The Lost Album
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20 Jahre mussten wir warten, um das Album endlich hören zu können. In den Jahren 2000 und 2001 in verschiedenen Studios in Nashville aufgenommen, ist "Promised Land: The Lost Album" völlig überraschend am 25. September 2020 auf dem Label BFD/Audium Nashville veröffentlicht worden. Aber es gibt auch etwas Bitteres daran: denn nicht nur Produzent Nelson Larkin ist bereits 2013 verstorben, sondern am 10. April 2019 im Alter von 77 Jahren auch der Künstler Earl Thomas Conley selbst.
So sagt seine jüngste Tochter Erinn Scates über das Projekt und ihren Vater: "Diese Musiksammlung war eine der letzten Bemühungen meines Vaters, ein Album zusammenzustellen. Darauf finden sich einige seiner nachdenklichsten Texte und von Herzen kommendsten Erinnerungen. Vater hatte viele Talente. Er malte, handwerkte und zeichnete, aber seine größte Leidenschaft blieb immer die Musik."
12 Songs finden sich auf dem verlorenen Album, die alle von Earl Thomas Conley gemeinsam mit einer Handvoll weiterer Songschreiber erarbeitet wurden. Entstanden sollen sie bereits in den 1990er Jahren sein, als eine Fortsetzung seiner erfolgreichen Karriere noch zum Greifen nahe schien. 1991 hatte der introvertierte Künstler aus Ohio mit 'Brotherly Love' aus seinem letzten Major Label Album "Yours Truly" seinen letzten Top-10 Hit (Platz 2). Die plötzliche Leere danach hätte dieses Album füllen können. Denn es beinhaltet alle Elemente, die Earl Thomas Conley in den 1980er Jahren so einzigartig und erfolgreich gemacht hatten.
In einem Interview sagte er 1984: "Wenn du ein Album aufnimmst, dann solltest du 3 Typen von Leuten im Hinterkopf behalten - deine Fans, Live-Auftritte und Radio. Ein Album braucht Intensität und Uptempo-Songs, aber für die richtige Dynamik auch sanfte Titel. Daher versuche ich als Songschreiber auch diese verschiedenen Arten von Songs zu schreiben."
An dieser Erkenntnis hat sich wohl auch Jahrzehnte später nichts geändert. Zwar bietet The Lost Album mehrheitlich langsame und Mid-Tempo Songs, aber auch schnelle Songs in nicht zwingend traditionellem Country-Stil runden das Projekt ab. Das bluesig-treibende 'She Just Wants To Dance' oder 'I Still Love The Girl' mit seinen funkigen Bläsersätzen sind Paradebeispiele für letzteres.
Lange Jahre ein starker Raucher, machte ihm seine Stimme in den 2000er Jahren zunehmend Probleme. Erfreulicherweise ist davon auf dem Album praktisch nichts zu hören. Vielmehr vermag ETC noch einmal mit jeder Faser seiner Stimme die verschiedensten Schattierungen seiner Songtexte zu transportieren. Texte, deren Vielschichtigkeiten ihm schon früh den Begriff Thinking Man's Country eingebracht hatten.
Diese detaillierte Auseinandersetzung mit Formulierungen und der richtigen Wortwahl waren ihm so wichtig, dass er in einem Interview zugab: "Man muss darauf achten, das es nicht zu anspruchsvoll, zu ernst wird. Die meisten der richtig ernsten Dinge, über die man als Songwriter gerne schreiben würde, könnten den Zuhörern zu viel abverlangen. Ich hatte Leute, die mich fragten, was ich in einem Song meinte, und da wurde mir klar, dass ich darauf achtgeben musste."
In den Themen seiner Songs geht es fast ausschließlich um Beziehungen, so auch auf dem Lost Album. Im Unterschied zu den meisten anderen Künstlern sind Beziehungen bei Earl Thomas Conley aber immer kompliziert und niemals einfach. Genaugenommen, findet sich kaum ein Song mit Happy-End in seinem Reportoire. Wahrscheinlich, weil dieses Thema zu wenig Angriffspunkte und Perspektiven bietet, um darüber aufwühlende Songs zu schreiben.
Mit 'Your Love Is Worth It All' findet sich ein einziger problemloser, positiver Love-Song auf dem Album. Dort weiß der Protagonist bereits mit 9 Jahren, wer seine große Liebe ist. Eine Bestimmung mit Happy End, die in seinem Kitsch so gar nicht zu Earl Thomas Conley passt. Dafür findet sich auf den übrigen Titeln eine Vielzahl von Beziehungs-Konstellationen, bei denen jeweils zumindest eines der Elemente Timing oder beteiligte Personen nicht zusammenpassen.
Selbst der Titel, der bereits auf seiner Essential Sammlung
veröffentlicht worden war ('Love's The Only Voice'), ist nicht ganz das, wonach er klingt. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin
Carole Scates geschrieben, geht es nicht um das oberflächliche
Statement, dass Liebe alle Probleme zu lösen vermag, sondern dass der Weg
dorthin schwierig ist und zu oft scheitert, wie Carole Scates im Interview mit
soundslikenashville.com
betonte:
"So häufig ist es eine einseitige Beziehung. Wenn es nicht von beiden
Seiten kommt, dann wird es nicht funktionieren oder nicht von Dauer
sein."
In 'Better Said Than Done' ist sie misstrauisch und es geht ihr viel zu schnell, wenn sie sagt: "Setz mich nicht unter Druck mit Versprechen, die du nicht halten kannst". Die Erkenntnis über gemachte Fehler und falsche Prioritäten kommt möglicherweise zu spät ("Ich sehe, was ich kaputt gemacht habe") in 'Working My Way Down' ("Ich weiß nicht, wo ich landen werde").
Die verletzliche Frage, wieviel Liebeskummer ein Mann ertragen kann, stellt der Song 'How Much Heartache', während eine alte Liebe in 'My Heart's Just Her Old Stompin' Ground' wieder aufgetaucht ist. Doch während er immer noch an ihr zu hängen scheint, empfindet sie schon lange nichts mehr für ihn. Um den hoffnungslosen Schmerz unerwiderter Liebe geht es in 'That's What A Fool Deserves'.
'Takin' Me Away From The Promised Land' ist titelgebend für das Projekt und beschäftigt sich mit der Erkenntnis, dass die Suche nach dem großen Glück und Erfolg in der weiten Welt zwar im ersten Moment der richtige, weil aufregende Weg ist, aber letztendlich immer weiter weg vom kleinen, aber beständigen Glück führt ("Frau und Kinder passten nicht in meinen Plan"). Ebenfalls eine verlorene Illusion beschreibt 'Those Clouds I've Been Walking On': nämlich den Moment, wenn sich Wolke 7 aufzulösen beginnt.
Aber nicht nur Musik und Texte tragen die Handschrift von Earl Thomas Conley, sondern auch das Album-Cover tut es. Es ist eine Skizze, die er angefertigt hatte, als er mit Carole Scates an einer Terrasse für das gemeinsame Haus arbeitete. Stufen und Weg des verwendeten Ausschnittes werden so zur perfekten Symbiose mit dem Album-Titel, deuten sie doch den Beginn eines Weges an, an dessen Ende man vielleicht das gelobte Land (Promised Land) vermuten könnte.
Für Earl Thomas Conley kommt dieses Projekt leider viel zu spät, für seine Fans ist es ein nicht mehr erwartetes Geschenk. Und auch wenn es keine Fortsetzung mehr geben kann, kann das Album vielleicht doch ein Anfang dafür sein, seine großartige Musik neu zu entdecken.
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