Balladen & Bangers: Handshakes in Heaven & Learn About Love

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"Was macht einen Banger? Das wichtigste ist der Hook, den man nicht mehr aus dem Kopf kriegt, nachdem man den Song nur einmal gehört hat. Außerdem hat er einen festen Beat, zu dem man sich einfach bewegen muss. Und Wiedererkennung ist ebenfalls ein Schlüssel." (DJ Rinehart / deepinthemix.com, 23. Juli 2023)

Experiment

"Für uns sind zwei Dinge ganz wichtig, wenn wir einen Künstler und seine Musik betrachten ... Ist er einzigartig? Ist es überzeugend? Alleine der Umstand, dass er gemischtrassig ist, tätowiert ist und Piercings hat - machen ihn schon mal einzigartig. Und wenn er dann auch noch zu singen beginnt, mit dieser Chris Young-Stimme, dann ist das nicht nur authentisch, sondern auch immer mehr überzeugend."
(Randy Goodman, CEO Sony Music Nashville / 2. Dezember 2016, USA Today)

Ganze 50 Wochen lang war der Pop-Country Hit von Bebe Rhexa und Florida Georgia Line an der Spitze der Billboard Hot Country Song Charts gestanden. Getrieben durch die Nachfrage im Pop-Segment, wo der Song bis auf Platz 2 der Billboard Hot 100 Pop Charts geklettert war, stand er praktisch ein ganzes Jahr unangefochten an der Spitze derjenigen Country Chart, die alle Verkaufskanäle zusammenfasst. Also physischen und digitalen Verkauf, aber auch Streaming. Und zwar über alle Genres hinweg.

Das führte dazu, dass das Wertungssystem von Billboard nicht ganz zu unrecht heftig kritisiert wurde, weil es möglich gemacht hatte, dass eine wenig bekannte Pop-Sängerin ihr 'Meant to Be' zum erfolgreichsten Country Nummer-1 Hit aller Zeiten machen konnte. Alleine auf Spotify hat der Song bis heute fast 600 Mio. Streams vorzuweisen. Aber diese Erfolgsgeschichte ist nun zur Freude so mancher zu Ende.

Denn in den Billboard Hot Country Songs Chart vom 24. November 2018 ist 'Meant to Be' nach 50 Wochen von Platz 1 auf den zweiten Rang zurückgefallen. Mit anderen Worten, es gibt endlich wieder eine neue Nummer-1 zu feiern. Allerdings wird es genau diejenigen, die den poppigen Sound von 'Meant to Be' nicht ausstehen konnten, nicht sehr begeistern. Denn an der Spitze der Charts steht nun ein junger Künstler, der als Person ganz besonders zu polarisieren scheint.

Der 25-jährige Kane Brown, Sohn einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters, zieht mit der Vorab-Single 'Lose It' aus seinem brandneuen Album "Experiment" auf Platz 1 der Billboard Hot Country Songs Chart ein. Die Radio-freundliche Hit Single über die Frau, die ihn so fassungslos macht, war bereits im Juni 2018 veröffentlicht worden und steht nun nach 24 Wochen an der Spitze der Charts.



Ebenfalls auf Platz 1 steht aber auch sein neues Album. Und zwar sowohl in den Billboard Top Country Albums Chart, als auch den Billboard 200, der offiziellen Chart der meistverkauftesten Alben der Woche in ganz Amerika. Damit ist er aktuell der kommerziell erfolgreichste Country Künstler, ohne damit jedoch sein Potential bereits ausgereizt zu haben. Denn so seltsam es auch klingen mag: so richtig angekommen ist er noch nicht bei allen.

Bis vor kurzem hat das Radio noch einen großen Bogen um Kane Brown gemacht. Erst 2017 verzeichnete er mit dem Duett 'What Ifs' mit Lauren Alaina seinen ersten Nummer-1 Hit. Fast 2 Jahre nach seiner ersten Single 'Used to Love You Sober', mit der er erstmals auf seine ungewöhnliche Stimme aufmerksam gemacht hatte. Dafür ist die aktuelle Single nun auf dem Weg die dritte Nummer-1 in Folge in den Billboard Country Airplay Charts zu werden.

