetzen soll.

Es fällt schwer, nicht beeindruckt zu sein, von der spürbaren Energie, die Aaron Watson investiert hat, aber auch von der Fülle an Überlegungen, die eingeflossen sind, um in der Tat so etwas wie ein Konzept-Album daraus zu machen. Das ist keine in einem kurzen Jahr zusammengewürfelte Sammlung an Liedern, sondern hier hat alles seinen wohl überlegten Grund und eine zugehörige Geschichte, warum das Album so aufgebaut ist, wie nun vorliegt.



Das beginnt mit dem Cover, auf dem sich keine große Titelbeschriftung befindet, sondern lediglich ein Bild davon: einem roten Halstuch (mit kleinem Aufdruck von Titel und Interpret). Dieses ist nicht nur ein geschicktes Marketing-Beiwerk, das sich als Teil der Red Bandana Packages auch über die Homepage verkaufen lässt (schließlich ist Aaron Watson ja als unabhängiger Künstler auf seinen eigenen Geschäftssinn angewiesen), sondern es ist in erster Linie sein persönliches Markenzeichen, das er bei seinen Konzerten auch trägt.

Und dazu ist es geworden, weil es ihm einst sein Vater geschenkt hatte. Ein Vater, der als Versehrter aus dem Vietnam Krieg heimgekehrt war und plötzlich auf Hausmeister-Jobs angewiesen war, um seine Familie erhalten zu können. In einem Interview mit People Magazine beschreibt Aaron Watson, wie prägend die Erfahrung und Lebenseinstellung seines Vaters für ihn selbst war.

"Er sagte zu mir: Glaubst du, ich wollte wirklich mal Toiletten putzen, um einen Lebensunterhalt zu verdienen? Hör zu - ich wurde im Krieg verwundet. Das war nicht geplant, aber so ist das jetzt, und Gott hat mir diesen Job ermöglicht, damit ich meine Familie versorgen kann. Deshalb bin ich dankbar für diesen Job und werden dafür mein bestmöglichstes geben."

Das Album "Red Bandana" beinhaltet die ungewöhnliche Anzahl von 20 Titeln. Auch dahinter steckt eine Überlegung. Ist es doch genau 20 Jahre her, dass sein erstes Album erschienen ist. Er möchte jedoch seinem Publikum damit nicht nur symbolisch 1 Song für jedes Jahr seiner Karriere geben, sondern er hat konsequenterweise auch jeden einzelnen Song davon selbst geschrieben. Und zwar selbst im Sinne von ganz alleine und ohne die sonst üblichen Co-Authoren.

Damit wird es zu einem wirklich persönlichen Werk, das er nicht nur inhaltlich selbst konzipiert hat, sondern auch in seiner Gesamtheit, wie er im Interview mit Billboard Magazine erklärt: "Ich wollte den Fans einen Blick durch das Fenster meiner Seele gewähren und ich wollte, dass es filmreif ist." Und damit nimmt er Bezug auf den Konzept-Aspekt des Albums, den man ihm zweifellos nicht ganz absprechen kann.

"Ich liebe Pink Flyod Alben und wie sie ihre Songs miteinander verknüpfen, so dass das Album im dauernden Fluss ist. Das ganze Album wird zu einem gewaltigen, durchgängigen Titel. Es gibt Segmente, nämlich die Songs, aber das Ganze ist durchgängig. So wie es die Beach Boys mit Pet Sounds machten und die Beatles mit Abbey Road. Ich wollte, dass die Leute, wenn sie sich das Album anhören, mit Überraschung feststellen, dass sie schon beim letzten Song angekommen sind."

1983 veröffentlichte David Allan Coe die Single 'The Ride' von seinem Album "Castles in the Sand". Der von J.B. Detterline und G. Gentry geschriebene Song kletterte bis auf Platz 4 in den Billboard Hot Country Song Charts und wurde zu einem seiner größten Hits, den später sowohl Hank Williams Jr., als auch Tim McGraw als Live-Versionen coverten.

Der gespenstische Titel handelt von einem Autostopper, der sich in Folge als der verstorbene Hank Williams herausstellt. Im Refrain betont dieser dann, worum es in ehrlicher Musik gehen sollte: kannst du die Leute zum Weinen bringen, wenn du spielst und singst, kannst du sie damit fühlen lassen, was du fühlst?

