Doppelt gefährlich!
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Für ganz viele Musiker war das Jahr 2020 gleichbedeutend mit Stillstand. Oder gar einem Rückschlag auf einem vielleicht ersten, hoffnungsvollen Karriereweg. Nicht so für Morgan Wallen, der die Zeit mehr als produktiv nutzte. Denn am 8. Jänner 2021 ist nicht nur sein zweites Studio-Album erschienen, sondern es steigt auch noch auf Platz 1 in den Billboard 200 (Pop) Album Charts ein.
Es trägt den Titel "DANGEROUS: the double album" und beinhaltet ganze 30 Songs. Mit Sicherheit einer, aber nicht der ausschließliche Grund, warum es gleich in der ersten Woche den Titel für das Country Album mit den meisten Streams innerhalb einer Woche einheimste. 240 Mio. mal wurde in diesem Zeitraum lt. Billboard Magazine ein Song aus dem Album aufgerufen. Das rechnet sich dann in 184.000 verkaufte Einheiten (SEA = streaming equivalent albums) um und hebt das Projekt unter Berücksichtigung der zusätzlichen digitalen und physischen Käufe mit 265.000 Einheiten auf Platz 1 der Billboard 200. So viele Einheiten hat seit "Cry Pretty" von Carrie Underwood (2018) kein Country Album mehr verkauft.
Das demonstriert nicht nur den wachsenden Trend, dass auch im Country Segment -als einem der letzten im Übrigen- Musik-Konsumation per Streaming verstärkt in den Fokus rückt, sondern auch welchen Status sich Morgan Wallen innerhalb des letzten Jahres erarbeitet hat. Erst 2014 war er noch als Nobody in der Casting Show The Voice aufgetreten, knapp 6 Jahre später ist der inzwischen 27-jährige Künstler im vorläufigen Zenit der Country Music angekommen.
Eigentlich unter Vertrag bei Big & Loud, wurde schon im August 2020 eine strategische Zusammenarbeit mit Republic Records bekannt gegeben, einem der wichtigsten Labels in der Pop-Welt, das Künstler wie Taylor Swift und Ariana Grande unter Vertrag hat. Grund genug für Billboard Magazine anlässlich der Veröffentlichung des neuen Albums einen Artikel mit der Schlagzeile "Ist Morgan Wallen der nächste Country Weltstar?" zu schreiben.
Darin wird Republic Boss und CEO Monte Lipman zitiert: "Vorausgesetzt sein Reisepass ist gültig, wird unser Junge [sehr bald] viel unterwegs sein." Auftritte in Australien und Europa sollen sein Profil weltweit bekannt machen und ihn damit dort fortsetzen lassen, wohin ihn der Duett-Hit mit Pop-Produzent Diplo ('Heartless') 2019/20 bereits geführt hat. Nämlich nicht nur in die Top-40 der Billboard Hot 100, sondern auch in die Musik-Charts von Kanada, Australien und Neuseeland.
Aber ist es überhaupt realistisch, aus Morgan Wallen einen international anerkannten Star machen zu wollen? Zwar darf man die globale Reichweite von Streaming und die damit verbundenen Möglichkeiten des Internets nicht unterschätzen, aber das alleine ist eben noch keine Erfolgsgarantie. So hat man in den USA die Pop-Promotion der Single '7 Summers' trotz des Einstiegs auf Platz 6 in den Billboard Hot 100 (Pop Charts) nach kurzem Versuch wieder fallen lassen. "Was auch immer der Gund war, es gab einige Pop-Stationen, die wollten den Song nicht spielen. Und wir wollten es dann auch nicht forcieren", gab Monte Lipman zu.
Und obwohl das aktuelle Album bis dato genau dort in den Charts eingestiegen ist, wo Morgan Wallen auch mit Diplo zu hören war (nämlich Kanada, Australien und Neuseeland) und darüberhinaus sogar in Schottland und England, bleibt wohl die größte Hürde die, dass "Dangerous" eben nur ein Country Album ist. Und genaugenommen ist es damit anspruchsvoller, als so manches Pop-Album, dem es nur um Beats und Grooves geht. Denn wer sich nicht die Mühe macht, auf die Texte zu hören, für den wird "Dangerous" wohl eher eindimensional bleiben. Wie generell im Genre bleiben Songtexte auch bei diesem Projekt ein essentieller Baustein, ohne den das Haus nicht steht.
Darüberhinaus ist es in jeder Karriere entscheidend, seinen unverkennbaren Stil zu finden, durch den man sich von anderen abzuheben vermag. Das ist Morgan Wallen nicht zuletzt dank seiner Stimme mit diesem erst zweiten Album bereits sehr gut gelungen. Stilistisch verlässt er sich kaum mehr auf den R&B beeinflussten Sound, der sein erstes Album noch unverkennbar mitgeprägt hat, sondern erinnert klanglich viel mehr an das Album "The Rock" von Hardy (der übrigens wie schon beim ersten Album der zentrale Songschreiber auch auf "Dangerous" ist).
