Nichts als Lügen

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"[Studio Zwei] ist unser berühmtester Aufnahmeraum. Als der Ort, wo richtungsweisende Aufnahmen von den Beatles, Shirley Bassey, Kate Bush, Massive Attack, Oasis, Adele und vielen anderen stattfanden, war Studio Zwei seit seiner Eröffnung 1932 immer der Herzschlag populärer Musik." (abbeyroad.com/studio-two)

Old Dominion

"Meine Tür ist immer offen, sie kommen einsam und gebrochen,
um herauszufinden, wohin es geht, wenn sie gehen.
Und wenn sie mich nicht mehr brauchen,
dann bleibt mir nichts über, als zusammenzukehren."
(My Heart Is a Bar / Shane McAnally, Josh Osborne, Matthew Ramsey, Trevor Rosen, Brad Tursi)

Mehr als 12 Jahre nach Gründung der Band, veröffentlichte Old Dominion am 25. Oktober 2019 ihr drittes Studioalbum.  Es ist eher ungewöhnlich, ein Album soweit in einer Karriere noch nach dem Künstler zu benennen. Denn zu dem Zeitpunkt ist es eigentlich nicht mehr notwendig, den Namen des Künstlers zu betonen, weil man ihn eigentlich schon gut genug kennt.

Aber für die Band kam während der Arbeiten zum Projekt der Moment, an dem es keinen Zweifel daran gab, dass das Album unbedingt den Namen der Band erhalten musste. "Wir fühlen uns so wohl mit der Musik und damit, was wir gemeinsam erreicht haben, dass es unpassend gewesen wäre, das Album nicht "Old Dominion" zu benennen", erklärte Lead-Sänger Matthew Ramsey. Und so sitzen die 5 Bandmitglieder auch auf dem Cover-Foto wie eine Familie zusammen, auf einem Sofa in einem schmucklosen Wohnzimmer, das wie aus einer Kulisse aussieht und passenderweise nur dezenter Hintergrund für die Band ist, die so im Mittelpunkt bleibt.

In Wirklichkeit gibt es dieses Zimmer aber, wie die Band in ihrer neuen Podcast-Reihe "One Fan" verrät. Gleichzeitig ist das Bild mit dem Segelschiff hinter ihnen keine Anspielung auf das Lied 'Smooth Sailing' auf dem Album, ebensowenig, wie die Amerikanische Fahne einen beabsichtigten Bezug zum Song 'American Style' hat. All das hat sich passenderweise zufällig zusammengefunden. Ein gutes Omen für die Veröffentlichung des Projekts!

So ist das Album am 9. November 2019 auf Platz 1 der Billboard Country Album Charts und auf Platz 9 der Billboard 200 (Pop Album Charts) eingestiegen. Nur 19.000 verkaufte Stück waren dafür notwendig. Noch völlig undenkbar vor einigen Jahren. Eine Zahl, die jedoch zeitgemäß durch Streaming und Downloads auf 31.000 aufgewertet wurde. Damit ist die Band auf Kurs, ein weiteres Kapitel zu ihrer bisher so ungewöhnlich erfolgreichen Karriere hinzuzufügen, die sie im Oktober 2019 auch erstmals live nach Kontinental-Europa gebracht hatte.



12 Songs beinhaltet das Album, wovon die Hälfte zum Zeitpunkt des Erscheinens bereits im Vorfeld veröffentlicht waren. Eine Vorgangsweise, die inzwischen zum Standard geworden ist, weil sie den Labels die Möglichkeit gibt, frühzeitig auszutesten, welche Songs beim Publikum besonders gut ankommen. Denn in Zeiten von Streaming lässt sich das ganz besonders einfach messen.

Der erste Song, der für das Album entstand, wurde auch zur ersten Single. Bereits im November 2018 veröffentlicht, erreichte 'Make It Sweet' im April 2019 Platz 1 in den Radio (Billboard Country Airplay) Charts. Die leichtfüßige Ode mit Aufforderung, das Leben zu genießen, denn es ist ja nur so kurz, steht für das, was Old Dominion so mühelos beherrscht: eingängige, oft mehrstimmige Refrains im poppigen Gitarren-Sound, die einem allzuleicht nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und auch wenn sie die modernen Möglichkeiten eines Studios zu nutzen wissen, sind sie auf keiner Bühne der Welt verloren, solange sie nur ihre Gitarren griffbereit haben, wie sie etwa in den Paste Studios in New York wiederholt unter Beweis gestellt haben.



Eine alternative Variante, eine Single auszuwählen, ist es, einen neuen Song in Konzerten an der Publikumsreaktion zu testen. Genau das machte man bei der zweiten und aktuellen Single 'One Man Band', wie Matthew Ramsey im Interview mit People Magazine erzählte: "Die Leute sangen zu diesem Song lauter mit, als bei allen anderen, die schon Hits für uns waren. Wenn man eine solche Reaktion des Publikums erhält, dann gibt einem das viel Selbstvertrauen [in Bezug auf die neue Musik]."

Mit diesem nachdenklichen, etwas melancholischem Song, zeigt Old Dominion erstmals eine tiefgründigere Seite, welche man bisher bei der Band noch nicht gehört hat. Sie ist ein Beispiel dafür, dass das neue Album zumindest in Teilen dem höheren Anspruch nach mehr inhaltlicher Tiefe gerecht wird. Die Single, die aktuell auf Platz 5 in den Radio Charts steht, verbindet das Beste aus allen Welten: wortspielender Text über Einsamkeit und Sehnsucht, eine eingängige Melodie, die hängenbleibt und eine Produktion, bei der Song und Interpret im Zentrum stehen.