Als Kane Brown 2014 von Sony unter Vertrag genommen wurde, war das eine Reaktion auf seine Social Media Popularität. Über 300.000 Facebook Follower konnte er vorweisen, noch ehe es eine offizielle Single von ihm gab. Grund genug für Sony Music Nashville CEO Randy Goodman, ihm ein Angebot zu machen, wohl noch nicht so recht wissend, ob er es hier mit einem zweiten Justin Bieber zu tun hatte.

Dieses Vertrauen in den jungen Künstler, der praktisch ohne Vater aufgewachsen war, legte den Grundstein für eine Beziehung, die über rein geschäfltiche Themen hinausging. "Randy Goodman von Sony ist so etwas wie mein Vater geworden. Er glaubt an mich und das hilft mir, an mich selbst zu glauben. Er bestärkt mich darin, dazu zu stehen, dass ich anders bin. Wir sind als Team wie eine Familie", betont Kane Brown.



Dieses Anders-Sein wird auch von vielen traditionellen Fans wahrgenommen, aber mit heftiger Ablehnung bewertet. Für viele von ihnen ist Kane Brown jemand, der HipHop Musik macht und dafür das Country Genre missbraucht. Ein schnelles Vorurteil, dass im Aussehen des jungen Künstlers seine Bestätigung zu finden scheint. Bereits 2016 machte ihm das zu schaffen, als er zu USA Today sagte: "Ich möchte nur, dass die Leute wissen, dass ich ein guter Mensch bin und kein Gangster, wie jeder glaubt. Ich merke, dass mich viele lieben, aber dass es da auch so viele Hasser gibt."

Und zu soundslikenashville.com ergänzte er am 19. November 2018: "Ich bin mit soviel Verachtung aufgewachsen, und als ich nach Nashville kam, war da noch immer so viel Hass. Ich denke, heute hat es mich stärker gemacht. Ich versuche nicht mehr soviel darauf zu geben. All diese Negativität, ich flüchte einfach davor."

Eine Zurückgezogenheit, die man ihm auch in Interviews noch anmerkt. Da wirkt er schüchtern und wenig redegewandt. Gleichzeitig aber wird seine eingeschworene Fangemeinde laufend größer und stärkt ihm den Rücken. 1 Mio. Follower sind es inzwischen auf Facebook und 1,5 Mio. auf Twitter. Rund 270 Konzerte hat er im abgelaufenen Jahr bestritten und damit ganz entscheidend zur Stärkung seiner Fanbeziehung beigetragen. Das hilft ihm, sich auf die positiven Dinge im Leben zu fokussieren.

Das wollte er auch in das neue Album einfließen lassen, das von erneut Dann Huff produziert wurde. "Experiment" ist zwar bereits das zweite Album in voller Länge von Kane Brown, aber man könnte es auch als sein erstes bezeichnen. Denn inzwischen hat er ein klares Bild davon, wohin er möchte. "Beim ersten Album hatte ich noch gar keine Ahnung, was ich eigentlich wollte. Wenn mich  Dann Huff fragte, ob mir der Sound gefiel, sagte ich ja. Bei diesem Album war ich im Studio und hatte eine feste Vorstellung, wie die Dinge klingen sollten. Und das hat er völlig akzeptiert."

Bei 11 von 12 Songs auf dem Album war Kane Brown als Songschreiber beteiligt, ein weiterer Schritt zur Identifikation mit dem künstlerischen Output. Ein Ergebnis, das erstaunlich gelungen ist und viel weniger in unerwartete Musikrichtungen führt, als der Name des Albums es vermuten lassen möchte. Im Gegenteil - das Ergebnis ist ein Querschnitt über den Status kommerzieller Country Music im Jahr 2018, ohne das Genre dabei ganz zu verlassen.

So bietet das Projekt ins Ohr gehende Melodien, Instumentierungen, die nicht ausschließlich am Computer entstanden sind und Texte, die etwas erzählen wollen. Und das in einer kommerziellen Verpackung, die alle Musikliebhaber anzusprechen vermag. "Vielleicht finden Menschen etwas in den Songs, das ihnen in ihren eigenen Beziehungen hilft. So etwas wie Therapie in einem Lied. Ich möchte einfach mehr Liebe in die Welt setzen, denn das braucht die Welt. Und ich hoffe, das kann das Album tun", wünscht sich Kane Brown.