Die Mehrzahl der Songs ist im Midtempo gehalten und kommt ohne Studio-Gimmicks aus. Das klingt dann schon mal ein wenig einförmig. Auch inhaltlich geht es um klassische Genre-Themen: kleine Orte, große Träume, gebrochene Herzen und viel Alkohol. Zwar heißt sein bisher größter Hit 'Whiskey Glasses', aber man kann es dann vielleicht auch etwas übertreiben. So hat Rolling Stone Country das Wort Whiskey gleich in 21 der 30 Songs gefunden! Oberflächlich betrachtet also wenig Neues, dafür aber ganz viel davon. Wo also liegt das Erfolgsgeheimnis und die Faszination bei Morgan Wallen?
Grundsätzlich macht er viele kleine Dinge richtig und baut damit ein großes Ganzes. An vorderster Stelle steht mit Sicherheit seine Eigenständigkeit, die über das musikalische noch hinausgeht. So hat er gegen den Widerstand seines Managements seine Optik geändert und den Vokuhila-Haarschnitt wieder salonfähig gemacht. Er bleibt authentisch, wenn er über seine Herkunft aus einem kleinen Ort in Tennessee singt und er zeigt sich menschlich, wenn er mal über die Stränge schlägt - was im vergangenen Jahr ein paarmal geschehen war, ihm damit aber gleich noch zusätzliche sozialmediale PR eingebracht hatte. Ein Medium, das im Übrigen ganz maßgeblich an seinem Aufsteig beteiligt war (siehe TikTok und seine aktuelle Single '7 Summers').
Musikalisch hat er ein großartiges Gespür für eingängige Melodien und Refrains, die zwar beim ersten Hinhören manchmal ein wenig schmucklos klingen, die einem aber nach wiederholtem Hören plötzlich nicht mehr aus dem Kopf gehen. Darüberhinaus ist Morgan Wallen auch noch an vielen seiner Songs als Songschreiber beteiligt. Auch bei der Songauswahl verbiegt er sich nicht. So gibt es das neue Album auf itunes tatsächlich in einer Explicit-Version und einer Clean-Version zu kaufen. Auch wenn sich das Explicit nur auf ein paar harmlose Kraftausdrücke bezieht, die in den USA ja gleich zensiert werden (müssen).
Musikalisch sorgen eigentlich nur eine Handvoll Songs für Abwechslung, wie das unheimlich eingängige 'Neon Eyes', das swingende 'Need A Boat' oder das groovende 'Wasted On You' dessen erste Klänge an Garth Brooks und sein 'Friends in Low Places' erinnert. Zusammen mit eingängigen Refrains sind es dann aber doch auch die Texte, die das Projekt zu einem runden Ganzen formen. Auch wenn sich Füllermaterial ('Watcha Think Of Country Now' beispielsweise) bei 30 Songs nicht ganz vermeiden lässt, wird man doch schier erschlagen von der Anzahl der Songs.
Die ansprechendsten Texte erzählen jedoch auch auf diesem Projekt Geschichten. Abgesehen von den beiden vorab als Single veröffentlichten Titeln ('More Than My Hometown', '7 Summers') sind diese zwar mehrheitlich nicht von Morgan Wallen geschrieben, aber sie sprechen für sein Geschick bei der richtigen Songauswahl. Denn bei vielen davon sind Country-Klischees die oberflächlichen Aufhänger, inhaltlich entwickelt sich dann doch mehr daraus. Und nicht selten hat Hardy dabei seine Hände im Spiel.
Viel melancholischer geht es in 'Sand In My Boots' zu, erzählt das Lied doch von einer hoffnungsvollen Sommerliebe irgendwo an einem Strand, von der am Ende nur Sand in den Stiefeln bleibt. Ein Lied, das in der akustischen Piano-Version noch besser klingt, als die kommerzielle Produktion von Joey Moi.
Selbst mitgeschrieben hat Morgan Wallen am ernüchternden 'Livin' The Dream', das von den Schattenseiten erzählt, die ein Leben als Star so mit sich bringt, auch wenn andere darin nur die Erfüllung eines Traums sehen.
Um das unausweichliche Ende einer Beziehung geht es im letzten Song 'Quittin' Time', der neben Luke Laird und Josh Thompson auch Eric Church als Songwrtier ausweist: Ich erkenne an den fehlenden Tränen in deinen Augen, dass es Zeit ist, Schluss zu machen. Es ist ein melancholisches Ende für ein ambitioniertes Projekt, dessen hastender Titelsong 'Dangerous' eigentlich zu den Schwachpunkten gehört.
Ein viel treffenderer Titelsong für das Projekt wäre 'Blame It On Me' gewesen. Denn dort singt Morgan Wallen von einer neuen Freundin und stellt dabei fest, dass er möglicherweise daran Schuld hat, dass sie sich gar nicht mehr wie ein Mädchen aus der Stadt benimmt. Ein Gedanke, den wohl auch Republic Records CEO Monte Lipman hat, wenn er an das weltweite Musikpublikum denkt:
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