Tagebuch einer Songschreiberin

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"Sei aufgeschlossen und höre es an einem ruhigen Ort. Lass dich mitnehmen. Höre es von Anfang bis zum Ende. Ich hoffe, du lernst ein bisschen über mich oder vielleicht auch über dich. Wir alle versuchen das [Leben] zu verstehen oder brauchen auch mal eine Pause davon. Lasst mich euch dabei helfen." (Lanie Gardner / sweetyhigh.com, 25. Oktober 2024)

Die erste Zigarette

"Ich hoffe, jemand bricht dir das Herz,
zumindest einmal, bevor du dich verliebst.
Ich hoffe, du gehst mal richtig pleite,
zumindest einmal, bevor du genug besitzt.
Behalte dir ein wenig Unschuld,
während all der "beinahe" und "hätte sein können".
Mach etwas zu deinem Anker, das dich zurückbringt.
Ich hoffe, du behältst den Pontiac."
(Pontiac / Lori McKenna, Jeremy Spillman, Travis Meadows)

Eigentlich bezeichnet er sich selbst nicht als Country Musiker. Aber er lebt seit Jahren in Nashville und hat sich dort einen Namen als Underground-Songwriter gemacht, auf den auch Künstler aus dem Genre inzwischen aufmerksam geworden sind. Und spätestens seit der Veröffentlichung seines aktuellen Albums, mit dem er einen neuen Karriereabschnitt beginnt, heißt es auf seiner Webseite: Travis Meadows, ein Country Künstler aus Nashville, TN. Dabei ist seine Geschichte viel finsterer und komplizierter.

Auf Facebook fasst der 52-jährige Künstler aus aus dem US-Bundesstaat Mississippi seine Biografie in 4 knappen Kapiteln zusammen:
Ein Waisenkind das zum Prediger wurde.
Ein Prediger, der Songwriter wurde.
Ein Songwriter, der zum Alkoholiker wurde.
Ein Alkoholiker, der lernt, wieder ein Mensch zu sein.
4 Kapitel, deren Zusammenfassungen nur eine Andeutung von dem widergeben, was das Leben Travis Meadows bereits abverlangt hat.

Als Travis Meadows 2 Jahre alt war, ertrank sein Bruder im Mississippi. In Folge trennten sich seine Teenager-Eltern und brachen den Kontakt zu ihm völlig ab. Ein Trauma, über das ihm die Großeltern, bei denen er nun aufwuchs, nur bedingt hinweg helfen konnten. Im zarten Alter von 11 Jahren kam er so erstmals in Kontakt mit Drogen, die ihn die kommenden Jahre seines Lebens begleiten sollten. Als man glauben könnte, schlimmer könne es nicht mehr werden, wurde er im Alter von 14 Jahren mit Krebs diagnostiziert. Ein Ereignis, durch das er sein rechtes Bein unterhalb des Knies verlor. Aber  gleichzeitig bewies er erstmals in seinem Leben, dass er sich nicht unterkriegen lassen wollte.

"Ich war in der Pubertät und hatte zur gleichen Zeit Krebs, wenn du dir das vorstellen kannst. Eines davon ist schon schwierig genug. Und doch sind wir Menschen widerstandsfähige Biester. Ich betrachte mein Leben nicht mit dem Gedanken, ach hätte ich es doch nur einfacher gehabt, wie so manch anderer. Denn wir alle haben unsere Verletzungen und unsere Lasten zu tragen", sagte er in einem kürzlichen Interview zu National Public Radio.

Schon während dieser frühen Jahre spielte Musik eine Rolle in seinem Leben, aber erst mit 21 entdeckte er die Kunst des Liederschreibens. Noch war es etwas, das sich mit dem Rauchen von Gras verbinden ließ, aber keine Überlegung, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Denn im Alter von 24 Jahren stieß er auf die Religion. Endlich glaubte er dort den Halt finden zu können, den er ein Leben lang gesucht hatte.

17 Jahre lang war er so als Wiedergeborener Christ aktiv tätig. Mit ganzem Herzen widmete er sich dieser Aufgabe und predigte in Schulen und Kirchen in und außerhalb von Amerika. Selbst seinem regelmäßgen Marihuana-Konsum schwor er völlig ab.

Aber im Alter von 38 Jahren kam die Ernüchterung: das Leben war nicht nur schwarz-weiß, wie es die Religion darzustellen versuchte. "Da war viel Graues, das ich nicht verstand. Und die Antworten der Kirche stellten mich nicht zufrieden. Also kehrte ich zu dem zurück, was ich am Besten verstand: Alkohol."



