Nichts als Lügen

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"[Studio Zwei] ist unser berühmtester Aufnahmeraum. Als der Ort, wo richtungsweisende Aufnahmen von den Beatles, Shirley Bassey, Kate Bush, Massive Attack, Oasis, Adele und vielen anderen stattfanden, war Studio Zwei seit seiner Eröffnung 1932 immer der Herzschlag populärer Musik." (abbeyroad.com/studio-two)

Mister Sonne

"Little Big Town haben es immer besonders verstanden, schwierige, menschliche Situationen zu beschreiben, von der Eifersucht in 'Girl Crush' zur Sehnsucht von 'Your Side of the Bed'. Diesmal fangen sie mit 'One More Song' erwachsene Traurigkeit und Enttäuschung perfekt ein, wenn die miteinander verheirateten [Bandmitglieder] Fairchild und Westbrook ein Paar darstellen, dass entschieden hat sich zu trennen, aber sich ein letztes Mal für eine intime Nacht trifft."
(Jon Freeman / Rolling Stone Country, 16. September 2022)


Eigentlich könnte man die Veröffentlichung ihres aktuellen Albums auch als das 20-jährige Jubiläum ihres Bestehens bezeichnen. Aber so ganz ist das dann doch nicht korrekt. Denn die 4-köpfige Gruppe Little Big Town fand sich schon 1998 zusammen. Trotzdem dauerte es nach einem missglückten Plattenvertrag mit Mercury Nashville bis 2002, dass ihr erstes, gleichnamiges Album auf Monument Records erschienen ist.

20 Jahre später, am 16. September 2022 veröffentlicht die Gruppe mit "Mr. Sun" ihr 10. Studio Album. Dazwischen lagen unzählige Nominierungen für Musikpreise und über 20 tatsächlich erhaltene Auszeichnungen, darunter auch Grammy Awards. Erstaunlicherweise hatten sie in den Country Charts jedoch bis dato nur 3 Nummer-1 Hits.

Das spricht ein wenig für die Eigenständigkeit von Little Big Town, mit der sie sich oft zu wenig in eine Schublade pressen ließen - ganz besonders nicht immer in die Country-Schublade. Deshalb scheitern musikalische Vergleichsversuche innerhalb des Genres durchwegs und man hilft sich meist mit passenderen Künstlern, wie Fleetwood Mac oder ABBA.

So wie es Jon Freeman von Rolling Stone Country tut, wenn er anlässlich der Veröffentlichung von "Mr. Sun" schreibt: "Auf ihrem 10. Studio Album Mr. Sun taucht die Gruppe aus Karen Fairchild, Kimberly Schlapman, Jimi Westbrook und Phillip Sweet ganz in die weichere Seite des 70er-Jahre Pop von Fleetwood Mac und ABBA ein, neben einer ansehnlichen Dosis leichtem Yacht-Rock. Das steht ihnen ausgezeichnet - jede Menge verträumte Harmonien und Dur-Sept-Akkorde."

Es ist das Nachfolgeprojekt zu dem noch viel ruhigeren "Nightfall" aus dem Jänner 2020 und an seinen 16 Titeln lässt sich erkennen, dass auch Little Big Town (wie soviele andere Künstler) die gezwungermaßen konzertfreie Zeit der Pandemie vermehrt für die Arbeit an neuen Songs genutzt hat. Erstaunlicherweise gab es wenig Promotion rund um die Veröffentlichung des Albums, sodass selbst Insider erst unmittelbar davor davon erfuhren. Zu wenig kommerziell erfolgreich dürfte ihr Output der letzten Jahre gewesen zu sein, stammt doch ihr letzter Top-10 Hit (der von Taylor Swift geschriebene Nummer-1 Hit 'Better Man') bereits aus dem Jahr 2016, um eine große PR-Maschinerie anzuwerfen.

Gleichzeitig ist die Gruppe aber immer noch so anerkannt, dass ihnen Capitol Nashville nach wie vor die Freiheit bietet, ein Album wie "Mr. Sun" nicht nur zu veröffentlichen, sondern auch selbst zu produzieren. "[Ein Projekt], an dem zumindest ein Bandmitglied an 13 der 16 Titeln als Songschreiber beteiligt war", wie wnypapers.com ergänzt. "Und insgesamt 33 Songschreiber aus 3 Ländern und 20 verschiedenen US-Bundesstaaten."

Im Interview mit americansongwriter.com sagt Karen Fairchild von Little Big Town über die Entwicklung vom letzten zum aktuellen Album: "In "Nightfall" ging es vorallem darum, was des nächtens geschieht, das Gute und das Böse. Auf diesem Album blicken wir mehr auf kommende bessere Tage."

Es fällt schwer, knapp 1 Stunde Musik aus 16 Songs auf den Punkt zu bringen. Catherine Walthall von americansongwriter.com versucht es mit den Worten: "Mr. Sun ist ein glänzendes und schwungvolles Album, das ganz stark von der groovigen Musik der 1970er beeinflusst ist. Ein Album, das gemacht ist für Yacht Rock oder Rollschuh Treffen. Es hatte Momente, die an die Bee Gees, Fleetwood Mac und die Eagles erinnern, bleibt aber immer maßgeschneidert für die Country Expertise von Little Big Town."

