Kaltes Bier & der King der Country Music

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"Das ist es, was gute Musik ausmacht. Sie fasst das in Worte und Melodien, was Menschen oft schwer fällt, mit eigenen Worten zu sagen. Aber wenn sie den richtigen Song hören, dann fühlen sie sich verstanden. Ich denke, das ist ganz entscheidend." (Zach Top / americansongwriter.com, 5. April 2024)

Country2Country

"[In den 90ern] musste Country Music einen bestimmten Sound haben und Künstler mussten einen bestimmten Look haben. Wenn sie etwa keinen Cowboyhut trugen, konnten sie gleich wieder einpacken. Aber jetzt: was ist es jetzt, wie sieht es aus, wie beschreibt man die Musik? Sie hat so viele Ausprägungen und uns hat [diese Offenheit] ganz klar geholfen."
(John Osborne / BBC, The Country Show with Bob Harris, 11. März 2024)


Es ist nicht ganz so schwierig, sich als das größte Country Music Festival in Europa zu bezeichnen, denn noch gibt es nicht allzu viele davon. Andererseits ist das seit 2013 organisierte C2C (Country2Country) mit einem Programm, dass in 5 europäischen Ländern stattfindet und The O2 Arena, als die größte Veranstaltungshalle in London (und zweitgrößte in Großbritannien), für 3 Tage mit 20.000 Besuchern füllt, dann auch nicht gerade klein.

Nach den Pandemie-bedingten Unterbrechungen findet das Festival 2024 neben Großbritannien (England, Nordirland und Schottland) für jeweils 3 Veranstaltungstage auch wieder in den Niederlanden (Rotterdam) und Deutschland (Berlin) statt, wenn auch dort nur für 2 Tage und mit entsprechend abweichendem Programm.

In Großbritannien hat man ein effektives Rotationsprinzip installiert, bei dem die Künstler abwechselnd jeweils einen Tag in Belfast, Glasgow und London auftreten. Der Veranstaltungsort in der Britischen Hauptstadt ist The O2 im nördlichen Greenwich gelegen.

1999 mit seiner Zeltplane als Millenium Dome errichtet, wurde die tatsächliche Veranstaltungshalle im Inneren erst nachträglich errichtet und 2007 mit einem Konzert von Bon Jovi offiziell eröffnet. Bereits 2 Jahre zuvor hatte der Komplex seinen neuen Namen The O2 erhalten. Heute umfasst er neben der 20.000 Besucher fassenden Arena, seit 2018 auch das Icon Outlet Shopping Center mit 60 Geschäften und 26 Restaurants, sowie ein Kino mit 11 Sälen, das rund um die im Zentrum errichtete Arena angelegt ist.

Darüberhinaus beherbergt The O2 mit The Indigo eine weitere kleine Veranstaltungshalle für bis zu 2.700 Besucher.

All das wird nun vom C2C-Festival bespielt. Was dem Publikum nicht nur ausreichend Live-Musik auf 9 zusätzlichen Bühnen bietet, sondern auch Gastronomie in Hülle und Fülle, sowie Einkaufsmöglichkeiten. Während The Indigo ein vollausgestattetes Sound- und Lichtsystem besitzt, sind die restlichen Bühnen unterschiedlich ausgestattet. Sie reichen von der mittelgroßen Open-Air Bühne vor dem Eingang des Komplexes über Club-Bühnen in Lokalen bis zu kleinen Flächen am Gang des Icon Shopping Outlets, wo die Künstler vorwiegend mit akustischer Gitarre auftreten können.

Mit rund 70 Künstlern aus Großbritannien und Australien, aber vorwiegend aus den USA, beginnt das Programm bereits um 10 Uhr vormittags und endete gegen 23 Uhr in der großen O2 Arena. Um dieses umfassende Musikprogramm im Überblick zu behalten, gibt es eine eigene Handy-App, mit der die Besucher ihre Lieblingskünstler auswählen und deren Auftritte in einem individuellen Terminplan selbständig zusammenstellen können.

Durch den Umstand, dass nur eine Bühne im Freien ist, bleibt das Festival auch vom leicht regnerischen London-Wetter unbeeindruckt. Lediglich die kühlen Temperaturen sind unangenehm zu spüren, da das Icon Outlet Shopping Center nur von der künstlichen Zeltplane überdacht ist, welche The O2 sein unverkennbares Aussehen verleiht.

