Tagebuch einer Songschreiberin

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"Sei aufgeschlossen und höre es an einem ruhigen Ort. Lass dich mitnehmen. Höre es von Anfang bis zum Ende. Ich hoffe, du lernst ein bisschen über mich oder vielleicht auch über dich. Wir alle versuchen das [Leben] zu verstehen oder brauchen auch mal eine Pause davon. Lasst mich euch dabei helfen." (Lanie Gardner / sweetyhigh.com, 25. Oktober 2024)

International

"Lange stigmatisiert als engstirnig und Amerika-fokusiert, findet Country, nachdem es viele seiner altmodischen "Country und Western" Images abgeschüttelt hat, eine neue Generation loyaler Fans in Großbritannien, Europa und Australien/Asien, wo es auf Playlisten kommerzieller Radiostationen auftaucht und von Meinungsmachern wie Vice, i-D und NME vertreten wird."
(Jon Chapple: How Country Music Conquered the World / iq-mag.net, 13. März 2019)

Dass Shania Twain 2018 auf ihrer 87 Stationen umfassenden Tour rund $ 70 Mio. umgesetzt hat mag nicht wirklich überraschen. Auch nicht, dass sie das mit Konzerten auf 4 Kontinenten schaffte, denn schließlich war sie in den 1990er Jahren ein weltweites Phänomen.

Schon eher bemerkenswert ist, dass Keith Urban mit seiner Graffiti-U World Tour 2018/19 auf 3 Kontinenten aufgetreten ist. Zwar fand der Haupteil seiner Tournee natürlich in den ganz großen und meist ausverkauften Hallen Nordamerikas statt, aber immerhin konnte man ihn nicht nur in seiner Heimat Australien live erleben, sondern so gut wie zum ersten Mal auch in Europa (im Rahmen des C2C-Festivals). Und es soll nicht das letzte Mal gewesen sein, wie er zumindest auf Twitter versicherte.

Es tut sich was auf internationalen Bühnen. Laut Akiko Rogers von der WME Entertainment Agentur in Nashville hatte man 2009 noch genau 27 internationale Konzertauftritte für Country Künstler vermittelt, im vergangenen Jahr waren es bereits rund 400. Auch wenn es immer schwieriger wird, sich dabei auf ein Genre festzulegen. Längst ist nicht mehr alles, was aus Nashville kommt, auch als Country erkennbar oder wird einfach dem Americana-Subgenre zugeordnet. Aber speziell für internationale Engegements ist das eher ein Vorteil als ein Hindernis. Denn so steht ganz unvoreingenommen der Künstler im Zentrum und weniger das Genre.

So bestätigte Gary Borman, CEO von Borman Entertainment, gegenüber Billboard Magazine: "Man kann heute einen Künstler oder seine Musik nicht mehr so einfach nur durch ein Genre oder Herkunftsland definieren. Der Einfluss von Streaming und Social Media führt dazu, dass die Grenzen von Genre und Nationalität, die [bisher] Musik definiert und segmentiert haben, sich aufzulösen beginnen."

Viele sehen das Jahr 2013 als den Startpunkt der internationalen Expansion von Country. Damals fand das erste Country-to-Country (C2C) Festival im O2 in London statt und brachte Carrie Underwood und Tim McGraw erstmals über den großen Teich. Nur 5 Jahre später ist das Festival nach Irland, Schottland, Holland und Deutschland expandiert und ganz Großbritannien erfreut sich an regelmäßigem Star-Besuch aus den USA.

Chris York von SJM Concerts, der gemeinsam mit AEG das C2C-Festival ins Leben gerufen hatte, demonstriert die Entwicklung und den Erfolg, wenn er sagt: "2018 haben wir alleine in London 45.000 Karten [für C2C] verkauft. Das wäre vor 4 oder 5 Jahren noch völlig undenkbar gewesen." Damit gibt es also nachweislich eine Nachfrage, die auch eine kommerzielle Ausweitung des Angebotes attraktiv macht. Auch wenn dafür, wie in jedem Geschäftsmodell, eine entsprechende Anfangsinvestition notwendig ist, um letztendlich in die Gewinnphase zu gelangen.

Entsprechend ist die Marke Carrie Underwood inzwischen soweit gereift, dass sie 6 Jahre nach ihrem ersten C2C-Auftritt (2013) im Juni 2019 ihre aktuelle Cry Pretty Tour 360 nach Großbritannien bringt. So gibt sie in der Woche vom 28. Juni gleich 5 Konzerte in England, Wales und Schottland. Und dabei begnügt sie sich nicht mehr mit kleinen Club-Auftritten. Keine der Veranstaltungshallen, in denen sie auftritt, fasst weniger als 10.000 Plätze, was schon der Größenordnung ihrer US-Konzerte entspricht. Nicht zuletzt die Anforderungen für die Technik ihrer spektakulären Shows machen das notwendig.