Aaron Watson beginnt sein Album mit einer alternativen Version von 'The Ride', die sein Mission-Statement ausruft, worum es ihm mit seiner Musik geht. Entsprechend dem Titel 'Ghost of Guy Clark' ist es bei Watson der ebenfalls verstorbene, legendäre Songschreiber Guy Clark, dem er die Worte in den Mund legt:
"Du musst sie fühlen lassen, was du fühlst,
ihnen helfen, ihre Träume zu träumen,
mach sie neugierig auf das Unmögliche,
lass sie den Regen riechen und den Donner hören,
lass sie Freudentränen kosten oder die bittersüße Sünde,
die Leidenschaft in der Liebe oder im Amen am Sonntagmorgen finden."
(Ghost of Guy Clark / Aaron Watson)

Ein wenig Verbitterung ist jedoch nicht zu überhören, wenn er Guy Clark über die aktuellen Hits und ihre Macher festhalten lässt:
Da ist kein Sinn in der Melodie,
so vorhersehbar und schwach,
vergeudete Worte und oberflächliche Reime.
Und manche tun es nur für Ruhm, zum Spaß, für Geld und Ehre.

Aaron Watson beschreibt den Einstieg in das Album im Interview mit musicrow.com: "Das erste Lied ist mein Manifesto. Ich meine, wer veröffentlicht ein Album, nachdem er einen Top 40 Radio Hit hatte und der erste Song hat nicht mal einen Refrain? Und das zweite Stück ist eine Instrumentalnummer, die ich geschrieben habe, mit dem Titel Der Anfang der Reise ('El Comienzo Del Viaje')."

Das Western-Thema mündet ansatzlos in 'Dark Horse', einen Titel, den er für seine Kinder geschrieben hat, wie er sagt, der aber vorallem eine Beschreibung seiner Karriere ist und voller bissiger Aufmunterung steckt, wenn er (das englische Wort underdog für Außenseiter, in das Hunde-Umfeld transplantiert und) singt: das hier ist für die Außenseiter, die keine Angst haben, sich zur Wehr zu setzen, die Spielregeln zu ändern, die Ketten zu zerreissen, von der Veranda zu springen und zuzubeißen. Da lässt er dann sogar Eminem im Abschluss-Refrain hören.

Stilistisch und thematisch ist 'Old Friend' dem 2017 verstorbenen Tom Petty gewidmet. Der Song will aber nicht nur erinnern, sondern auch an eine Menschlichkeit appellieren, die nicht Anlass für Konflikt sein soll, sondern für Gemeinsamkeit:
"Wir alle haben unsere Probleme, unsere Schmerzen,
jede hat seine Version von Cocaine.
Linker Flügel oder rechter Flügel, man braucht beide, um zu fliegen.
Könnt ihr nicht die Kinder singen hören?
Rot und gelb, schwarz und weiß,
hört auf mit dem Streiten, kommt zusammen und singt mit,
ich denke wir sind alle einer Meinung,
dass wir einen Tom Petty Song lieben."
(Old Friend / Aaron Watson)



Seinen Eltern gewidmet ist die traditionelle Ballade 'Country Radio'. Die Klänge aus dem Radio werden dort zum Soundtrack für glückliche Kindheitserinnerungen. Nicht weniger traditionell klingt 'Am I Amarillo' über eine zerbrechende Beziehung, in der der Protagonist bereit ist, überallhin zu gehen, wenn sie sich gerade hier nicht mehr zu Hause fühlt. Vielleicht klappt es ja in Amarillo besser?



Ein Ausritt mit dem inzwischen 80-jährigen Western-Poeten Red Steagall führte zum Song 'Riding With Red': "Wir ritten einfach nebeneinander her, ich und Red. Und er gab mir all sein Wissen weiter und Ratschläge für das Leben. Es war einfach unglaublich. Und als wir zurück waren und mich meine Frau fragte, wie es war, sagte ich: es war das Großartigste, mit Red auszureiten."



Der Song fließt unmittelbar in das dem Album seinen Titel gebende Herzstück, 'Red Bandana'. Aaron Watson bringt es mit knappen Worten auf den Punkt: "Eigentlich singe ich da nicht. Eigentlich lese ich ein Cowboy-Gedicht und es ist einfach nur episch. Es ist, wie ein Stück aus einem Kinofilm."

