Sünde am Fluss Haw

Einen letzten Versuch will Earl Thomas Conley noch starten - und zwar als Interpret auf Sunbird Records, einem kleinen Label, das Nelson Larkin gegründet hatte. Dort wird 1980 endlich sein erstes Album unter dem ungewöhnlichen Titel "Blue Pearl" veröffentlicht. Es ist sein 39. Geburtstag und wie schon Hank Williams 30 Jahre vor ihm, singt er von verlorener Liebe, Enttäuschung und der Suche nach Erfüllung ('Middle-Age Madness').
Als RCA Records das kleine Lable Sunbird kurz danach übernimmt, erscheint 1981 das Album "Fire & Smoke". Es beinhaltet neben 'Fire & Smoke' drei weitere Titel, die bereits auf "Blue Pearl" enthalten waren. Mit der Promotion eines Major Labels im Rücken, sind die Weichen nun endgültig gestellt, und Earl Thomas Conley auf Erfolgskurs zum erfolgreichsten Country Künstler der 1980er Jahre. 'Fire & Smoke' wird zu seinem ersten Nummer-1 Hit.
Im August 1982 folgt das Album "Somewhere Between Right and Wrong". Der selbst geschriebene Titelsong über die Affäre einer Frau in einer unglücklichen Beziehung wird nicht nur zu seinem zweiten Nummer-1 Hit sondern zeigt Earl Thomas Conley mit einem neuen und modernen Sound, der ein erster Vorbote auf die kommende musikalische Entwicklung ist.
Mit der nachfolgenden Single, der romantischen Ballade 'I Have Loved You Girl (But Not Like This Before)' zeigt Earl Thomas Conley, dass er auch positive Musik machen kann. Allerdings bleibt der Song auf Platz 2 in den Charts hängen.
Mit seinem vierten Studio-Album ('Don't Make It Easy For Me'), das nicht einmal ein Jahr später (Mai 1983) erscheint, wird Earl Thomas Conley endgültig zum Star. Mit 4 Nummer-1 Hits aus einem Album schreibt er Geschichte als erster Interpret überhaupt. Darunter befindet sich mit 'Holding Her and Loving You' ein Song, für den er sogar eine Grammy Award Nominierung erhält. Die einfühlsame Ballade beschreibt den Gewissenskonflikt in einer Beziehung, wenn es da plötzlich eine neue Liebe gibt.
Gleichzeitig setzt er seine musikalische Entwicklung fort und lässt dabei die traditionellen Country Elemente hinter sich. Die metallisch-treibende Percussion des Titelsongs ('Don't Make It Easy For Me') macht die Single zur rockigsten seiner Karriere. In der Tat muss die Produktion der Single nachgebessert werden, um nicht Gefahr zu laufen, vom Country Radio erst gar nicht gespielt zu werden. "Für mich hat das Lied an Drive und Energie verloren, weil wir es für das Radio so zahm machen mussten", bedauert Earl Thomas Conley trotzdem in einem Interview mit Billboard Magazine.
Zeit seines Lebens nimmt man ihn als introvertiert und zurückhaltend wahr, als jemanden dessen Kämpfe mit seinen inneren Zweifeln nur in seinen Songs zum Vorschein kommen. So wie in 'Don't Make It Easy For Me'. "Du kannst Dinge nicht erreichen, wenn etwas in dir nicht daran glaubt. Deshalb geht es in diesem Song um die Herausforderungen im Leben und das haben wir in ein Liebeslied verpackt", versucht Co-Author Earl Thomas Conley das Lied mit dem ungewöhnlichen Titel in knappen Worten zu erläutern.
Als im Oktober 1984 das blaue Album "Treadin' Water" erscheint, blickt er bereits auf 6 Nummer-1 Hits zurück. Alle 3 Singles aus dem neuen Album setzen den Zähler auf neun, bzw. 7 in Serie. Das Album bleibt das progressivste in der Karriere von Earl Thomas Conley, nutzt es doch den letzten Stand der Technik mit Klängen, die man heute klassischerweise mit den 1980er Jahren verbindet. Synthesizer, elektronisches Schlagzeug und Keyboards haben traditionelle Country Instrumentierung verdrängt und platzieren das Album stilistisch näher bei Phil Collins als bei George Jones.
Die Liebe ist für ihn textlich weiterhin kein Ort des Glücks, sondern der Ungewissheit und Zerrissenheit. Im Titelsong wirft er ihr vor, ihn zappeln zu lassen und nur Zeit für ihn zu haben, wenn sie wiedermal unglücklich ist. In 'Honour Bound' widmet er sich erneut dem Thema des Gewissenskonfliktes vor dem heraufziehenden Ende einer Beziehung, wenn er singt: "Noch ist nichts ausgeprochen, noch ist nichts getan, aber es ist nicht leicht, den Unterschied zwischen einem Sonnenaufgang und dem Sonnenuntergang zu sehen." Und in 'Love Don't Care (Whose Heart It Breaks)' wird die Liebe zum Fatalismus, dem man ausgeliefert bleibt.
