2024: an der Kreuzung von Pop und Country

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"2024 demonstrierten Pop-Künstler ihr Liebe für Country Music, und die Wählerschaft der Grammy Awards honorierte das. Pop und R&B Stars dominierten die Country Grammy Nominierungen, darunter Beyoncé, die als einzige Künstlerin eine Nominierung in allen 4 Country Kategorien erhielt." (Melinda Newman / billboard.com, 8. November 2024)

Playlist 2016

Etwas mit "gut" und "schlecht" im Zusammenhang mit Musik oder der Unterhaltungsindustrie zu bezeichnen ist eigentlich falsch. Sicherlich lässt sich eine technische Fertigkeit mit "gut" oder "schlecht" bewerten. Aber im allgemeinen steht "gut" und "schlecht" eigentlich immer synonym für "gefällt mir" oder "gefällt mir nicht". Oder mit anderen Worten, es erfüllt "gut" oder "schlecht" meine Erwartungen, es berührt mich oder lässt mich doch nur kalt.

Unter diesem Gesichtspunkt soll die Playlist 2016 die für mich besten Songs des abgelaufenen Jahres enthalten. Sie sind es, die ich nicht missen möchte. Sie zählen für mich zum Besten, was das vergangene Jahr hervorgebracht hat. Einige Titel werden wohlbekannt sein, andere werden sich auf keiner anderen Bestenliste finden, weil sie (unverdienterweise) als Geheimtipp im Dunkeln verblieben sind. Aber der eine oder andere Titel bekommt ja vielleicht im kommenden Jahr noch eine zweite Chance.


Ganz oben auf der Playlist muss ein Song stehen, der ein echter Glücksfall für die Country Music war. Erschienen bereits im August 2015 auf dem aktuellen Album von Tim McGraw, "Damn Country Music", wurde der Song 'Humble And Kind' im Jänner 2016 als offizielle Single veröffentlicht. Und das Lied, das von Lori McKenna eigentlich als Wegbegleiter für ihre Kinder hinaus ins Leben geschrieben wurde, begleitete uns das gesamte Jahr.

Hier passte vom einfühlsamen Text bis zur unaufdringlich, einprägsamen Melodie, von der gelungenen Produktion bis zur gereiften Weisheit in der Stimme von Tim McGraw einfach alles. Noch im April erreichte das Lied Platz-1 in den Billboard Hot Country Song Charts, stieg in Folge in den Pop-Charts (Billboard Hot 100) bis auf Platz 30 und verkaufte bis Ende 2016 über 1 Mio. Einheiten, was einer Platin-Auszeichnung entsprach.

Der Song wurde mit einem Oprah Winfrey Video versehen (über 35 Mio. Klicks), mehrfach als Country Song des Jahres (CMA Awards, American Music Awards, CMT Music Awards) ausgezeichnet und ist für einen Grammy Award als Best Country Song bei den kommenden Verleihungen im Februar 2017 nominiert. Ähnlich wie für 'Live Like You Were Dying' ist auch für 'Humble and Kind' ein Inspirationsbuch erschienen und auf einer eigenen Web Seite werden Menschen motiviert, ihre Geschichte zu hinterlassen.

Wir werden wohl Jahre warten müssen, bis wir wieder so ein zeitloses Lied erleben werden dürfen, wie es 'Humble And Kind' ist. Danke Lori und Tim!




Ein weiterer Titel, der sich mit dem Leben und der Rolle, die der Mensch darin spielt, auseinandersetzt, ist 'Hurt People'. Geschrieben und aufgenommen von Rick Brantley ist das ein Lied, dem leider nur die wenigsten begegnet sein werden. Rick Brantley sieht sich eigentlich als Singer-Songwriter im Rock Genre, aber er lebt in Nashville, schreibt Lieder, die Geschichten erzählen und zählt unter anderem Kris Kristofferson zu seinen Vorbildern. Damit passt er genau in die My Kind of Country Playlist 2016, und zwar ganz weit oben.




