Tagebuch einer Songschreiberin

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"Sei aufgeschlossen und höre es an einem ruhigen Ort. Lass dich mitnehmen. Höre es von Anfang bis zum Ende. Ich hoffe, du lernst ein bisschen über mich oder vielleicht auch über dich. Wir alle versuchen das [Leben] zu verstehen oder brauchen auch mal eine Pause davon. Lasst mich euch dabei helfen." (Lanie Gardner / sweetyhigh.com, 25. Oktober 2024)

Heimkommen

"Das Erste, an das ich mich erinnern kann,
war die einsame Sirene eines Zuges
und der Traum eines Jungen,
mit einem Frachtzug fortzufahren,
nicht wissend wohin es geht."
(Mama Tried / Merle Haggard)

Genau 50 Jahre ist es 2018 her, dass eine Single veröffentlicht wurde, die vom Verlangen eines jungen Mannes erzählte, die große Welt zu entdecken. Unbekümmert und ungebändigt, brachte das den jungen Mann im Liedtext aber schon sehr bald lebenslang ins Gefängnis. Ein Schicksal, vor dem ihn seine Mutter immer versucht hatte zu bewahren. Warum nur hatte er nicht auf sie gehört? Geschrieben hatte das Lied ein damals 31-jähriger Sänger namens Merle Haggard. Und das was er darin beschrieb, war seine eigene Geschichte.

Denn bereits im Alter von erst 20 Jahren saß Merle Haggard 1958 wieder einmal in einem kleinen Bezirksgefängnis irgendwo in Kalifornien. Diesmal war es ein Raubüberfall auf ein Restaurant gewesen, der ihm eine Mindeststrafe von 6 Monate einbrachte. Aber bereits nach 2 Monaten wurde er völlig unvorbereitet verlegt. Und zwar in einen der schlimmsten Orte, die man sich vorstellen konnte: ins Hochsicherheitsgefängnis von San Quentin, das gleichzeitig das einzige Gefängnis in Kalifornien war, das eine Todeszelle besaß.

2 Jahre seines Lebens verbrachte Merle Haggard dort. Eine Zeit, die einen anderen Menschen aus ihm machten. Als er 1960 begnadigt wurde, verließ er San Quentin mit dem festen Vorsatz, seine Leben zu ändern. Ein Vorsatz, den die Legende zumindest teilweise dem historischen Konzert-Auftritt von Johnny Cash in San Quentin zuschreibt.

'Mama Tried' wurde zu einem der wichtigsten Songs in der Karriere eines der bedeutendsten Künstler in der Country Music. Neben dem simplen und eingängigen Refrain, machte die Akkordfolge den Song zum unverkennbaren Markenzeichen von Merle Haggard, bis über seinen Lebensende hinaus.



Fast genau 2 Jahre nach seinem Tod veröffentlichte Keith Urban in Vorbereitung auf sein kommendes Album eine neue Single, deren Referenzpunkt das Lied ist, das vor fast genau 50 Jahren erschienen ist. Und es gelingt ihm damit, fest in der Gegenwart stehend, eine Brücke in die Vergangenheit zu schlagen. 'Coming Home' versucht viele verschiedene Elemente zu einem neuen Ganzen zusammenzufügen.

Der Song beginnt mit der berühmten Akkordfolge aus 'Mama Tried'. Allerdings erklingt sie nicht auf einer Gitarre, wie im Original, sondern in elektronischer Form, leicht verzerrt, wie ein Echo aus der Vergangenheit, das im Jetzt widerhallt. "Diese Haggard Gitarrenakkorde zu hören, löst unmittelbar Kindheitserinnerungen aus, und wie ich davon geträumt habe, nach Amerika zu gehen", unterstreicht Keith Urban die persönliche Bedeutung des Liedes.

Sie begleiten den Song 'Coming Home' als Thema, unterschwellig und immer gegenwärtig, ohne zu sehr in den Vordergrund zu treten. Sie sind wie die lange verklungene Originalversion, eine bereits vergilbte Erinnerung an vergangene Zeiten. Aber immer noch da, auch wenn sie kaum mehr zu hören sind.

So spielt das Lied mit dem allzuvertrauten Gefühl von Sehnsucht. "Für mich steht die Geschichte des Songs für all die Anstrengungen, die du durchmachst, in der großen Stadt, in die dich deine Träume gebracht haben, in der du aber so weit weg von zu Hause bist", fügt Keith Urban hinzu. Eine Sehnsucht nach dem Heinkommen, die sich aber auch auf die bittersüße Erinnerung an eine Zeit übertragen lässt, in der 'Mama Tried' noch ein aktueller Hit war.

Deshalb wird Merle Haggard nicht nur als Songschreiber zu dem Lied angeführt, sondern Keith Urban hat auch bei der Familie des verstorbenen Stars um Genehmigung für die Verwendung der Song-Melodie angefragt - und auch erhalten. 'Coming Home' greift zwar einen der Lieblingssongs aus der Kindheit von Keith Urban auf, aber er bleibt musikalisch trotzdem ganz konsequent im 21. Jahrhundert.

Das heißt, hier stehen elektronische Melodiefolgen im Vordergrund, die von J.R. Rotem einem weiteren neuen Produzenten in LA beigesteuert wurden. Damit steht der Song mit beiden Beinen fest im modernen Pop, gedanklich aber hat er seine Wurzeln nicht vergessen. Mit der Pop-Singer-Songwriterin Julia Michaels holt er eine neue Künstlerin als sogenannte Feature-Stimme an seine Seite.

Während Keith Urban mit 'Coming Home' eine selten geglückte Verbindung seiner musikalischen Wurzeln in modernsten Klängen verschmilzt, bei der die Melodie eingängig und auch die Sehnsucht zu hören ist, fällt der Text dagegen ab. Kaum mehr als 2 Strophen bestätigen den Entstehungsprozess im Studio, der mehr auf die elektronisch-musikalische Umsetzung ausgerichtet war, als darauf eine echte Geschichte zu erzählen.

Dass gleich 5 Namen als Autoren angeführt werden, scheint dem zu widersprechen. Aber man braucht nur eins und eins zusammenzufügen: da ist Merle Haggard genannt, dann noch Julia Michaels, die eine Textzeile beigesteuert hat, sowie Produzent J.R. Totem, der bei der Umsetzung half. Keith Urban und Nicolle Galyon machen das Quintett dann vollzählig.

'Coming Home' spiegelt die künstlerische Entwicklung von Keith Urban wider. Längst ist er musikalisch aus dem Genre herausgetreten und hat eine neue Leidenschaft für Beats und Rythmen entdeckt. Mit Bedauern muss man dabei zur Kenntnis nehmen, dass damit auch die Gitarre, sein ureigenstes Markenzeichen, aus seinem Sound praktisch verschwunden ist.
Trotzdem wird er im Country Radio noch bereitwillig gespielt, denn 'Coming Home' befindet sich bereits in den Top-30 der Billboard Country Charts.

Sein neues Album "Graffiti U" wird am 27. April 2018 erscheinen.

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