Das kostete ihn in den folgenden Jahren nicht nur erste Möglichkeiten in der Musikbranche, sondern auch seinen Job, seine Ehe und seinen Lebensmut. 6 Jahre verschwinden in der Haltlosigkeit eines Lebens ohne Hoffnung, ehe er den Mut zu einem Entzug findet. Aber erst im vierten Versuch hat er Erfolg. Es wird gleichzeitig der Wendepunkt zum 4. Kapitel in seinem Leben. Denn einer seiner Betreuer schlägt ihm vor, seine Gefühle mit Musik zu therapieren.

2011 veröffentlicht er die entstandenen 11 Songs im Album "Killin' Uncle Buzzy", oder mit anderen Worten, dem so vertrauten Rausch endlich den Garaus machen. In den Liedern und Texten fand er den Mut, Dinge über sich selbst auszusprechen, für die er sich sonst nicht getraut hätte. Es folgte 2013 ein Nachtrag in Form einer selbst produzierten EP mit dem treffenden Titel "Old Ghosts & Unfinished Business".

Aber bereits das Album "Killin' Uncle Buzzy" hatte den Samen für ein neues Leben in sich getragen. Denn nicht nur war es eine immens wichtige Aufarbeitung persönlicher Themen, sondern es beinhaltete auch den Song 'What We Ain't Got'. Diesen hatte Jake Owen gehört und aufgenommen. 2014 wagte er dann sogar den mutigen Schritt, diese bittere Ballade über Verlust und Hoffnung als Single zu veröffentlichen.



Zwar erreichte der anspruchsvolle Song Anfang 2015 nur Platz 19 der Billboard Hot Country Songs Charts, trotzdem reichte es für einen 2000er Ford Excursion, den er sich mit dem Geld aus den Tantiemen kaufen konnte. Ein erster greifbarer Erfolg auf dem Weg zurück ins Leben. Und nachdem Jake Owen keine Mühen scheute, Travis Meadows auch noch die verdiente Aufmerksamkeit zu schenken, war er plötzlich kein Unbekannter mehr. In Folge begannen auch andere Künstler seine Songs aufzunehmen. 2015 etwa benannte Dierks Bentley sein Album nach dem Meadows-Song 'Riser'. Und auch Eric Church nahm u.a. Songs von Meadows auf.

"Ich bin ein Geschichtenerzähler. Ich mache keine Lieder über große Trucks, hübsche Mädchen oder Strandparties. Ich erzähle Geschichten über mein Leben." Wenn man das verstanden hat, dann hat man auch einen großen Teil von Travis Meadows verstanden. Und genau da lag auch die Grenzlinie zur kommerziellen Country Music. Jedenfalls bislang. Denn mit dem neuen Album "First Cigarette", das am 13. Oktober 2017 auf Blaster Records Nashville erschienen war, könnte sich das ändern.

Denn auch wenn sich nichts daran geändert hat, dass er weiterhin Geschichten aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz erzählt, sind es jetzt solche Geschichten, die auch für ein breiteres Publikum zugänglich sind. "Das ist der Unterschied zu meinen beiden vorherigen Werken, die ich nur für mich selbst gemacht habe." Hinzu kommt, dass mit Jay Joyce einer der ganz großen Nashville Produzenten als Executive Producer maßgeblich beteiligt war.

"Es hat einen Grund, warum er das große Geld macht. Er hört und erkennt all diese Dinge. Wir waren mitten im klassischen Aufnahmeprozess, bei dem du die jeweiligen Elemente einzeln aufnimmst und dann zusammensetzt. Jay kam herein und sagte [nachdem er das Ergebnis gehört hatte]: Das ist ist nicht authentisch. Das klingt nicht, als würdest Du die Gitarre spielen! Als ich ihm Recht gab, sagte er: Vergiss das! Spiel so, wie Du es live spielen würdest. Genau dort liegt die Magie und die wollen wir einfangen."

Kaum ein Kritiker, der das Album in diesen ersten beiden Wochen gehört hat, ist nicht begeistert davon. 11 großartige Lieder, 11 meist mehr als weniger anspruchsvolle Geschichten, die sich fast immer erst unter der Oberfläche des Titels erschließen. Beim Titelsong etwa geht es nicht um die erste Zigarette oder Jugenderinnerungen, sondern um den bewussten Genuß einer Zigarette, mit dem guten Gefühl, dass es die letzte verbliebene und kontrollierbare Sucht aus der Vergangenheit ist.

"Im Lied geht es um etwas größeres als nur um Zigaretten. Ich habe mit dem Trinken aufgehört und mit Drogen. Aber ich werde nicht mit dem Rauchen aufhören. Das bleibt mein letztes legales Laster. Offenbar brauche ich etwas, von dem ich das Gefühl habe, ich sollte es eigentlich nicht tun. Ich habe gelernt es zu genießen."

