Wenn die Welt einstürzt
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Eigentlich müsste man sagen, es ist zum Weinen, was Nashvillains am 4. März 2022 mit ihrem Debüt-Album "Tumbling Down" veröffentlicht haben. Gemeint ist damit jedoch nicht die Qualität, sondern ausschließlich der thematische Inhalt des 9-Song Projekts. Denn dieses vermittelt den Eindruck, als wäre es epischer Soundtrack zu trostlos wiederkehrenden Fieberträumen. Wesentlich eleganter lässt es sich mit dem simplen Begriff düster umschreiben.
Scott Lindsey, Mitglied des Trios, findet für das Album 3 einfache Worte: wunderschön, dramtisch und klassisch. Und bezieht sich damit im gleichen Atemzug auch auf die musikalische Umsetzung. "Country Music bräuchte dringend eine Rock-trifft-Outlaw-Country Präsenz, die aufgeschlossen ist für klangliche Experimente", schreibt newmusicweekly.com über die Gedankengänge rund um die Entstehung des Trios Nashvillains und deren musikalische Zielsetzung.
"Die neu formierte Gruppe versucht eine neue musikalische Landschaft zu erschaffen, welche die Grenzen zwischen Genres verwischt, strikte Konventionen verbiegt und damit die Country Music erweitert. Der Sound der Nashvillains sind traditionelle Instrumente mit modern-kreativer Eletronik, welche Dramatik und neue Geschichten betont, die man in der heutigen Country Music kaum findet."
Besser kann man es kaum zusammenfassen, auch wenn man es erst so richtig verstehen wird, wenn man das Debüt-Album der Nashvillains zumindest einmal gehört hat. "Tumbling Down" ist in so vielen Aspekten ein außergewöhnliches Projekt, dass man nicht anders kann, als den ersten Auftritt der Gruppe (mit einem Album) auf der Weltbühne des musikalischen Wettbewerbes als einen unerwarteten Höhepunkt zu bezeichnen.
Brett Boyett aus der Gruppe nennt das Album ein Referenz-Projekt, das Opus der Nashvillains. Und möchte damit sagen: "Wir sind eine Country Band, die ein Album vorgelegt hat, das emotional so eindrucksvoll ist, dass wir bereit sind, unsere Karriere daran zu knüpfen. Wir glauben, dass wir erfolgreich sein können, ohne die üblichen Standard-Formeln. Und wir glauben, dass auch das Publikum bereit ist, für etwas anderes, aber auch für etwas, das zum Nachenken anregt."
Ein hoher Anspruch, den das Trio an ihr Debüt-Album gestellt hat, das sie zu dritt geschrieben, aufgenommen und auch noch produziert haben. Das gab ihnen wiederum die Freiheit, nicht einfach nur Songs aufzunehmen, sondern vielmehr ein Konzept-Album daraus zu machen, das von einem verbindendem Thema zusammengehalten wird.
"Wir haben 9 Songs [geschrieben], die eine zusammenhängende Geschichte
erzählen", beschreibt Scott Lindsey das Projekt.
"Jeder Song bezieht sich auf den vorherigen und den nächsten. Wir erzählen
damit die Geschichte von einem Typen, der in seinem Leben so manch schlechte
Entscheidung getroffen hat, die sein Leben immer mehr in eine Abwärtsspirale
führen."
Trotz elektronischer Studio-Magie wirken die Songs nie überladen oder überproduziert. Ganz im Gegenteil: es gibt keine erdrückenden Klangwände, sondern jede Menge Atmosphäre, die die Songs atmen lassen und ganz besonders die sonore Stimme von Lead Sänger Troy Johnson immer im Vordergrund hält, ohne dabei auf die Instrumente zu vergessen.
1949 schrieb Hank Williams den Song 'I'm So Lonesome I Could Cry' und die persönliche Verzweiflung und Zerrissenheit, die er damit ausdrückte, wurde zu einem zentralen und thematischen Wegweiser der Country Music für die nachfolgenden Jahrzehnte. Erst die Einflüsse in den 2010er Jahren verdrängten Schmerz, Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit aus dem zentralen Themenkatalog des Genres. Seine Tränen ins Bier laufen zu lassen, war einfach nicht mehr zeitgemäß.