Der Großteil der Künstler ist noch wenig bekannt, was ihrem Können jedoch keinen Abbruch tat. Für sie ist es meist die erste Berührung mit einem internationalen Publikum und das ehrliche Staunen darüber, dass Menschen aus einem anderen Land ihre Musik entweder bereits kennen oder sie jedenfalls hören wollen, ist ihnen ehrlich anzumerken.

Gleichzeitig erlaubt es dem Publikum, mit jungen Künstlern auf Tuchfühlung zu gehen oder gar einen großen Star von morgen schon heute live zu erleben. Höhepunkt ist in jedem Fall der tägliche Abschluss des Programms in der großen O2 Arena mit jeweils 4 namhaften Künstlern, die zwischen einer und 1 1/2 Stunden lang all das nutzen, was die Arena an Sound und Licht zu bieten hat.

Bereits kurz nach Mittag, am Freitag, dem 8. März 2024, weiß Charlie Worsham im Indigo mit gut gelaunter Band unter anderem mit einer pulsierenden Version seines bereits 10-Jahre alten Titelsong des Albums 'Rubberband' zu begeistern. Er gilt als einer der anerkanntesten Musiker Nashville's, auch wenn ihm der kommerzielle Erfolg bis dato versagt geblieben ist.

Auf der Icon Stage im fröstelnd kühlen Gang des Icon Outlet Shopping Centers tritt dann die junge Hannah Ellis auf, deren eingängiges Pop-Country Debüt-Album "That Girl" erst vor kurzem (am 12. Jänner 2024) beim Major Label Curb Records erschienen ist. Sie wird von einer zweiten Stimme und akustischer Gitarre begleitet und erzählt zu jedem Song eine kleine Hintergrundgeschichte.

Ganz alleine mit akustischer Gitarre folgt dann die britische Künstlerin Chloe Chadwick und präsentiert eine gelungene Mischung aus Country-Rock ('Shoot to Run') und Singer-Songwriter Material ('Your Fire').

Noch einmal akustische Musik gibt es dann ab 17 Uhr 20 in der großen O2 Arena, wo unter dem Motto Introducing Nashville, drei Nachwuchskünstler jeweils 3 ihrer Lieder, auf Barhockern sitzend und mit akustischen Gitarren ausgerüstet, präsentieren. Es sind Lauren Watkins, Karley Scott Collins und Conner Smith. Letzterer wurde über die Sozialen Medien mit dem Song 'I Hate Alabama' bekannt und hatte erst kürzlich mit 'Creek Will Rise' seinen ersten Top-20 Hit in den Radio (Billboard Country Airplay) Charts.

Es folgt Lauren Alaina, die 2016 bereits auf der Indigo-Bühne des C2C-Festivals aufgetreten war und nun erstmals auf der Hauptbühne zu sehen ist. Mit einem feurigen Auftritt kann die frisch verheiratete Künstlerin nicht nur das Publikum begeistern, sondern gewährte auch ungewollt tiefe Einblicke. Leider ist der Sound bei ihrem Auftritt großteils unangenehm übersteuert.

Kurz vor 20 Uhr betritt Carly Pearce in einem grünen Kleid mit leuchtend roten Rosen und langen Stiefeln in der gleichen Farbe die Bühne. Noch vor rund einem Jahr galt sie als eine der vielversprechendsten Country Künstlerinnen. Heute spricht alles und jeder nur mehr von Lainey Wilson. Trotzdem bietet Carly Pearce, die ihr neues Album "Hummingbird" für den 14. Juni 2024, sowie eine kleine Konzerttour durch England angekündigt hat, eine sehr überzeugende Show. Und schließlich holt sie für ihre aktuelle Single 'We Don't Fight Anymore' noch Jackson Dean als Überraschungsgast auf die Bühne, der damit den Part von Chris Stapleton im Song übernimmt.

Sie präsentiert ruhige Country Balladen, die meist selbst geschrieben, aus tiefstem Herzen kommen und das Publikum zu Standing Ovations hinreißen. Nicht unerwartet spielt die Scheidung im Juni 2020 (nach nur 8-monatiger Ehe mit Country Sänger Michael Ray) eine zentrale Rolle in ihren Themen. So auch im Song 'Truck On Fire', der auf dem kommenden Album enthalten sein wird und mit dem sie zeigt, dass sie es auch lauter und schneller kann.

