Tagebuch einer Songschreiberin

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"Sei aufgeschlossen und höre es an einem ruhigen Ort. Lass dich mitnehmen. Höre es von Anfang bis zum Ende. Ich hoffe, du lernst ein bisschen über mich oder vielleicht auch über dich. Wir alle versuchen das [Leben] zu verstehen oder brauchen auch mal eine Pause davon. Lasst mich euch dabei helfen." (Lanie Gardner / sweetyhigh.com, 25. Oktober 2024)

Nicht Country?

"Schlüpf in die Schuhe eines anderen Menschen,
und spätestens wenn du wieder zurück bist,
wirst du sehen, dass diese Welt ein besserer Ort wäre,
wenn wir alle den Umstand akzeptieren,
dass Menschen unterschiedlich sind."
(People Are Different / Mark Hardy, Mark Holman, Hillary Lindsey) 

Möglicherweise wäre 'People Are Different' der bessere Titelsong für das neue Album gewesen. Denn er betont nicht nur, dass Menschen eben verschieden sind, sondern er appelliert auch daran, diesen Umstand zu akzeptieren. Also eine andere Hautfarbe oder Gesinnung, aber eben auch andere Meinungen und Vorlieben. Aber Florida Georgia Line haben sich für das wesentlich provokativere "Can't Say I Ain't Country" als den Titel für das neue Album entschieden. Ein Umstand, der schon im Vorfeld für mehr als hitzige Diskussionen gesorgt hatte.

Denn abgesehen von Sam Hunt (und mit Abstrichen Kane Brown) gibt es im Country Genre wohl keinen Künstler, der die Gemüter mehr erhitzt, der mehr Hass und Verachtung zu ertragen hat, als Florida Georgia Line. Zwar scheint es eine Regel dafür zu geben, dass Ablehnung und Kritik immer direkt proportional zu wachsender Popularität ansteigt, aber in diesem Fall ist die Situation wohl längst über das Erträgliche hinaus eskaliert.

Das führt soweit, dass Leute im Netz vernichtende Kommentare zum neuen Album hinterlassen und dabei stolz bekannt geben, erst gar nicht hineingehört zu haben. Denn der Name des Duos alleine würde ja schon genügen, um zu wissen, dass das musikalische Ergebnis nur zum in die Tonne treten sein kann.

Ein derart emotionalisiertes Publikum ist nicht nur in sich selbst extrem gespalten, sondern übt auch einen nicht zu unterschätzenden Gruppenzwang aus. Es entsteht der Eindruck, dass man sich besser vorher überlegt, welcher Seite der beiden Lager man sich anschließen möchte. Mit allen Konsequenzen für den Repekt, den man sich dann vom anderen Lager damit einhandelt. Ein Umstand, dem sich selbst so manch professioneller Kritiker nicht zu entziehen vermag. Florida Georgia Line als das Modern Talking des modernen Country?

Nun also ist das polarisierende Projekt mit dem Titel "Can't Say I Ain't Country" am 15. Februar 2019 erschienen. Es ist das vierte Studio-Album von Florida Georgia Line und wäre wohl schon vor einem Jahr erschienen, wäre da nicht der ungeplante Pop-Mega-Seller 'Meant to Be' mit Bebe Rexha dazwischen gekommen. Aber wer konnte auch mit einem Hit rechnen, der mit 50 Wochen praktisch das gesamte vergangene Jahr die Spitze der Billboard Hot Country Songs Chart blockierte, noch dazu, wo der Song gar nicht auf einem offiziellen Studio-Album erschienen war.



Das gab dem Album fast 2 1/2 Jahre Entstehungszeit. Eine Zeitspanne, in der sich heute bereits musikalische Trends verändern. So hat Bro-Country seine dominierende Rolle verloren und ist wieder traditionelleren Einflüssen gewichen. Country aus den 1990er Jahre, aber auch R&B-Elemente sind inzwischen angesagt. So verwundert es nicht, wenn Brian Kelley von Florida Georgia Line sagt: "Das Album ist lange gereift und wir haben immer wieder Songs gewechselt, weil wir auf neue gestoßen sind."

So finden sich zum Veröffentlichungstermin 19 Einträge auf der Set-Liste des Albums. Davon sind jedoch 4 lediglich knapp 1-minütige Sprechsequenzen (Skits). Kurze hörspielartige Stücke, die vorallem auf Hip-Hop Alben sehr üblich sind. Tyler Hubbard erklärt: "Wir haben einen Freund, den wir Nugget nennen und der uns immer wieder Sprachnachrichten hinterlässt, die uns zum Lachen bringen. Er ist ein Comedian, der die Figur Brother Jervel erschaffen hat, einen Pfarrer in einer kleinen Kirche. Da dachten wir uns, warum lassen wir ihn nicht zur Auflockerung ein paar Skits für das Album machen."