Mit dem Album "Tumbling Down" greifen Nashvillains diese Tradition wieder auf, wenn auch wesentlich cinematischer und düsterer.
So steht der Protagonist im ersten Song verloren an einer Weggabelung des
Lebens, auf der Suche nach Erlösung seiner müden Seele. Aber der Teufel
schläft nicht, wie der Titel 'Devil Don't Sleep' unzweifelhaft
feststellt. Und so kommt es schon im zweiten Song, dessen getragenes
Cello-Intro so gar nicht den Gast-Auftritt des Country Rappers
Big Smo erwarten lässt, zu einem ersten Showdown mit dem Teufel ('Standing in the Fire').
Das führt im bereits zuvor veröffentlichten Titelsong 'Tumbling Down' zum symbolischen Einsturz der Welt. Wurde Ziel- und Hoffnungslosigkeit jemals eindringlicher formuliert, als mit den Worten, sich nur vorwärts zu bewegen, um die Vergangenheit zurückzulassen?
Mit 'Baby Keeps Killing Me' scheint sich das Blatt endlich zu wenden und der Protagonist sein Glück in
einer heißen Liebesnacht zu finden. Aber irgendetwas stimmt noch nicht. Oder
sind es doch nur Wortspiele, die die Atemlosigkeit und Ekstase der Gegenwart
von ihr beschreiben?
Der wahrscheinlich auffälligste Song des Projektes ist 'Bonita'. Nicht nur für Scott Boyett ist es der Favorit auf dem Album. Macht
er doch aus einer malerisch-romantischen Szene am Dorfplatz von San Pedro ein
packendes, filmreifes Drama um Liebe und Verrat, begleitet von
spanisch-mexikanischen Klängen, an dessen Ende die Frage im Raum stehen
bleiben muss: war es denn wirklich Verrat?
Das ebenfalls schon im Vorfeld erschienene 'There to Catch Me' ächzt
vor Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit, denn sie ist nicht mehr da, ihn
aufzufangen. Mit seiner Percussion ist 'Love Is Pain' ein perfektes
Beispiel für die klanglichen Experimente der
Nashvillains im Studio, gleichzeitg
lässt der Songtitel keine Zweifel über seinen Inhalt bestehen:
Schlamm im Wasser, Blut im Wein, das Höllenfeuer könnte nicht heißer sein,
als die Flammen in meinem Kopf, deine Berührungen verfolgen mich und ich
werde nie wieder derselbe sein. Liebe ist Schmerz.
Im stampfenden Swamp Rock von 'Chickasaw Bayou' ist der Protagonist auf der Flucht vor seinen Verfolgern durch die Sümpfe, den heißen Atem der Bluthunde im Nacken. Denn angeblich hat er jemanden erschossen. Doch er kann sich nur an den selbstgebrannten Schnaps erinnern.
Und jedes Aufflackern eines Hoffnungsschimmers wird schon im nächsten Atemzug zunichte gemacht:
Das Projekt endet mit dem ruhigen 'Don't Let Me Hang'. Zwar scheint die Melodie endlich Erleichterung, Versöhnung und ein
glückliches Ende zu versprechen. Doch die musikalische Umsetzung erinnert
nicht zu unrecht an Ennio Moricone, und der Text erzählt von einem Ende
der anderen Art:
So zieht einen das Debüt-Album der Nashvillains bis zum Schluss in seinen Bann. Viele seiner musikalischen Facetten und textlichen Passagen erschließen sich erst nach wiederholtem Hören. Gleichzeitig wird man nicht müde, mit jedem Mal tiefer einzutauchen. Am Ende bleibt wohl nur der Wunsch, das Projekt würde mehr als 9 Songs umfassen. Schlussendlich auch der einzig zulässige Grund, um vom ersten Projekt "Tumbling Down" der Nashvillains enttäuscht zu sein.
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