Kaltes Bier & der King der Country Music

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"Das ist es, was gute Musik ausmacht. Sie fasst das in Worte und Melodien, was Menschen oft schwer fällt, mit eigenen Worten zu sagen. Aber wenn sie den richtigen Song hören, dann fühlen sie sich verstanden. Ich denke, das ist ganz entscheidend." (Zach Top / americansongwriter.com, 5. April 2024)

Der Unverstandene

"Ich nahm den Weg nach links, und die Welt ging nach rechts, über die 16. Avenue,
ich spielte mit dem Feuer und über Abgründen,
ich spielte jede Zirkusbühne und jedes Volksfest.
Sie wollten mich einordnen und meine Kanten glätten,
aber ich ließ mir die Haare wachsen,
Mr. Unverstanden, Mr. Unverstanden."
(Mr. Misunderstood / E. Church, C. Beathard)

Am 4. November 2015 wurde aus dem Außenseiter der Unverstandene. Vom Thema her immer noch jemand, der seine eigenen Wege geht. Aber diesmal wendet sich der Blick mehr nach innen und zurück, die Stimmung ist ruhiger geworden.

Mit einer Albumveröffentlichung, mit der niemand gerechnet hatte, weil auch fast niemand davon gewusst hatte, kehrt Eric Church völlig überraschend zurück in die musikalischen Schlagzeilen. Ein Album das sehr spontan und in wenigen Wochen entstanden war. Und das dann völlig unerwartet an die Öffentlichkeit gelangte. Aber erst nachdem die Fan Club Mitglieder -ebenfalls ohne Vorankündigung- kostenlose Versionen des Albums in CD- und Vinylform erhalten hatten. Das Pressen letzterer war so kurzfristig überhaupt nur möglich, indem man es in Deutschland beauftragte und von dort die LPs wieder in die Staaten liefern ließ.

Ohne entsprechende Marketing Kampagne, wie sie eigentlich für einen Künstler von der Bedeutung eines Eric Church üblich ist, dauerte es etwas, bis das Album dann auch wirklich in der Öffentlichkeit ankam. Ungeplanterweise überschattet von einem anderen Außenseiter mit Namen Chris Stapleton, der bei den CMA Awards zusammen mit Justin Timberlake auftrat und in Folge alle Charts stürmte. So stieg "Mr. Misunderstood" nur auf Platz 2 der Album Charts (Billboard Country und Billboard 200) ein, wo er nun bereits die zweite Woche hinter Chris Stapleton's "Traveller" zu finden ist.

Das, was einem auf den ersten Blick ins Auge sticht, ist das Cover von Mr. Misunderstood. Schon lange nicht mehr gab es ein so unscheinbares Cover. Genaugenommen ist es so hässlich, dass es schon fast wieder kunstvoll ist. Jedenfalls ist es anders als alles was, es bisher an Country Album Covers gab. Aber mit seiner verwaschenen, dunklen Schultafel und den kaum lesbar hingekritzelten Songtiteln stellt es bereits die Überleitung zum Titelsong her.

Denn da erzählt Eric Church, der an allen 10 Songs mitgeschrieben hat, die (seine?) Geschichte eines Teenagers, der in der Schule von den anderen nicht verstanden wurde, weil er nicht, wie alle anderen Top-40 Musik hörte, sondern Old Time Rock'n'Roll, Elvis Costello, Ray Waylie Hubbard und Jeff Tweedy von Wilco.

Und dieser Teenager, der auf dem Cover und im Video zu sehen ist, wird repräsentiert duch den 14-jährigen Jungen McKinley James. Er ist einer der 80.000 Fan Club Mitglieder, die eine erste Ausgabe des Albums geschenkt bekamen. Und seine Geschichte erzählt er selbst hier.

So wenig Information wie das physische Album liefert (Vorder- und Rückseite, ebenso wie die schmale Inlay-Karte beinhalten nicht mehr als die kaum lesbaren, hingekritzelten Songtitel), fehlt eigentlich auch der letzte Anreiz noch ein physisches Produkt zu kaufen. Um Informationen über Texte, Musiker und Produzenten zu bekommen, muss man somit auf die Homepage von Eric Church gehen. Aber zum Glück ist der Inhalt des Albums viel aussagekräftiger. Mit Mr. Misunderstood legt Eric Church ein Album vor, das voller Überraschungen steckt.

Fernab von Pickup-Trucks, Girls in Daisy Dukes und Tailgate Parties, präsentiert sich Eric Church als Geschichtenerzähler, der darüber aber nicht die musikalischen Ecken und Kanten vergisst, die dem Album einen dezenten Rock-Touch geben. Dass Eric Church schon immer Rock-Einflüsse in seiner Musik verarbeitete, weiß man nicht erst seit dem melancholischen Überhit 'Springsteen' oder dem Album "The Outsiders", aber auf Mr. Misunderstood sind sie dezent und kommen ohne laute E-Gitarren Riffs aus.

