Tagträume, Albträume und alles dazwischen

"['Another Century'] handelt von der herzzerreißenden Erkenntnis, dass, egal wie unermüdlich wir es auch versuchen, es unmöglich ist, in der uns gegebenen Zeit auf Erden, all das, was das Leben bietet, auch erleben zu können."
(Marcus K. Dowling /  The Tennessean, 10. Oktober 2024)

Sie sollte die Top-10 nicht mehr erreichen, als die Single am 2. Mai 2024 auf Platz 11 der Radio (Billboard Country Airplay) Charts angekommen war. Unglaubliche 66 Wochen hatte sich Jackson Dean mit 'Fearless (The Echo)' in den Charts behauptet. Ein Umstand, der für die Akzeptanz seiner zweiten Single aus seinem Debüt-Album ("Greenbroke") spricht. Gleichzeitig blockierte sie so jedoch den Weg für neue Musik, die die aktuelle Single dann wohl kanibalisiert hätte.

Um auch Fans nicht länger auf neue Musik warten zu lassen, entschied man also, keine dritte Single mehr aus dem bereits im März 2022 erschienenen ersten Album ins Rennen zu schicken, sondern am 6. September 2024 endlich das zweite Album von Jackson Dean zu veröffentlichen.

Mit dem Projekt "On The Back Of My Dreams" beeindruckt der 24-jährige Künstler aus dem US-Bundesstaat Maryland nicht nur erneut mit seiner markant rauhen Stimme und kraftvollen, für Live-Shows gemachten Rock-Elementen, sondern ganz besonders auch als Songschreiber. Primär gemeinsam mit Produzent Luke Dick geschrieben, sind alle 13 Songs aus der Feder von Jackson Dean entstanden.

"Diese Lieder wagen sich in ihren Themen an Extrempositionen heran und verkörpern damit etwas, das nicht nur in mir vorhanden ist, sondern in uns allen," versucht Jackson Dean das Thema des Albums bei musicrow.com zu umschreiben. Und bei seinem Label Big Machine ergänzt er: "Jedes der Lieder wurde aus einem bestimmten Moment im Leben heraus geschrieben, beinahe wie Episoden, die aus Tagträumen, Albträumen und allem dazwischen entstanden sind."

Immer wieder dreht es sich bei den Songs um die Suche nach Glück und Erfüllung oder aber auch nach Sinn und Verständnis. Inspiriert vom Hund aus seiner Kindheit, setzt 'Big Blue Sky' den hoffnungsvollen und leidenschaftlichen Anfang der Reise:

Ich ging mitten in der Nacht durch eine Geisterstadt,
da traf ich einen alten Hund, der noch nicht alle Kämpfe verloren hatte.
Er sagte mir nicht, wohin er ging,
aber was er sagte klang so poetisch:
 
Ich denke an den großen blauen Himmel,
laufe, als wär die Zeit auf meiner Seite,
kann es nicht erwarten, es zu sehen und zu atmen.
Habe ich nur geträumt oder ist es da irgendwo
unter diesem großen blauen Himmel?
(Big Blue Sky / Jackson Dean, Brandon Aksteter, Rich Kolm, Sean Mercer)

Die Suche nach Sinn und Glück in der Liebe mit all seinen Hindernissen versucht auch das bluesige 'Duct Tape Heart' zu fassen. Mit schnellen Klebebändern werden die emotionalen Wunden verbunden oder wieder aufgerissen.

Wünschte ich könnte ehrliche und wahre Liebe finden,
die langfristige, die immer glänzt und niemals abblättert.
Aber bis ich die eine und einzige für mich finde, wandere ich einsam durch die Finsterniss,
und schlage einen weiteren Streifen auf mein mit Klebeband verbundenes Herz.
(Duct Tape Heart / Jackson Dean, Casey Beathard, Luke Dick)

Von Suche und Einsamkeit handelt das ruhige 'Talkin' To Backroads'. Was nach klassischem Country-Thema klingt, ist mehr als das. Denn hier sind die Landstraßen voller Erinnerungen und die einzige Begleitung auf dem Weg durch das Leben: sie hören zu, wissen was fehlt, hören wenn du gestehst, auch nur ein Mensch zu sein.

Mit treibenden Gitarren und schwerem Schlagzeug im Refrain reißt 'Daddy Raised' den Zuhörer dann von den Sitzen. Es ist eine ungewohnte Art sich zu seinen Wurzeln zu bekennen, wenn der Vater dem Alkohol oder einer Schlägerei nicht ausgewichen ist und später die Erkenntnis einsetzt, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt.

Das Percussion-getriebene 'Long Goodbye' versucht eine hoffnungslose On-Off Beziehung in einen langen Abschied umzuformulieren: mach dir keine Sorgen, wenn der Cowboy fort reitet, er wird mit nächstem Sonnenuntergang zurück sein.