"Ich versuche high zu werden,
aber das Verlangen nach Befriedigung,
lässt mich doch nur unbefriedigt zurück.
Ich bin viel zufriedener,
zufriedener damit, wer ich bin,
als der, der ich war.
Und ich habe gelernt es zu genießen.
So wie die erste Zigarette morgens,
wenn ich kaum noch munter bin."
(First Cigarette / Jeremy Spillman, Travis Meadows)

Gemeinsam mit Jeremy Spillman entstand der Titelsong und die Vorproduktion des Albums. Von ihm stammen auch die Pink Floyd-artigen Übergänge zwischen den Songs (wie Travis Meadows sie bezeichnet). Nicht zuletzt sie machen das Ganze zu einem zusammenghörigen Album, anstatt zu Stückwerk aus lediglich 11 hintereinander aufgenommenen Songs.

'Sideway' war nach dem Besuch eines Therapiezentrums für jugendliche Drogenabhängige entstanden. Es spricht über unterdrückte Emotionen, die immer irgendwo einen Auslass suchen. Wenn du versuchst, sie zu unterdrücken, dann kommen sie eben seitwärts zum Vorschein. Eine Erkenntnis, in der Travis Meadows auch die bittere Erfahrung mit seinem Vater verarbeitet, der selbst Alkoholiker gewesen war und dessen Aufmerksamkeit und Anerkennung er sich immer vergebens gewünscht hatte.
"Es gibt Momente, da bin ich wie mein Vater - der einzige Mann, der mir jemals mein Herz gebrochen hat."



'Pray for Jungleland' entstand nach dem Besuch eines Bruce Springsteen Konzerts 2014 und referenziert dessen legendäres 9 1/2 Minuten Epos vom Album "Born To Run", in dem es um eine Romanze inmitten der Gewalt eines von Gangs geprägten Großstadt-Dschungels geht. In dem Lied verarbeitet Travis Meadows Jugenderinnerungen, in denen die Musik von Bruce Springsteen eine wichtige Rolle spielte.

"Der Sommer kam und ging,
ein Sommer, an den du dich erinnerst.
Du kannst deine Unschuld nicht zurückkaufen,
und wenn du es könntest, würdest du es wohl nicht wollen.
Denn du lernst davon, was du erlebt hast.
Und manche Lieder bringen es zurück."
(Pray for Jungleland / Melissa Peirce, Drew Kennedy, Travis Meadows)



'McDowell Road' führt das Thema fort. "Der Höhepunkt des Lebens war Freitag abend. Da fuhren wir zu McDonalds an der McDowell Road. Dann durch den Parkplatz, etwa 2 Meilen bis zur Bowling Bahn. Das war es, jeden Freitag abend, diesen Weg. Wir hörten die Doors, Led Zeppelin, Merle Haggard und Johnny Cash. Aber perfekt wurde es in dem Moment, wenn das Radio Bruce Springsteen spielte, in meinem Mustang!"

"Manche Straßen führen nirgendwohin,
manche gehst du ganz alleine.
Manche lassen dich nur stehen,
wenn du weißt, du kannst nicht heim.
Die, die du zurücklässt, die verfolgen dich,
aber die, die du nie gefunden hast,
sind die die einen am tiefsten treffen.
All die Jahre war es selbstverständlich,
wenn du jung bist, denkst du nicht daran, alt zu werden.
Ich dachte, ich würde ewig leben."
(McDowell Road / David Ramirez, Travis Meadows)

'Travelin Bone' sinniert über die Rast- und Ruhelosigkeit und 'Hungry' über den Mangel von gestern, der den Antrieb für morgen bildet.
"Meine guten Vorsätze haben mich nicht weit gebracht.
Aber die Sturheit in mir, nimmt Dinge in Angriff,
die unerreichbar scheinen.
Das ist das in mir, das nicht aufhört zu träumen,
wenn der Rest aufgehört hat zu glauben.
Und wenn niemand zufrieden ist,
dann bleibe ich doch immer noch hungrig."
(Hungry / Connie Harrington, Travis Meadows)

Stilistisch ist das Album ein Singer-Songwriter-Werk mit Rockelementen und einer Nashville Produktion. Kein Titel fällt ab, jeder lohnt eine mehrfache Auseinandersetzung damit. Das macht es nicht nur textlich zu einem Meisterwerk, sondern auch in seiner Gesamtheit zu einem der besten Projekte, die im aktuellen Jahr (oder sogar vielleicht darüberhinaus) in Nashville entstanden sind.

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