Das Album, wieder produziert von Jay Joyce, stellt eine gelungene Fortführung seiner letzten, halb-akustischen Single 'Like a Wrecking Ball' dar. Wie schon zuvor finden sich wieder viele Nicht-Country Einflüsse, die dann aber nicht auf verschiedene Songs verteilt sind, sondern oft sogar innerhalb eines Titels wechseln. Wer es nicht nur abwechslungsreich, sondern manchmal auch unberechenbar mag, der wird bei Eric Church bestens unterhalten. Besonders dann, wenn auch Texte eine Rolle spielen sollen. Und diese Kombination macht Mr. Misunderstood zu einem herausragenden Album.

Titelsong und offenbar erste Single 'Mr. Misunderstood' bildet den Rahmen für das Album. Die Geschichte über den Jugendlichen, dessen Leben sich um die Musik dreht, der dabei aber andere musikalische Vorlieben an den Tag legt, als seine Schulkameraden, klingt ein wenig als würde Neil Young Heartland Rock spielen und bleibt mir persönlich ein wenig zu hölzern und anspruchsvoll.

Dafür ist 'Mistress Named Music' ein ganz großes Highlight des Albums. Wieder geht es um die brennende Leidenschaft für Musik. Die Stimme von Eric Church mit leichtem Echoeffekt versehen, kommt eindringlich und intensiv, ehe der Titel ab der Mitte sich plötzlich auch musikalisch aufzubäumen beginnt. Man vermeint dezente Klänge einer Flamenco Gitarre zu vernehmen, ehe sich eine feurige E-Gitarre erhebt, um schließlich von einem glorreichen Gospel Chorus empfangen zu werden.

'Chattanooga Lucy' war mir beim ersten Hören viel zu hektisch. Aber die einfache Geschichte über die heisse Lucy aus Chattanooga lässt einen nicht mehr los, je öfter man sie hört. Inzwischen ist mir die fetzige Nummer mit den Gospel- und anderen Elementen viel zu kurz. Auf diesem und dem Titel zuvor singt übrigens Joanna Cotten Background, die mit Eric Church im vergangenen Jahr auf Tour war und einer der großartigsten Stimmen hat, die ich gehört habe. Ihre beiden Alben kann ich nur empfehlen.

'Mixed Drinks About Feelings' ist nicht nur ein gelungenes Wortspiel, sondern auch ein Duett mit der Blues- und Soulsängerin Susan Tedeschi. Wenige Duette sprechen mich wirklich so an, dass ich sie wiederhören möchte. Meist fehlt mir irgendetwas. 'Mixed Drinks' ist anders. Es ist eines der besten Duette, die ich seit Ewigkeiten gehört habe. Da passt einfach alles. Von der trostlosen Stimmung eines einsamen Abends zwischen Sehnsucht und Alkohol, bis zur perfekten stimmlichen Ergänzung durch Susan Tedeschi.

'Knives of New Orleans' ist eine Kriminalgeschichte über einen Mord in New Orleans, während das ruhige 'Holdin' My Own' vom sich Zurückziehen erzählt und dem Festhalten derer, die man liebt. Bis zu allerletzt.

'Kill a Word' handelt von der Macht von Worten, dem Bösen das sie bewirken können und dem Wunsch nach Positivem stattdessen. Denn wenn Worte erst ausgesprochen sind und gehört wurden, dann können sie nicht mehr zurückgenommen werden. Dann ist es zu spät.

Ein weiteres Highlight ist der Song 'Record Year'. In einem gelungenen Wortspiel geht es um das Jahr nach einer Beziehungstrennung. Ein Jahr, das damit begann, sich in Musik zu vergraben und alte Vinyl Platten auszugraben. Ein Record Jahr das eine neue Liebe entstehen lässt, nämlich die zur Musik, die einen tröstet und begleitet. Und wie großartig ist die Doppeldeutigkeit von Textzeilen wie dieser: "Du bist fort und ich halte es nicht länger aus, aber die Nadel wird es besser machen". Denn die Nadel ist nicht die der Drogenspritze, sondern die des Schallplattenspielers.

Das Album endet mit dem Titel, der angeblich der Auslöser für die Entstehung des Werkes war. Gewidmet seinem 3-jährigen Sohn erzählt es von den neuen Lebenseinblicken, die man durch die Augen eines so kleinen Kindes durchaus gewinnen kann, auch wenn die Jesus-Referenz nach einer nachträglichen Ergänzung klingt:

"Du kannst ein Cowboy auf dem Mond sein,
du kannst dich mit dem Löffel nach China graben,
mit Jesus telefonieren
und den ganzen Tag "Ich liebe Dich" sagen,
und wenn du Unrecht hattest, es auch zugeben.
Das habe ich von einem Dreijährigen gelernt!"

Schon lange nicht mehr hat mich ein Album durchgängig so angesprochen, schon lange nicht mehr hat ein Album so erfrischend geklungen. Und ich bin überzeugt, dass diese Album auch noch sehr viel länger relevant bleiben wird.

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