Und noch eine ruhige Nummer. Im Herbst 2015 erschien das offizielle Comeback-Album von Alabama. 14 Jahre nachdem ihr letztes Album erschienen war, wurde "Southern Drawl" veröffentlicht. Trotz gutem Materials blieben die Charts für die legendäre Band verschlossen. Dabei wurde 2016 noch eine Single ins Rennen geschickt, die aus dem Album herausragt. Nicht nur weil Alison Krauss im Hintergrund zu hören ist, sondern weil es eine simple und doch so sehnsuchstvolle Ballade über Trennung und Einsamkeit ist. 'Come Find Me' erzählt von den einsamen Abenden auf Tournee, wenn Familie und Partner weit weg sind. Dann berührt und tröstet dieses Lied, auf dem Randy Owen seine nicht alternd zu scheinende Stimme glänzen lässt.




Im Herbst 2016 veröffentlichte der Songwriter Erik Dylan sein erstes Album als Interpret, in Eigenregie. "Heart of a Flatland Boy" beinhaltet Geschichten aus einer Kleinstadt in Kansas, wie es sie überall gibt. Nicht zufällig erinnert das Album an das legendäre "Guitar Town" Album von Steve Earle aus den 1980er Jahren, denn Steve Earle ist einer der Vorbilder von Erik Dylan.

Obwohl es schwierig ist, auf dem mit Sicherheit zu den ganz großen Überraschungen des Jahres zählenden Album überhaupt Songs zu finden, die nicht großartig sind, muss man "Fishing Alone" hervorheben. Die Geschichte über die schmerzlichen Erkenntnis, dass die Zeit sich nicht aufhalten lässt, und nicht genutzte Möglichkeiten, mit geliebten Menschen Zeit zu verbringen zu können, nicht wiederkommt, berührt. Ganz besonders wenn es wie in diesem Song, der Vater ist, der gegangen ist.




Und nocheinmal Erik Dylan. Den Abschluss seines aktuellen Albums bildet die Beschreibung einer Kleinstadt, die nicht viel mehr als ein Punkt auf der Landkarte ist. Bewusst akkustisch produziert, nimmt sie einen mit dorthin, wo Erik Dylan herkommt, nach 'Map Dot Town'.




Im Mai 2016 veröffentlichte der Singer-Songwriter Ryan Beaver aus Texas "FX", ein Album mit ernüchternden Geschichten voll intensiver Bilder aus dem Leben. Getragen von einer rauhen Stimme und einem akkustischen-elektrischen Sound zwischen Texas-Country und Red Dirt Rock, ist es eines der großen Überraschungen des Jahres. Vergleichbar mit Erik Dylan und dessen Album, fällt es einem auch hier schwer, Schwachpunkte zu identifizieren.

Eines der großen Highlights ist jedoch zweifellos das Lied, das den Abschluss des Albums bildet: 'If I Had A Horse'. "Das Lied drehte sich für mich ursprünglich um den Verlust der Unschuld", erklärt Ryan Beaver dem Radiosender NPR über den Anstoss für das Schreiben des Songs. "Es geht darum, eines Tages aufzuwachen und festzustellen, dass du erwachsen bist und dich mit dem wirklichen Leben auseinandersetzen musst."

"Das machte mich erst traurig, denn es scheint erst gestern gewesen zu sein, als ich den Besen meiner Mutter nahm und mir vorstellte, es wäre ein Pferd und ich könnte damit über das Land reiten. Aber bei wiederholtem Hören finde ich nun auch Spuren von Hoffnung. Nämlich dass wir alle unser 'Pferd' finden können, das uns wieder so fühlen lässt, wie als wir Kinder waren. Für mich ist das die Musik."




Als zu Beginn des Jahres zwei junge Burschen aus dem Mittelwesten ihr erstes Album unter dem Namen The Cactus Blossoms und mit dem Titel "You're Dreaming" wollte man seinen Ohren nicht trauen. Scheinbar mühelos drehten sie das Rad der Zeit um 60 Jahre zurück und der Sound ihrer Musik legte sich so vertraut in die Gehörgänge, dass es klang als wäre ein alter Freund zurückgekehrt. So fremd und ungewohnt und doch irgendwie so vertraut. Hochgelobt von Kritikern fand es leider wie zu erwarten keinen Platz im kommerziellen Radio. Aber es gibt trotzdem gute Hoffnung, dass es ein Nachfolgewerk 2017 geben könnte. Aktuell sind sie auf Europa-Tournee, allerdings leider nicht im deutschsprachigen Raum.