Auch der stilistisch wahrscheinlich traditionellste Song auf dem Album 'Real Real' ist auf der Suche nach etwas Echtem. In klassischem Country-Stil spielt der Text gekonnt mit den verschiedensten Bedeutungen von real:

Dieses echte, wahre Gefühl und ein authentisches Lied,
mit etwas echtem Whiskey, wenn die wahre [Liebe] schiefgeht.
Ich hoffe, ich fühle mich immer noch wie zwanzig, wenn ich wirklich, wirklich alt bin,
ich bekomme vielleicht nicht alles, aber ich hoffe, ich komme dem wirklich ganz nahe.
(Real Real / Jackson Dean, Luke Dick, Josh Osborne)

Im Zentrum des Projektes steht die aktuelle Single 'Heavens To Betsy'. Ein Song, den Jackson Dean in seinen Live-Shows spielte, noch bevor es eine Studio-Aufnahme davon gab. Von dort fand der Titel dann seinen Weg auf das Live-Album "Live at the Ryman", das im April 2024 veröffentlicht wurde.

Es ist ein Lied, dessen ganze Tiefe sich erst öffnet, wenn man den Text mit all seinen Anspielungen gehört hat. "Ich habe die Leute zu diesem Song weinen gesehen", erzählt Jackson Dean bei musicow.com. "Es ist verrückt, wie sehr ihn die Leute lieben und wie sehr sie an ihn glauben. Es sind Songs wie diese, die einen in den Spiegel schauen und darüber nachdenken lassen, was man [im Leben] eigentlich möchte."

'Heavens To Betsy' erzählt in ergreifender Weise die Geschichte eines Vaters und Alkoholikers, der sich erst im Himmel von seiner Tochter Betsy Vergebung für sein Leben und die Konsequenzen daraus wünscht. Die Titelzeile greift die alte CB-Funker Terminologie aus den 1980er Jahren auf:

Himmel an Betsy,
ich weiß nicht, ob du mich hören kannst,
aber hier oben höre ich dich glasklar.
Himmel an Betsy,
ich habe jetzt endlich zu trinken aufgehört,
denn ich hasste es, dass meine Dämonen dich so leiden ließen.
 
Ich bin mir sicher, du bist so überrascht wie ich,
dass sie einen Sünder wie mich hereingelassen haben.
Und ich weiß, ich habe zuwenig aufgepasst auf dich,
aber das werde ich jetzt, bis ich dich wiedersehe.
(Heavens To Betsy / Jackson Dean, Benjy Davis, Driver Williams)

Der Song dient laut Jackson Dean als Wasserscheide des Projektes: "Die erste Hälfte ist die leichtere, ab hier wird es düsterer", betont er bei entertainment-focus.com.

So folgt das einsame 'Train' und die tiefsinnige Doppeldeutigkeit von 'Free':

Frei ist nur ein Paradoxon und frei ist nur ein Reim,
frei ist einfach nur ein Rätsel in deinem Kopf
und frei ist nur ein anderes Wort, das einsame Menschen sagen
um nicht einsam zu sagen und um den Schmerz zu vertreiben.
(Free / Jackson Dean, Blake Chaffin, Luke Dick)

'Sweet Appalachia' beschreibt die harmonische Natur der Appalachen und befasst sich gleichzeitig mit der eigenen Sterblichkeit. Der Lieblingssong von Jackson Dean ist das etwas gespenstige 'Jane', in dessen Text sich auch der Album-Titel verbirgt. 'Heaven' scheint im ersten Moment zu versuchen das Jenseits zu beschreiben. Doch die geschickt gelegte Fährte führt letztendlich zur Beschreibung der Liebe zu einer Frau. Ein nicht ganz unbekanntes Song-Konzept.

Das Album endet schließlich mit dem nachdenklichen, bis zur vorletzten Minute akustischem 'Another Century'. Auch hier spielt die Vergänglichkeit eine zentrale Rolle. Im Interview mit entertainment-focus.com erläutert Jackson Dean den Refrain: "Es gibt ein Lied von der Band Arcade Fire mit dem Titel 'My Body is a Cage' und mir gefiel die Beschreibung so sehr, dass sie mich dazu inspirierte, mir bewusst zu werden, dass ich im Jahr 2000 geboren wurde und höchstwahrscheinlich noch in diesem Jahrhundert sterben werde. Ich werde nur dieses [Zeitalter] hier haben."

Wir lieben so sehr, während wir hier sind,
denn wir können nicht vergessen, dass wir eines Tages nicht mehr da sein werden.
Ja, ich wurde am Beginn dieses Zeitalters geboren,
aber in diesem Käfig werde ich kein anderes Jahrhundert mehr sehen.
(Another Century / Jackson Dean, Brian Koppelman, Jon Sherwood)

"On The Back Of My Dreams" ist ein intensives und ansprechendes Album. Jackson Dean macht es dazu indem er es der im Leben allgegenwärtigen Suche widmet, mit seiner charisamtischen Stimme und kraftvollen Rock-Elementen formt. Es ist mit dem Projekt ein wenig so, wie mit seinen Live-Auftritten, von denen er sagt: "Wir bewegen uns auf dem schmalen Grad von Rock'n'Roll Authentizität ohne Herunterzufallen. Sobald das Publikum das erkennt, folgt es uns vorbehaltlos und wir nehmen sie mit auf einen Ritt, der sich immer intensiver anfühlt und nicht nachlässt."


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