Ebenfalls in diese Kategorie fällt die resignierende Ballade 'My Heart Is a Bar'. Es mag überraschen, dass der poppigen Upbeat-Band Old Dominion auch Balladen stehen - und dass besser als man glauben würde. In der Tat sind sie die Highlights des neuen Albums. Und das nicht zuletzt, weil sie Szenen und Gefühle beschreiben, Geschichten erzählen und dabei clevere Doppeldeutigkeit in Wortwendungen verwenden - in dem Moment, sind sie ganz im Herzen von Country angekommen.

So verwendet 'My Heart Is a Bar' die Metapher einer Bar, die allen offen steht, in der alle ihren Schmerz und ihre Enttäuschung abladen, ehe sie wieder verschwinden. Eine Situation, die sich nicht selten in zwischenmenschlichen Beziehungen wiederfindet, in denen unterschiedliche Erwartungen und Gefühlsinvestments vorhanden sind. Diese letztendlich für eine Partei enttäuschende und verletztende Situation beschreibt der Song, wenn es da heisst:
"Ich bin es müde, nur eine Schulter zu sein,
und selbst nie eine zu haben.
Mein Herz ist [wie] eine Bar und ich schließe sie jetzt,
und zwar für immer."
(My Heart Is a Bar / Shane McAnally, Josh Osborne, Matthew Ramsey, Trevor Rosen, Brad Tursi)



Die dritte eindrucksvolle Ballade sitzt am Ende des Albums. 'Some People Do' (an dem übrigens Thomas Rhett als Songschreiber beteiligt war) setzt sich im weiteren Sinn mit der Erkenntnis von Fehlern auseinander, aber auch dem Mut, um Vergebung zu bitten. Etwas, das nicht jeder zu tun gelernt hat. Und so hofft der Refrain am Ende, dass das Gegenüber doch noch dazu bereit ist.
"Manche Menschen hören mit dem Trinken auf,
und manche mit dem Lügen.
Manche Menschen entscheiden sich erwachsen zu werden,
aber es ist nie die rechte Zeit.
Die meisten Menschen würden nicht verzeihen,
was ich dich habe durchmachen lassen,
aber ich bin heute abend hier,
in der Hoffnung, dass manche Menschen es tun."
(Some Peope Do / Shane McAnally, Jesse Frasure, Matthew Ramsey, Thomas Rhett)

Für Old Dominion ist speziell dieser Song etwas völlig anderes, als all das, wofür man die Band inzwischen kennt. "Es gab eine kleine Debatte darum, ob wir den Song veröffentlichen sollten oder nicht. Aber am Ende entschieden wir uns dafür", ergänzt Leadsänger Matthew Ramsey. Die Bestätigung dafür bekommt die Band, wenn Fans nach Konzerten von der Bedeutung des Liedes in ihrem Leben erzählen.


Wesentlich weniger tiefgründig ist hingegen die R&B Ballade 'Midnight Mess Around', bei der nur der gelungene Pop-Groove über den mehr als zweifelhaften Text hinwegtäuschen kann:
"Etwas schmutzig, aber es ist heiss,
es scheint dir zu gefallen, wenn ich die Kontrolle verliere.
Du weißt, dabei sollte man nicht Autofahren,
denn ich kann meine Augen nicht von dir wenden,
von dir und dem was du tust."
(Midnight Mess Around / Andrew Dorff, Brad Tursi, Trevor Rosen, Matthew Ramsey)

Es ist kein Geheimnis, dass Old Dominion stilistisch die Popseite des Country-Pop favorisiert, was Matthew Ramsey auch bestätigt, wenn er sagt: "Wir haben jede Menge an Rock und Hip-Hop, R&B und Pop, sowie Country Einflüsse, und ich denke, das zeigt sich auch über das ganze Album hinweg." Ganz intensiv glänzen diese Einflüsse auf 'Never Be Sorry' mit seinem ansteckenden Groove, der sich sofort im Gehirn festsetzt. Trotzdem ist der hektische Refrain hart an der Nervigkeitsgrenze.

All diese Songs waren bereits veröffentlicht, als das Album endlich am 25. Oktober erschienen ist. Damit blieben nur mehr 6 Songs (also die Hälfte des Albums) über, die man noch nicht gehört hatte. Überraschenderweise hinterlassen die verbleibenden Titel jedoch wenig Eindruck, ja sie klingen fast wie Füllmaterial. Völlig untypisch für Old Dominion hat man sie einmal gehört und auch schon wieder vergessen. Wenigstens bringt 'American Style' ein wenig Reggae mit, auch wenn im Text nur Klischees gewaschen werden. So hat man offenbar wirklich die hitverdächtigsten Songs aus dem Projekt bereits im Vorfeld veröffentlicht.

Zusammengefasst eröffnet das Album eine neue Facette von Old Dominion, mit seinen anspruchsvolleren Balladen, gleichzeitig liefert es die bereits bekannten und erwarteten poppigen Melodien, die die Band mit den fast ausschließlich selbst geschriebenen Songs so perfekt beherrscht. Auf der anderen Seite enttäuscht das Werk, weil es diesen Qualitätsanspruch nicht durchgängig halten kann. Trotzdem wird das vorerst nichts daran ändern, dass Old Dominion auch mit diesem Album (und zwar mit der besseren Hälfte des Projekts) wieder Hits liefern wird.

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