Stellvertretend für das aktuelle Album nimmt uns The Cactus Blossoms auf eine verträumte Reise an den "Mississippi":




2016 war ein unverändert erfolgreiches Jahr für Florida Georgia Line. Mit 'H.O.L.Y.' hatten sie den Mega-Hit des Jahres (18 Wochen Nummer-1 in den Billboard Hot Country Song Charts, Nummer-14 in den Pop-Charts, Doppel-Platin) und im Duett mit Tim McGraw einen weiteren Hit, der bereits auf Nummer-1 der Radio Charts war und aktuell auf Platz-2 der Billboard Hot Country Song Charts sitzt ('May We All'). Beide Songs stammen aus dem dritten und aktuellen Album "Dig Your Roots".

Und doch war das Jahr ein wenig anders, denn es scheint eine Trendwende eingeleitet zu haben. Florida Georgia Line gewann nicht mehr alle Preise, für die sie nominiert wurden (Brothers Osborne erhielten völlig überraschend im November die Auszeichnung für das Vocal Duo of the Year von der Country Music Association) und viele erklärten den Bro-Country Sound, den Florida Georgia Line maßgeblich mitbegründet hatten, für tot.

Andererseits ist es, als hätte das Duo mit dem aktuellen Album genau diesen Trend erkannt. Denn es soll einen musikalisch neuen Abschnitt in der Karierre von FGL beginnen. Und in der Tat tut es das musikalisch auch. Ich war kein Fan von FGL und hatte auch keines ihrer bisherigen Alben, aber ich bekenne mich öffentlich zu "Dig Your Roots" und reihe es ganz bewußt bei den für mich besten Alben des Jahres 2016 ein. Ein Grund dafür ist der Titel 'Grow Old With Me', der damit auch einen Platz auf der Playlist 2016 findet.

Da die aktuelle Single noch ganz oben in den Charts steht, gibt es noch keine Ankündigung für eine Nachfolge-Single (auch wenn es Andeutungen in Richtung 'God, Your Mama, and Me', dem Duett mit den Backstreet Boys gibt, was natürlich thematisch voll ins Schwarze des Zielpublikums treffen würde), aber ich würde mir 'Grow Old' wünschen und denke, dass das auch der Glaubwürdigkeit von Florida Georgia Line weiter Auftrieb geben würde.




Der Song, der 'May We All' von Florida Georgia Line seit Wochen davon abhält, die Spitze der Charts zu erklimmen, ist einer, der diese Position seit 8 Wochen selbst blockiert: 'Blue Ain't Your Color' von Keith Urban. Bereits nominiert für einen Grammy Award 2017, ist der Song ein Highlight aus dem aktuellen und sehr heiß diskutierten Album des Neuseeländer/Australiers: "ripCORD". Ein Album, das zu den progressivsten gehört, die jemals unter dem Genre Country veröffentlicht wurden. Was einerseits für die neue Offenheit von Nashville spricht, andererseits viele Puristen verzweifeln lässt.

Sachlich betrachtet ist es ein Werk, das bis auf den Namen Keith Urban nur minimale Bezüge zur Country Music hat. Im Mittelpunkt stehen Beats und Grooves und Elektronik, für die sogar ein eigenes aus iPads bestehendes Instrument entworfen werden musste, um den Sound auch live auf die Bühne bringen zu können. Das ändert nichts daran, dass es ein bis ins letzte durchdachtes Werk ist, das ins Ohr geht und in jeder Pop-Chart der Welt bestehen könnte.

Dass 'Blue Ain't Your Color' jedoch die erfolgreichste Single aus dem Album werden würde, damit hätte kaum wer gerechnet. Selbst in den Pop-Charts (Billboard Hot 100) ist der Song bis auf Platz 24 geklettert. Durch seinen Retro-Bebop Sound sticht er auch aus dem Album heraus und damit all den anderen Sounds, die aktuell in allen nur erdenklichen Charts zu hören sind. Und Keith Urban gelingt es durch den Einsatz der Gitarre, seinem ureigensten Instrument, dem Lied zusätzlich seinen Stempel aufzudrücken. Wie hier in der Live-Version aus den CMA-Awards im November 2016.