Nachdem Brother Jervel mit dem indischem Akzent im ersten Skit festgestellt hat, dass Tyler jetzt zwar einen Tesla hat (was in der Tat der Wahrheit entspricht), aber in der Garage immer noch einen Pick-Up Truck, beginnt das Album mit dem für viele so provokativen Titelsong. Schon nach den ersten Takten ist stilistisch ganz klar, in welche Richtung es mit diesem selbstgeschriebenem Song geht.

Selbst jemand, der keine Ahnung von Country hat, wird das Lied dem Country Genre zuordnen. Nicht umsonst sitzt Pedal-Steel Gitarren - Legende Paul Franklin höchspersönlich an dem Instrument, das abgesehen von der Fiddle so prägend für den Klang des Genres war, wie kein anderes.

Brian Kelley hält im Interview mit Pulse of Radio fest: "Es klingt nach einem mutigen Statement, bis man den Song gehört hat. Das Lied ist jedoch unbeschwert und fröhlich und zeigt etwas von unserer Persönlichkeit. Aber es ist nicht notwendigerweise ein Gegenbeweis, eine Widerlegung oder Klarstellung. Es ist uns ganz wichtig, das zu sagen. Das sind wir, waren wir und werden wir immer sein und es fasst das Album so schön zusammen. Es ist zweifellos unser Album, das am meisten Country ist und auf dem viele Songs Country Elemente aus den 1990ern aufweisen."

Und Tyler Hubbard ergänzt gegenüber iHeart Radio: "Wir wollen damit kein Statement machen, sondern für uns fasst das Lied das ganze Album zusammen. Es ist so viel mehr Country als unsere bisherigen Alben und es bringt uns zurück zu unseren Wurzeln und Country Einflüssen. Es fühlt sich einfach passend an und wir lieben den Song, sodass wir ihn sowohl zum Thema des Albums, als auch der Tour gemacht haben."

Letztendlich bleibt dann nur die Frage, ob an den Klischees, die das Lied besingt, nicht doch mehr als nur ein Fünkchen Wahrheit dran ist.
Du kannst Redneck zu mir sagen,
kannst mir sagen, dass dir mein Truck nicht gefällt,
kannst mir sagen, dass ich komisch spreche
und mich noch komischer anziehe,
aber du kannst nicht sagen, dass ich nicht country bin.



Mit 'Simple' folgt einer der gelungensten Songs des vergangenen Jahres und die erste Andeutung einer kommenden Richtungswende im Sound von Florida Georgia Line. Als erste Single aus dem Album erreichte sie Platz 1 in den Radio (Billboard Country Airplay) Charts und nur Platz 2 in den Billboard Hot Country Songs Chart, weil dort ihr eigener Hit 'Meant to Be' die Spitze verbarrikadiert hatte. Der Song ist gemeinsam mit Newcomer (Michael) Hardy entstanden, der konsequent als Songwriter auf dem Album auftaucht.

Eine Abkehr vom Thema des Albums bildet die aktuelle Single 'Talk You Out of It'. Die gelungene R&B-Ballade versucht erst gar nicht zu verbergen, dass es um Verführung und Sex geht. Ein Lied, das den Traditionalisten natürlich unmittelbarer Beweis dafür ist, wie wenig Country Florida Georgia Line in Wirklichkeit sind. Eine wohl etwas missglückte Single-Auswahl, wenn man den Rest des Albums in Betracht zieht.

Unabhängig davon lässt sich die verführerische Eingängigkeit der Melodie nicht verleugnen. Und passenderweise haben die Ehefrauen der beiden Stars im zugehörigen Video auch die Hauptrollen übernommen.



So extrem gegensätzlich die Meinungen über das neue Album sind, bei einem Lied herrscht durchgängige Einigkeit darüber, dass es sich um den vielleicht besten Titel des Projektes handelt: 'Speed of Love' ist ohne Diskussion Country, nicht zuletzt weil auch hier Paul Franklin unüberhörbar die Steel Gitarre bedient. Der temporeiche Song über eine neue Liebe reisst von Anfang an mit und könnte einem John Michael Montgomery Album aus den 1990er Jahren entnommen sein. So macht Country wirklich Spaß!

Gemeinsam mit Songschreiber Dallas Davidson entstand die Liebesbezeugung 'Told You' im Doo Wop Stil. Eine Stilrichtung, deren Wurzeln ebenfalls im Süden der USA liegen und die Abwechslung in das Album bringt, ohne damit gleich aus dem Rahmen zu fallen. Sehr gelungen!

Das Tempo wieder nach oben schraubt 'Y'all Boys' dessen Duane Eddy - Gitarrenriff man nicht so schnell wieder aus dem Kopf kriegt. Genau dieser hätte sich produktionstechnisch einen noch prominenteren Platz im Vordergrund verdient. Trotz dezenter Rap-Rythmen funktioniert der Song, an dem mit Ashley Gorley und Jesse Frasure gleich 2 namhafte Songwriter mitgewirkt haben. Am Ende geht es auch nicht um tiefgründige Texte, sondern um den Flirt mit den Jungs aus dem Süden. Ein kommender Hit!