Richtig laut und effektvoll wird es dann jedoch beim abschließenden Höhepunkt des Tages, als Kane Brown seine neue In The Air Tour 2024 erstmals live vor Publikum präsentiert. "Ich war immer ein Außenseiter in der Country Music", erzählt der Künstler mit gemischtem ethnischen Hintergrund dem Publikum. Und demonstriert mit Pyrotechnik, Konfetti und Laserlichtern, warum das so ist. Dass ihm die brandneue Bühnenshow noch nicht ganz in Fleisch und Blut übergegangen ist, merkt man ihm trotzdem etwas an.

Aber er zeigt sich als der wahrscheinlich vielseitigste Künstler des Festivals (oder im Genre überhaupt), wenn er ansatzlos zwischen Country und Hip-Hop, Reggae und Pop, Rock und Country abwechselt. Seine Nervosität ist spürbar, als er den Hit 'I Can Feel It' spielt, weil ihm bewusst ist, dass er es in der Heimat von Phil Collins macht. Für den Hit 'Thank God', den er mit seiner Frau aufgenommen hatte, holt er nochmal Carly Pearce auf die Bühne und bei 'What If's' begleitet ihn wie im Original seine Schulfreundin Lauren Alaina.

Langeweile kommt da keine auf und für besondere Begeisterung sorgt eine überraschende, akustische Cover-Version von 'Friends in Low Places' von Garth Brooks. Nach knapp 90 Minuten bringt Kane Brown dann den ersten Festival-Tag eindrucksvoll und pünktlich um 23 Uhr zu Ende.

Nach einem persönlichen Tag Pause, geht es am dritten und letzten Tag des Festivals (10. März 2024) bereits um 10 Uhr am Vormittag los. Der 21-jährige englische Country-Rock Nachwuchskünstler Luke Flear tritt um 11 Uhr auf der Icon Stage auf. Auf der akustischen Gitarre singt er mit Reibeisen-Stimme 'Wanted Dead Or Alive' von Bon Jovi, danach folgen selbst geschriebene Songs aus seinem ersten Album "Looks Country To Me" (2022).

Um 11 Uhr 30 steht die junge Tanner Adell auf der Bühne des Indigo. Auch sie hat einen gemischt ethnischen Hintergrund und verbindet Hip Hop mit Country. Auf Spotify hält der Titelsong ihres ersten Albums für Columbia Records "Buckle Bunny" aus 2023 bei über 4 Mio. Streams. Hier präsentiert sie sich und ihre Musik ohne Beats, sondern nur mit akustischer Gitarre. Und sie erzählt dazu nicht nur etwas über sich, sondern auch über die Doppeldeutigkeiten so mancher Textzeilen in ihren Songs. So erfährt das Publikum wofür Pink Cadillac im Song 'Throw It Back' wirklich steht.

Im Town Square Bereich vor der Halle, wo sich zahlreiche Verkaufsstände für Western-Stiefel, Hüte, Schmuck und Bekleidung befinden, findet sich auch die Barrelhouse Bühne. Dort tritt um 12 Uhr das englische Duo Gasoline & Matches auf, das mit Saxophonist und Schlagzeuger und druckvollem Pop-Rock-Country begeistert. Bereits 2018 haben sie ihren ersten Song veröffentlicht. Am 15. März 2024 erscheint der neueste, die poppige Ballade 'Could've Been a Love Song'.

Wieder zurück im Indigo steht der ehemalige Motocross-Fahrer und Newcomer Blake Redferrin auf der Bühne. Als Künstler nennt er sich einfach nur Redferrin und als Songschreiber hat er unter anderem am Song 'Lil Bit' für Nelly und Florida Georgia Line mitgeschrieben. Unverkennbar ist er stilistisch auch dort verankert und erinnert stimmlich immer wieder an Morgan Wallen. Er wird von einem Schlagzeuger unterstützt, während Gitarre und Beats aus der Konserve kommen.