10  Charles Kelley mit seiner markant-rauhen Stimme darf auf der Playlist nicht fehlen. Um nicht das ganze Album mit aufzunehmen entscheide ich mich zuerst für die Live-Version des funkigen 'Lonely Version', aufgenommen in L.A.




11  Und dann muss die Ballade 'Leaving Nashville' von Charles Kelley mit drauf.




12  Und das funkige 'Lonely Girl' leitet direkt über zu 'If He Ain't Gonna Love You' aus dem lange verschobenen Album von Jake Owen: "American Love". Der Song wurde mit Chris Stapleton geschrieben und zeigt das funkig-soulige Ende des musikalischen Spektrums des Surfer Mans aus Florida. Nicht Country, aber gelungen!




13  Sieben Jahre nach ihrem letzten Album gab es 2016 wieder ein neues Album von Wynonna. Als Wynonna & the Big Noise erschien zu Beginn des Jahres das gleichnamige Werk. Dem Blues, Soul und Gospel immer sehr nahestehend, tauchte das Album dann auch im neuen Americana Genre auf und blieb damit leider kommerziell ohne große Eindrücke in den Mainstream Charts. Dabei ist es voll wunderbarer, handgemachter Musik, wie 'Cool Ya' oder dem zartschmelzenden Blues von 'You Are So Beautiful'.




14  Ebenfalls im Americana Umfeld zu finden ist Parker Millsap. Seine unbeschreiblichen Kombination aus Blues, Folk, Gospel und Country war zeifellos eines der Highlights des vergangenen Jahres. Siehe dazu das Album "The Very Last Day". Aus diesem stammt auch der Song 'Pining', hier in der Live Version.



15  Die Rock-Seite muß mit dem Kracher 'Lights Come On' von Jason Aldean vertreten sein. Nicht zuletzt wegen des mitreissenden Videos.




16  Von ihm wird man 2017 mit Sicherheit mehr hören: Ryan Hurd. Leider ist seine Musik bisher praktisch nicht erhältlich. Sein aktueller Song ist 'City Girl'.




17  Ein Newcomer, der zu Beginn des Jahres einen Vertrag bei Warner/Chappel Music unterzeichnete und darauf seine erste EP veröffentlichte ist Stevenson Everett. Er spielt stilistisch mit elektronischen Elementen, Blues und Rock, wie in 'Born With It', dem Titelsong der EP. Produziert vom namhaften Jay Joyce hat die Musik im Rückblick zumindest kommerziell leider noch keine Spuren hinterlassen.




18  Texas Music präsentiert Rob Baird auf seinem aktuellen Album, aus dem der Song 'Ain't Nobody Got A Hold On Me'. Dieses wurde in der epischen Video Trilogy unten verarbeitet.




19  Kommerziell ja leider ein Flop, liebe ich den rohen, coolen Rock-Sound dieses Frankie Ballard Songs: 'Cigarette'.




20  Warum nicht das aktuelle Album "Mr. Misunderstood" von Eric Church als Best Country Album für die kommenden Grammy Awards 2017 nominiert wurde, sondern anstelle dessen das Rock-Soul Album "A Sailor's Guide to Earth" von Sturgill Simpson bleibt mir unverständlich. Schon alleine deshalb muss zumindest 'Record Year' auf die Playlist 2016.

Kommentare

  1. ur cool, super Compilation, und Deine Übergänge sind wunderbar fließend !!! Besonders interessant finde ich persönlich folgende Interpreten ... Rick Brantley erinnert mich sehr an Kristofferson's "Moment of Forever"; Erik Dylan hat eine perfekte Country Stimme; FGL plätschert schön dahin; und Wynonna (endlich mal eine "gute alte Bekannte") werde ich mir kaufen :-); und Stevenson Everett grooved super; und letztlich auch Eric Church's "Record Year" ist ein Ohrwurm; Schönes Neues Jahr !!! Philipp

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    1. Ja das waren noch Zeiten, als wir beim Wynonna Konzert auf dem Parkplatz vor dem Walmart waren ... ebenfalls ein gutes neues Jahr!

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