So ist 'Good As You' eine Liebeserklärung an seine Verlobte, die er am 12. Oktober 2018 in Franklin, Tennesssee heiratete. Ein Ereignis, das er auch im Video zum Lied für die Ewigkeit festhalten ließ. Und dass einem im Leben nur ganz selten etwas in den Schoß fällt, hält er im Song 'Work' fest. Dabei geht es nicht wie auf den ersten Blick vermutet um den Job, sondern darum, dass auch eine Beziehung Arbeit bedeutet.

Ich sage nicht, es ist einfach, manchmal werden wir uns verletzen,
aber ich verspreche, nicht zu gehen.
Wir werden unsere Streits haben, nur um zu sehen, wer im Recht ist.
Aber wenn es Liebe ist, dann wissen wir beide was es bedeutet: Arbeit.
Weil das Lied aus einem Gespräch mit seiner Frau entstanden ist, ist es das Lied auf dem Album, das ihm zur Zeit am wichtigsten ist.

Wenn man wie Kane Brown im abgelaufenen Jahr unzählige Konzerte spielt, dann ist man viel unterwegs und eigentlich nie zu Hause. Aber auch jeder andere Mensch, der längere Zeit von zu Hause weg war, kennt die Gedanken und die Vorfreude, wieder zu seiner Familie zurückzukehren. Und natürlich lässt sich damit auch die patriotische Seele von im Ausland stationierten US-Soldaten ansprechen. Diese Sehnsucht hat er gemeinsam mit den Songschreibern Brock Berryhill und Taylor Phillips wunderbar in Text und Melodie von 'Homesick' gegossen.



Für das Sommerthema 'Short Skirt Weather' wagt er sich mit einem Augenzwinkern an eine unerwartet traditionelle Country-Umsetzung, die im ersten Moment an 'Chattahoochee' von Alan Jackson denken lässt. Und in 'My Where I Come From' erzählt er, wie es war, da, wo er herkommt:
"Man senkt den Kopf und spricht ein Gebet vor dem Essen.
Es gibt da keinen einzigen Fremden auf den Straßen.
So viele unbekannte Ort sind da draußen,
aber für mich gibt es nur einen, aus dem ich komme."

Gegen Ende des Albums findet sich dann sogar ein Lied, für das man Kane Brown besonderen Respekt zollen muss. Er gibt zu, dass er gezögert hat, ob er 'American Bad Dream' überhaupt aufnehmen sollte. Entstanden war das Lied als Reaktion auf die Massenschießerei im Februar 2018 an der Highschool in Parkland, Florida, bei der 17 Menschen ihr Leben verloren. Verständlicherweise versucht er damit kein politisches Statement zu setzen, sondern will einfach das Thema aufzeigen und an eine gemeinsame Lösung appellieren.

"Ich will damit einfach mehr Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken. Ich will sagen, was passiert denn da gerade? Können wir das nicht alle gemeinsam lösen? Ich sage nicht, dass man [politisch] nach links oder rechts gehen soll." Und das hält er eindrücklich im Text des Songs fest:
Ich erinnere mich, in der 5. Klasse ging es um Mädchen
und darum beim Schule-Schwänzen nicht erwischt zu werden.
Jetzt musst du dir eine kugelsichere Weste anziehen
und hast Todesangst, erschossen zu werden.

Der Song schließt den Kreis für einen jungen Künstler, der nicht gerade in den besten Verhältnissen aufgewachsen ist und der aus eigener Erfahrung weiß, dass das Leben nicht nur schöne Seiten zu bieten hat. Mit "Experiment" stellt Kane Brown damit ein beachtliches Projekt vor, das Geschichten über ihn persönlich erzählt, aber auch über seine Sicht der Dinge. Ein abwechslungsreiches Projekt, das nie zu weit von seinen Wurzeln abweicht, aber trotzdem erstaunlich gelungene Kreise zieht. Zuletzt gibt die unverkennbare Stimme von Kane Brown ihm auch den so wichtigen Wiederkennungswert.

Stilistisch hat es damit das Zeug als Kompass zu einer Standortbestimmung dafür zu dienen, wo kommerzielle Country Music 2018 steht. Für Kane Brown ist es nicht das Ende einer Reise, sondern wohl erst der Anfang. Und dass da auch noch viel (auch Überzeugungs-)Arbeit zu tun ist, zeigt der Tatbestand, dass er als einer der aktuell erfolgreichsten Country Künstler beispielsweise kein einziges Mal bei den CMA-Awards Anfang November 2018 nominiert war, ja nicht einmal für einen Auftritt eingeladen wurde ...

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