Das Uptempo 'Trying Like The Devil' beginnt mit dem Klang eines vorbeibrausenden Zuges. Eine Aufnahme des Zuges, der jeden Tag am Haus von Aaron Watson vorbeifährt. Das ist aber nicht der einzige persönliche Aspekt des Songs. Sondern mit ihm versucht er klar zu machen, dass auch er nur menschlich und nicht vor Problemen gefeit ist:
"Gib acht auf die Scherben,
solltest du durch das Fenster meine Seele schauen wollen.
Und verurteile mich nicht,
ich zeig dir alles nur, damit du weißt,
du bist nicht alleine.
Auch ich versuche verdammt noch mal
ein besserer Mensch zu sein."
(Trying Like The Devil / Aaron Watson)

Das Wortspiel im Englischen zwischen devil und good man ist eines von vielen, die das Songschreiber-Talent von Aaron Watson offenbaren. Am Ende ist jedoch immer das Echo des Publikums das Wichtigste für einen Künstler. Besser als jeder Preis, den man bekommt, wie Aaron Watson versichert, als er von einem Besucher berichtet, der nach einer Show auf ihn zugekommen war und ihm von seinen Depressionen und PTSD erzählt hatte: "Ich wollte dir nur sagen, dass dein Song 'Trying Like The Devil' mir wirklich gegen meine Selbstmordgedanken und bei meinen persönlichen Bemühungen geholfen hat."



Rockig und bereit für die Charts präsentiert sich 'Live Or Die Trying'. Ein Song, der vor Motivation strotzt. Ganz besonder im letzten Refrain, der nicht nur auf seine eigene Karriere anspielt, sondern auch darauf, dass man erst dann weiß, ob man etwas nicht kann, nachdem man es probiert hat:
"Gegen alle Wahrscheinlichkeiten,
trotze ich der Schwerkraft
und erhebe mich über all die Negativität.
Es ist eine lange Liste von Dingen,
von denen es hieß, ich könnte sie nicht tun.
Ich wusste nicht, dass ich nicht fliegen konnte,
also flog ich."
(Live Or Die Trying / Aaron Watson)

Aaron Watson ist als Singer-Songwriter in der Texas Musikszene aufgewachsen, aber er hat sich nun darüberhinaus erhoben und zeigt mit diesem Album, dass er längst Material zu liefern im Stande ist, das auch kommerzielle Hits sein können. Songs wie 'Burn Em Down', 'Shake a Hearache' oder 'You On My Hands' sind modern arrangiert und könnten auch Nicht-Country Fans überraschen.

Im Interview mit musicrow.com bringt er es auf den Punkt, wenn er meint, dass Abwechslung ebenso zu einem guten Album gehört, wie auch wir uns nicht immer in derselben Stimmung befinden: "Wenn man 20 Songs auf einem Album hat, dann darf es da keine Monotonie geben - da muss es kinoreife Momente geben, Gefühle, fröhlich, traurig, schnell, langsam, man muss die Zuhörer auf eine Reise mitnehmen."

Eine Reise, die mit einem emotionalen Schlusspunkt endet. Für sein Album "Underdog" hatte er einen Song für seine jung verstorbene Tochter Julia ('Bluebonnets') geschrieben. Als ihn Fans nach der Las Vegas Tragödie auf dem Route 91 Festival angesprochen hatten, ob er nicht auch ein Lied für die Opfer von Las Vegas schreiben könnte, machte er genau das.

Der Song '58' ist ein denkwürdiger Nachsatz an die 58 Opfer von Las Vegas, der genau 58 Sekunden lang ist. Damit beendet Aaron Watson ein außergewöhnliches Projekt, das nahe an ein echtes Konzept-Album herankommt. Mit 71 Minuten bietet es mehr an Musik, als selbst dieser detailierte Review widergeben kann. Aber vielleicht liefern die Hintergrundinformation einen Anstoss, mehr als nur ein bisschen in das Werk hineinzuhören. Aaron Watson hätte es sich verdient.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Schlafzimmer-Song

Du wirst an mich denken!

Whiskey wegen dir

Reggae Stiefel

Irland

Garthquake