In der Tat finden sich sogar Disco-Reminiszenzen in 'Heaven Had A Dance Floor' und es fällt schwer, nicht wiederholt an den Vergleich mit ABBA zu denken, der naturgegeben dem Umstand geschuldet ist, dass beide Gruppen 4 Leadstimmen zu ihrem Wiedererkennungsfaktor gemacht haben.

Das fröhlich produzierte, aber textlich nach einer Trennung depressive 'Hell Yeah' war die erste Single aus dem Album. Ein wenig nichtssagend, hinterließ sie auch in den Charts wenig Eindruck.

Auffälliger ist da die neue Single 'Three Whiskeys And The Truth', eine verbale Anspielung auf die Beschreibung von Country Music als 3 einfache Klänge und eine wahre Geschichte (three chords and the truth). In seiner Sehnsucht nach einer zerbrochenen Beziehung ist die Umsetzung wesentlich stimmiger - wenn die Erkenntnis, zu der man mit Alkohol (Whiskey) kommt, nur die ist: ich vermisse dich immer noch.

Noch eindringlicher berührt jedoch 'One More Song', das sich verzweifelt dem unwiderbringlichen Ende (einer Beziehung) entgegenzustemmen versucht. Das Ehepaar in der Gruppe macht es zu einem eingängigen Duett, das den Zuhörer auf den schmalen Grad zwischen Hoffnung und Enttäuschung mitnimmt.

Nicht weniger gelungen ist der poppige Ohrwurm 'Song Back', der trotzig verlangt, dass der ehemalige Partner doch von dem Song lassen möge, der bei jedem Hören die Erinnerung an ihn oder sie wieder wachruft. Nichts anderes als ein Platzhalter für das Leben vor der gescheiterten Beziehung, das man sich zurückwünscht:

Ich hatte ihn zuerst und er hat immer mir gehört,
ja und die Wahrheit ist, ich brauche dich nicht.
Verschwinde doch aus meinen Lautsprechern,
warum musst du jede Zeile ruinieren?
Warum klaust du meinen Soundtrack?
Ich will meinen Song zurück.
(Song Back / Karen Fairchild, Jimi Westbrook, Todd Clark, Jason Saenz, Sara Haze)

Wirklich optimistisch in eine goldene Zukunft blickt das eingängige 'Gold', das thenashnews.com als "voller 70er Jahre Elemente wie Rock, Folk und Pop-Country" beschreibt. Zurecht fällt es hier schwer, ruhig sitzen zu bleiben.

Zwar bietet 'Rich Man' inhaltlich wenig Neues, wenn es davon spricht, dass ein glückliches Leben jeden Reichtum aufwiegt. Aber klanglich überzeugt das von Jimi Westbrook geschriebene und auch von ihm gesungene Lied.

Eine Liebeserklärung bis ans Ende aller Tage ist das folkige 'Last Day On Earth', das mit tragender Vierstimmigkeit und wechselnden Solo-Parts glänzt.

Mit einem hoffnungsvollen und Mut machenden Titel beendet Little Big Town das aktuelle Projekt. Gemeinsam mit dem nordirischen Sänger und Songschreiber Foy Vance geschrieben, erhebt sich der ruhig beginnende Titel 'Friends Of Mine' zu einem leidenschaftlichen Gospel-Crescendo:

Es ist eine verrückte Welt,
in der wir alle zu leben versuchen.
Wir alle fühlen uns alleine und in Sorge,
bleibt einfach im Jetzt,
findet die Stärke, nicht aufzugeben,
und wir werden alle zu besseren Tagen segeln.
(Friends Of Mine / Foy Vance, Karen Fairchild, Kimberly Schlapman, Phillip Sweet, Jimi Westbrook)


"Mr. Sun" ist ein Projekt, das viele Elemente enthält, die Little Big Town über die vergangenen 20 Jahre zu ihren Markenzeichen gemacht haben. Dazu gehört der vierstimmige Gesang, die wechselnden Solo-Stimmen und die Offenheit für Stilelemente aus anderen Genres. Mit seinen 16 Songs sollte es jedem, der seinen Gefallen an Mehrstimmigkeit und eingängigen Melodien findet, etwas bieten können.

Auch wenn es vermutlich weder auf einer Liste der Alben des Jahres zu finden sein wird, noch zwingend nach Hitparaden Ausschau hält. Aber letzteres ist nach so langer Karriere mit Sicherheit nicht mehr der Fokus. Denn wie singen die 4 in der so autobiografisch klingenden Ballade 'God Fearing Gypsies' so schön:

Die goldenen Tage des jungen Sommers sind vorüber,
es geht mir immer noch gut,
aber ich bin älter,
und es scheint mir, ich fühle es jetzt auch.
Beide Enden der Kerze, die ich angezündet habe,
sie gehen jetzt aus.
Ich brenne immer noch,
aber ich lerne,
ein bisschen langsamer zu brennen.
(God Fearing Gypsies / Nicolette Hayford, Ashley Ray, Karen Fairchild)


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