Dem inhaltlichen Thema Südstaaten und Country Life Style folgt auch 'Can't Hide Red'. Eigentlich ist als Begleitung (featuring) Jason Aldean angekündigt, aber bereits in der ersten Strophe übernimmt dieser die Lead-Stimme. So wird daraus ein selbstbewusster Country Rocker, der auch direkt von einem Jason Aldean Album stammen könnte.

Der versteckte Diamant auf dem Album, den die meisten Kritiker gar nicht mehr wahrnehmen, weil er ganz am Ende des Albums sitzt, ist 'Blessings'. Eine ruhige, akustische Ballade, die an Hand eines Rückblicks auf eine glückliche Lebensgeschichte auf die vielen Dinge im Leben verweist, für die man dankbar sein sollte. Neben Florida Georgia Line findet sich erneut Jesse Frasure als Autor, aber auch niemand geringerer als Tom Douglas, der u.a. 'The House That Built Me' für Miranda Lambert geschrieben hatte. Ein großartiger Abschluss für das Album.

Trotzdem hat es auch seine weniger gelungenen Seiten, auch wenn sie sich in Grenzen halten. Einigkeit unter fast allen Kritikern herrscht darüber, dass 'Swerve' sowohl stilistisch als auch inhaltlich völlig misslungen und fehl am Platz ist. Auch das gerne zitierte Duett mit R&B-Star Jason Derulo ('Women') klingt kalt und mechanisch, inhaltslos. Und 'Like You Never Had It' ist ein Macho-Brunft-Song über den größten Liebhaber auf Erden, dem man lediglich zugestehen kann, dass er Ohrwurm-Qualitäten hat.



Musikalische Wasserscheide auf dem Album ist der Song 'Small Town', der die beiden Stilrichtungen zusammenbringt, auf denen Florida Georgia Line wurzelt: Country & Hip-Hop. Zu Banjo und Dobro singen die beiden darüber was das Leben in einer Kleinstadt auszeichnet, unterbrochen von Hip-Hop Tempowechseln. Entsprechend scheiden sich auch die Geister zu dem Song, abhängig davon, in welchem Lager man sich sieht.
Wenn du deine Haustüre nicht absperrst,
wenn deine Garage deine Werkstatt ist,
wenn dein Hund genug Auslauf hat,
dann kommst du wahrscheinlich aus einer Kleinstadt.

Mit "Can't Say I Ain't Country" zeigt Florida Georgia Line die Aufgeschlossenheit, sich weiterzuentwickeln. Es ist ein Album, das auch stilistisch ganz klar auf der Country-Seite wandelt. Es hört sich gut an, weil die beiden Künstler fast alle Songs (mit Unterstützung) selbst geschrieben haben und sie das Gespür für eingängige Melodien und Refrains einfach mitbringen. Mit den richtigen Radio-Singles könnte es so gelingen, neues Publikum zu gewinnen.

Die wirkliche Herausforderung wird es jedoch sein, die ausgehobenen und unüberbrückbar scheinenden Gräben, die sich im Publikum aufgetan haben, wieder zu füllen. Irgendwie spiegelt die Situation das Bild wider, das Amerika im Moment der ganzen Welt zeigt: Zerrissenheit, zwischen Republikanern und Demokraten, keine Kompromisse was Waffen betrifft und keine Einigkeit zum Thema Klimawandel.

Ähnlich widersprüchlich sind die Bewertungen der Kritiker, was das aktuelle Album betrifft. Den einen ist es zu sehr country und nicht authentisch genug, denen anderen ist es nach wie vor zu sehr cross-over und zu wenig konsequent country. Es scheint, als hätten die meisten nicht verstanden, dass Florida Georgia Line aus beiden Elementen besteht.

Lediglich die Fremdartigkeit von Hip-Hop im Country Genre haben diesen Einfluss für viele besonders bedrohlich erscheinen lassen. Eine durchaus sehr persönlich genommene und teilweise nachvollziehbare Bedrohung, schien sie doch den traditionellen Country Stil verdrängen zu wollen! So könnte jetzt der ausgleichende Moment in ihrer Karriere kommen, an dem endlich Country Elemente das Übergewicht bekommen. Auch wenn man sich bewusst sein muss, dass es Florida Georgia Line wohl nie ganz ohne Pop/Hip-Hop Einflüsse geben wird. Denn das hat sie erst zu dem gemacht was sie sind.

Aber was, wenn es bereits zu spät ist und das Publikum die ausgestreckte Hand nicht mehr annimmt? Dann könnte die logische Konsequenz die sein, die Zac Brown für sich gezogen hat. Nämlich den eigenen Weg weiter zu gehen, egal was das Publikum fordert. Ein schwieriger Weg, der aber am Ende des Tages für den Künstler vielleicht erfüllender ist, weil er sich selbst dabei treu geblieben ist. Auch wenn das heißen kann, damit kommerziell möglicherweise zu scheitern.

Mit der (zumindest für Florida Georgia Line beruhigenden) Einschränkung, dass bei ihren kommerziellen Erfolgen in den wenigen Jahren ihrer bisherigen Karriere wohl nichts mehr geschehen kann, was sie zu gescheiterten Existenzen machen würde.


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