Auch Redferrin scheint es kaum fassen zu können, dass ihn seine Musik bis über den großen Teich gebracht hat. Geradezu verlegen kommentiert er das immer wieder mit "Hell yeah!" Seine sehr ins Ohr gehenden und vom Hip Hop beeinflussten Songs wie 'Lose Her For Nothin'' oder 'Champagne In The Morning' stammen aus seiner eben erschienen ersten EP "Old No. 7" vom 16. Februar 2024.

Auf der Wayside Bühne müht sich dann Brad Cox aus Australien mit dem Stimmen der akustischen Gitarre ab. Es ist ein Ersatz-Instrument, wie er erzählt, denn sein Original hat den Flug von Australien nicht unbeschädigt überstanden. Der Australische Luke Combs bleibt so in erster Linie durch seine markante Stimme in Erinnerung.

Wieder auf der Barrelhouse Bühne zurück, spielt Matt Koziol gerade seine letzten beiden Songs. Leider gibt es auch für ihn keine Band, sondern nur eine akustische Gitarre. Und da er viel zu leise spricht, ist er von hinten auch kaum zu hören. Da kommt leider keine wirkliche Stimmung auf.

Schließlich geht es in der O2 Arena um 16 Uhr 50 auch schon um die letzten Auftritte der Veranstaltung. Newcomer Drake Milligan, der Elvis und George Strait als seine Vorbilder nennt, beginnt seinen Auftritt mit 'Blue Suede Shoes' von Carl Perkins, das man auch von Elvis kennt. Der gut aussehende junge Künstler liefert eine unterhaltsame und abwechslungsreiche Country Show mit großer Bühnenpräsenz ab und erhält dafür zurecht großes Lob vom Publikum.

Bei jeder der Umbauarbeiten für den nächsten Künstler werden auf der sogenannten Spotlight Stage im hinteren Publikumsbereich weitere Nachwuchskünstler präsentiert, die so 2 oder 3 akustische Songs in der großen Arena spielen dürfen.

Um 18 Uhr betritt Elle King dann die Bühne, bekannt für ihren weltweiten Hit 'Ex's & Oh's'. Etwas unnahbar wirkt sie mit ihrer Sonnenbrille und dem hautengen Dress. Auch fehlt irgendwie die Beziehung, die andere Künstler während ihrer Show gekonnt mit dem Publikum aufbauen. Trotzdem gibt es technisch an der rockigen Performance nicht wirklich etwas auszusetzen.

Wie sie es jedoch vielleicht hätte machen können, demonstrieren nachfolgend die Brothers Osborne mehr als gelungen. Rund eine Stunde lang heizen sie dem Publikum nicht nur musikalisch ordentlich ein, sondern beziehen es auch aktiv in ihre Performance ein. Eine Performance, in der es nicht nur eine abwechslungsreiche Mischung aus eigenen Hits und Deep Cuts zu hören gibt, sondern auch 'Won't Back Down' von Tom Petty und ein Mash-Up aus Bob Marley's 'Three Little Birds' und dem eigenen ersten Hit 'Rum'.

Mitgerissen von der markant-tiefen Stimme von John Osborne und der elektrischen Gitarre seines Bruders T.J., fällt es dem Publikum schwer auf den Sitzen zu bleiben. Ganz besonders als die Brüder aus ihrer klassischen Abschlussnummer, dem wilden 'It Ain't My Fault' eine fast 15-minütige Jam Session mit ausgedehnten Instrumentalpassagen machen, während der sie die Fans immer wieder mitsingen lassen. So geht Entertainment!

Den endgültigen Schlusspunkt hinter ein abwechslungsreich gelungenes C2C-Festival in London 2024 setzen dann Old Dominion. Rund 90 Minuten reichen gerade aus, um alle großen Hits der Band zu spielen. Plus ein Cover von JJ Cale's 'Cocaine', für das die Band Brothers Osborne und Elle King nochmal auf die Bühne holen, die dann auch sichtlich gut gelaunt mitspielen. Die endgültige Freude am Auftritt trübten allerdings technische Probleme. Denn abgesehen von einem offenbaren Monitor-Ausfall zur Zugabe der Band, war ein Großteil des Auftritts durch das Brummen eines offenbar übersteuerten Basses arg gestört.


Trotzdem wird nach einem gelungenen Festival wie diesem, sowohl für das Publikum als auch viele Künster das gelten, was Lead Sänger Matthew Ramsey von Old Dominion am Ende der Show sagte: "I promise, we’re coming back!"


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