Und weil sie schon mal da ist, schaut sie am 29. Juni auch noch beim renommierten Glastonbury Musikfestival in Somerset, England vorbei. Dort sind zwar Stormzy, The Killers und The Cure die Headliner, aber so wie für Kylie Minogue, Janet Jackson oder George Ezra ist es auch für Carrie Underwood eine Chance, dort sowohl neue Fans zu gewinnen, als auch eine Bestätigung für die vorhandene Nachfrage und Akzeptanz im Kreise längst bekannter Weltstars zu finden.

Die meisten Country Stars sind verunsichert, wenn sie die vertrauten Grenzen von Nordamerika verlassen, weil sie nicht so recht wissen, was sie zu erwarten haben. Wie sehr ist das Publikum mit ihrer Musik vertraut? Wie sieht es mit der Sprache aus? Wie sehr müssen sie wieder ganz unten in kleinen Clubs anfangen, wo sie doch in den USA längst Hallen füllen? Ganz abgesehen vom Kostenaspekt eines internationalen Auftritts und dem Einkommensverlust durch nicht veranstaltete Konzerte in den USA.

Je mehr jedoch, vielfach noch aufstrebende Künstler nach Europa kommen (und da bietet Großbritannien durch die größere Nähe und gleiche Sprachgrundlage die naheliegendste Option), umso mehr bringen sie begeistertes Feedback in die USA zurück. Es trifft sie völlig unerwartet, dass die Fans außerhalb der USA oft textsicherer scheinen, als das Publikum zu Hause. Und speziell, dass sie viel aufmerksamer und interessierter an der Musik selbst zu sein scheinen. Zweifellos ein Hinweis auf ein ausgehungertes Publikum, das jahrelang nur Zaungast war.

Kip Moore ist einer der Künstler, der inzwischen mit Begeisterung und Freude nach Großbritannien kommt. Heuer gleich zweimal. Nach den Mai-Konzerten seiner Room to Spare (Accoustic Tour) wird er -wenn auch nur für 3 Shows- im September im Rahmen des Long Road Festivals nocheinmal da sein. Milly Olykan von der Country Music Association (CMA) verweist auf das Internet, die Fernsehserie Nashville und Taylor Swift als die Auslöser für die gestiegene Nachfrage.

Auch Anna-Sophie Mertens von der Konzertagentur Live Nation bestätigt, dass immer mehr US-Country-Künstler aktives Interesse an Konzerten in Großbritannien zeigen. Dazu kommt die Radio-Promotionmöglichkeit über BBC, was nicht nur die Nachfrage ankurbelt, sondern wiederum das Tournee-Angebot weiter erhöht. Ein gesunder, sich selbst befruchtender Kreislauf.

2018 hat diese Expansionswelle erstmals begonnen, in größerem Maß über den Kanal nach Kontinentaleuropa überzuschwappen. Speziell in Deutschland hatte sich im vergangenen Jahr bereits eine beachtliche Dichte an Club-Auftritten von mehr oder weniger bekannten US-Stars entwickelt. Berlin und Hamburg waren dabei ganz klare Vorreiter. So war es schon fast logisch, dass auch das erste C2C-Festival in Deutschland im März 2019 in Berlin veranstaltet wurde.

Das 3-tägige Festival wurde dafür zwar auf 2 Tage geschrumpft, was dazu führte, dass zum Bedauern vieler Chris Stapleton nur in Großbritannien mit dabei war, aber nicht in Berlin. Trotzdem wurde das Festival laut Veranstalter ein durchschlagender Erfolg. Mit 7.000 verkauften Karten war die Haupthalle ausverkauft und innerhalb kürzester Zeit stand fest: C2C kommt auch im März 2020 wieder nach Berlin, diesmal aber ganz selbstbewusst ebenfalls für 3 Tage.

Ähnlich wie in Großbritannien scheint auch in Deutschland das C2C-Festival wie ein Katalysator zu wirken. So hat der renommierte Konzertveranstalter Semmel Concerts unter dem Titel "Sound of Nashville" eine neue Konzertserie ins Leben gerufen und verspricht: "In unterschiedlichen deutschen Metropolen begeistern ab jetzt regelmäßig Country-Stars und Newcomer der Country-Szene mit einem Live-Akustik-Set in intimer Club-Atmosphäre".