Im Folgejahr erscheint das erste "Greatest Hits" Album mit zwei neuen Titeln, die beide ebenfalls die Spitze der Charts erreichen. 'Nobody Falls Like a Fool' und 'Once in a Blue Moon' gehören zum Besten aus dem Katalog von Earl Thomas Conley. Mit ihnen hat er endgültig seinen Stil gefunden. Eine State-of-the-Art Produktion lassen seine markante Stimme im textlichen Zweifel über die eigene Unvollkommenheit aufgehen. Längst hat sich Earl Thomas Conley die Bezeichnung Thinking Man's Country für seine Musik erworben.
Als der Titelsong für das nachfolgende Album "Too Many Times" (1986) als Single veröffentlicht wird, erreicht er nur Platz 2 in den Charts. Aber da es ein Duett mit Anita Pointer von den The Pointer Sisters ist, bleibt seine Serie von Solo-Nummer-1 Hits ungebrochen. Eine Serie, die die nächsten 3 Singles weiter verlängern. Darunter sind die beiden Balladen 'I Can't Win for Losin' You' und 'That Was a Close One', die beide von Robert Byrne stammen, der wiederholt einige der schmerzvollsten Titel für Earl Thomas Conley geschrieben hatte.
Zwei der eindringlichsten Songs finden sich als Deep Cuts auf dem Album "Too Many Times". Da ist einerseits der selbst geschriebene Song über die ständige Präsenz von Schmerz und Enttäuschung im Leben ('Attracted to Pain') und dann ist da die Geschichte über ein Scheidungskind, für das sich die Enttäuschungen der Eltern im eigenen Leben wiederholen. Selbst nicht in einer glücklichen Familie aufgewachsen, spricht ihn das Lied wohl besonders an, auch wenn er es nicht selbst geschrieben hat.
"Mama war Papa's große Liebe,
Kinder wollte sie immer haben.
Sie war 17 als ich zur Welt kam
und alles was ich glaubte, war
dass wir immer eine Familie bleiben würden.
Aber jetzt heißt es, dass ich auch erwachsen bin,
habe selbst 2 Kinder, denen ich Liebe und Teilen beibringe,
und nun können ihre eigenen Eltern kein Bett mehr teilen ..."
(Joe Scaife / Mark Wright)
Gegen Ende des Jahrzehnts erscheint das 7. Studio-Album von Earl Thomas Conley mit dem Titel "The Heart of It All" (1988). Stilistisch ist es weniger progressiv und beginnt wieder traditionellere Country Elemente aufzunehmen. Die ersten beiden Singles, darunter ein Duett mit Emmylou Harris ('We Believe in Happy Endings') sind Beispiele dafür - und beide klettern auf Platz 1.
Zu einer der denkwürdigsten Singles seiner Karriere macht Earl Thomas Conley Ende des Jahre 1988 den Titel 'What I'd Say'. Erneut von Robert Byrne (und Will Robinson) geschrieben, geht es um die Gedankengänge, was man wohl sagen wird, wenn man einer vergangenen, aber noch nicht verarbeiteten Liebe wieder begegnet. Die Herausforderung dabei: der Text des Liedes sieht die Zeile go to hell vor, ein potentielles Problem für die Veröffentlichung im (familienfreundlichen) US-Radio.
"Viele Leute sagten, wie gehst Du damit um, dreimal das Wort HELL im Radio zu singen? Ich sagte, wenn sie so ein Problem damit haben, dann sollen sie den Song doch floppen lassen. Zeigt mir einen Menschen, der nicht schon einmal in so einer Situation war. Selbst wenn er ein Pfarrer ist - jeder hat sich schon mal so gefühlt und die meisten haben es auch gesagt", besteht Earl Thomas Conley kompromisslos darauf, das Lied genau so aufzunehmen.
Erneut landet der Song auf Platz 1. Als am 17. Juni 1989 mit 'Love Out Loud' die vierte Single aus dem Album auf Platz 1 steht, ist Earl Thomas Conley mit 18 Solo-Nummer-1 Hits in Serie zum kommerziell erfolgreichsten Country Künstler der 1980er Jahre aufgestiegen. Erst die fünfte Single aus dem Album ('You Must Not Be Drinkin' Enough', ein Cover eines Don Henley Songs) bleibt auf Platz 26 hängen und beendete damit die spektakuläre Serie von Nummer-1 Hits.
Mit der Wende in die 1990er Jahre tritt eine neue Generation von traditionell beeinflussten Künstlern auf den Plan. Mit seinem Album "Yours Truly" (1991) versucht auch Earl Thomas Conley sich dem anzupassen. Aber von 4 Singles erreichen nur mehr 2 die Top-10. Darunter ein Duett mit dem verstorbenen Keith Whitley ('Brotherly Love'), das bereits 1987 (2 Jahre vor dessen Tod) aufgenommen worden war. Es bringt Earl Thomas Conley eine letzte Grammy Nominierung für Beste Country Vocal Collaboration 1991 ein und erreicht noch Platz 2 in den Charts.
Doch danach wird es still um den inzwischen 50 jährigen Künstler, der das Country Radio eines ganzen Jahrzehnts dominiert hatte. "Yours Truly" bleibt das letzte Studio-Album in voller Länge mit neuem Material, und irgendwie verschwindet er völlig aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. Gerüchte über gesundheitliche Probleme und Unstimmigkeiten mit dem Label machen die Runde.
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