Köln, Hamburg, Berlin, München, Köln und Frankfurt wurden als Austragungsorte gewählt und die Liste der angekündigten Künstler zeigt, dass hier nicht mit interessanten Namen gegeizt wird. Einige davon sind noch völlig unbekannt, einige kennt man bzw. haben bei C2C bereits einen ersten positiven Eindruck vor Ort hinterlassen. So etwa Logan Mize, der ähnlich wie Kip Moore in Großbritannien, mit Begeisterung heuer gleich zweimal in Deutschland ist.

Die vielleicht größte Überraschung ist aber der Auftritt von Old Dominion, die als Gruppe des Jahres der Academy of Country Music (ACM) ihre Make It Sweet Tour auch auf Europa ausdehnen. Benannt nach ihrem aktuellen Nummer 1 Hit 'Make It Sweet' aus dem kommenden Album, wird die Band im Oktober in Berlin und Köln in mittelgroßen Clubs auftreten.

Dabei bringen sie auch gleich Jordan Davis mit, werden sich aber wohl umstellen müssen, wenn sie von den großen Hallen in den USA auf die kleinen Club-Bühnen in Deutschland wechseln. Trotzdem ist es eine Chance, die sie nutzen sollten. Denn wie sagt Marc Dennis von der Creative Artists Agency Music Nashville: "Es geht einfach nicht, nur einen Auftritt bei einem Festival wie C2C zu haben und dann nie wieder aufzutauchen. Es muss ein langfristiger Plan her."


Im September 2018 veröffentlichte Spotify eine Analyse über die weltweite Reichweite von Country Music, auf Basis ihres Kundenstocks. Daraus ergab sich für die ersten 8 Monate des Jahres 2018 ein Ranking der Länder mit der größten Nachfrage nach Country Music gemäß der abgerufenen Streams. Wenig überraschend lagen da Kanada und Australien hinter den USA auf den Plätzen 2 und 3. Interessanter sind jedoch die nachfolgenden Plätze.

So folgen auf Platz 4: Neuseeland, auf Platz 5: Norwegen und auf Platz 6: Irland. Danach Schweden (Platz 7) und Südafrika (!). Erst auf Platz 9 liegt Großbritannien, vor Holland mit Platz 10. Österreich liegt in diesem Ranking auf Platz 20, Deutschland als einer der größten Musikmärkte weltweit hingegen erst auf Platz 37!


Fast immer führt eine steigende Nachfrage auch zu einem wachsenden lokalen Angebot. Auch da ist Großbritannien Vorreiter, mit exzellenten Künstlern, wie The Shires, Ward Thomas oder The Wandering Hearts. Mit ihren modernen Sounds fügen sie sich leichter in die bestehende Klanglandschaften ein und tauchen schon mal in den übergreifenden Charts auf. Dabei gibt es selbst in Deutschland inzwischen erste Versuche, den modernen Nashville Sound mit deutschen Texten zu verbinden ('Soundtrack' von Joshville oder 'Herz Musik' von Pat & Bell).

Inzwischen streckt man von Amerika auch erste Fühler nach Asien aus. So war Kacey Musgraves im Oktober 2018 bei einer Musikindustrie-Veranstaltung in Tokyo zu Gast, wie man ihren YouTube Videos  entnehmen kann. Im März 2019 schickte die CMA Devin Dawson, Lindsay Ell und Brandy Clark unter dem Thema Introducing Nashville nach Tokyo. Und gemeinsam mit Tenille Towns dann auch nach Australien und Neuseeland. Eine Initiative, die im Oktober 2019 Devin Dawson, Travis Denning, Rachel Wammack und Danielle Bradbery auch nach Berlin, Hamburg, Amsterdam, Stockholm und Oslo bringen wird.

Inzwischen fällt es schwer, den Überblick über die diversen Auftritte zu behalten. Maren Morris im Mai 2019 in Deutschland, Holland, der Schweiz, Irland und Großbritannien, Eric Paslay im August und September in Deutschland, man kann sich nur darüber freuen. Und ganz besonders darüber, wenn es einmal nicht die Medien sind, die die Klischees über Country streuen, sondern wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die am 3. März 2019 über die ersten "Sound of Nashville" Konzerte berichtete und dabei unerwartet mutig klarstellte: ... wer dort als Cowboy verkleidet auftaucht, ist ein Depp!

Das Publikum ist eben nicht mehr auf den Filter der Medien angewiesen, die glauben zu wissen, was das Publikum hören möchte, sondern kann sich dank der inzwischen weltweit verfügbaren Internet-/Streaming Möglichkeiten eine eigene Meinung bilden. Möge es dabei bleiben!

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