Balladen & Bangers: Handshakes in Heaven & Learn About Love

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"Was macht einen Banger? Das wichtigste ist der Hook, den man nicht mehr aus dem Kopf kriegt, nachdem man den Song nur einmal gehört hat. Außerdem hat er einen festen Beat, zu dem man sich einfach bewegen muss. Und Wiedererkennung ist ebenfalls ein Schlüssel." (DJ Rinehart / deepinthemix.com, 23. Juli 2023)

Psychopath

"Ich bin definitiv anders. Ich habe gelernt, nein zu sagen und [erkannt] dass Zeit das wertvollste ist. Ich werde etwas nicht machen, nur weil es gut aussieht. Ich tue, was ich tun möchte. Ich lerne, meinen Kreis klein zu halten und nicht darauf zu hören, was das Internet oder andere Leute sagen."
(Morgan Wade /americansongwriter.com, 8. September 2023)

Am 25. August 2023 ist ihr zweites Studio-Album bei RCA Nashville erschienen. Es ist das Nachfolgewerk zum hochgelobten Debüt "Reckless" aus dem Jahr 2021 und wurde erneut von Sadler Vaden produziert. Auch die optische Aufmachung erinnert mit seinem Cover-Bild an das Vorgängerwerk.

Und wie der Titel des Albums ("Psychopath") andeutet, geht es darin nicht um hoffnungsvolle Kleinstadt-Erinnerungen, auch wenn Morgan Wade in einem Presse-Statement das Thema des von ihr geschriebenen Titelsongs relativiert: "Wenn du den Titel liest, denkst du nicht daran, dass es ein Liebeslied ist. Aber genau das ist es, und darauf stehe ich."

Bei allen 13 Titeln des Albums war Morgan Wade als Songschreiberin entweder beteiligt oder alleinige Autorin. Und wer ihre bisherige Lebensgeschichte ein wenig kennt, wird nicht verwundert sein, dass sich das Thema Abhängigkeit und Depression wie ein roter Faden durch das Projekt zieht. Trotzdem ist daraus keine Therapie-Sitzung geworden, sondern die Themen werden in vagen Beziehungsgeschichten verarbeitet. So bleibt es offen, ob es nur die große Liebe oder doch eine hoffnungslose Abhängigkeit ist, wenn Morgan Wade mit der markanten Müdigkeit in ihrer Stimme in 'Psychopath' davon singt: du könntest mein Ende sein und meine Asche im Meer verteilen.

Das macht es zwar einfacher, aber immer noch zu einem anspruchsvollen Werk abseits oberflächlicher Mainstream-Produktionen. Und zwar konsequenterweise bis zur musikalischen Umsetzung, die sich zwar keine stilistischen Grenzen setzt, aber gleichzeitig ohne schillernde Auffälligkeiten auskommt. Oder wie womeninpop.com es umschreibt: "Obwohl Wade unter dem Banner 'Country Sängerin' auftritt, ist ihre Musik so viel mehr als nur ein Genre. Erwartet keine Ansammlung von Banjos oder Fiddles, vielmehr verschmischt 'Psychopath' Country Music Vibes mit Rock, Soul, Pop und opulenten Piano Balladen."

Es sind die emotionalen Tiefen der Texte, die das Projekt verankern und gleichzeitig den Zuhörer herausfordern. Texte, die Gefühle in Worte zu fassen versuchen, nur um am Ende feststellen zu müssen, dass es nicht immer gelingen kann. Ganz besonders intensiv ist das beim letzten Titel des Projektes der Fall. Die sich immer intensiver aufbäumende Piano-Ballade '27 Club' versucht einen Sinn im Leben zu finden, zwischen Einsamkeit, Sehnsucht und schnelllebigen Drogen. Ein Leben dessen Bestimmung eigentlich der Tod mit 27 Jahren sein hätte müssen (dem Alter, mit dem Künstler wie Amy Winehouse oder Janis Joplin verstorben sind), aber auch dazu ist es nicht gekommen:

Ich weiß nicht, ob ich es Glück nennen soll,
aber ich habe es nicht in den 27er-Club geschafft.
Ich bin achtundzwanzig,
also müsste ihr mir alle kein Grab schaufeln.
(27 Club / Morgan Wade)

Wesentlich leichter und eingängiger ist da schon '80's Movie', in dessen pop-rockiger Umsetzung Kino-Klassiker aus den 1980er Jahren wie Dirty Dancing oder Harry & Sally verarbeitet werden. Oder wie Morgan Wade es bei stereogum.com formuliert: "Wenn du dich sofort gut fühlen möchtest, dann kannst du dir einen positiven Film aus den 80er Jahren anschauen und es wird dir gleich besser gehen. Diese nostalgisch-guten Gefühl wollten wir beim Schreiben dieses Songs erreichen und ich denke, es ist uns gelungen."

Der Song 'Alanis' ist der Kanadisch/Amerikanischen Sängerin Alanis Morissette gewidmet, die in den 1990er Jahren mit ihrem Album "Jagged Little Pill" weltweite Erfolge feiern konnte. Aber es sind die persönlichen Probleme im Umgang mit dem Erfolg, über die sich Morgan Wade mit Alanis Morissette verbunden fühlt:

Alanis, dein Zorn war meine Medizin, von der ich nicht wusste, dass ich sie brauche.
Ich entdecke, dass es nicht viel Unterschied zwischen dir und mir gibt.
Du verstehst alle meine Gedanken in meinem Kopf,
die meine Worte so extrem werden lassen.
(Alanis / Morgan Wade, Nathalie Hemby, Sadler Vaden)

Grund genug, dass sich die angesprochene Künstlerin auch offiziell auf Instagram dazu  äußerte: "Morgan, danke dass Du mich [als Mensch] siehst", schreibt sie. "Tief bewegt, liebe dich."

Obwohl die dramatische Piano-Ballade 'Guns and Roses' den Titel einer legendären Rockgruppe trägt, geht es in ihr nur um Brot und Spiele einer krankmachenden Beziehung, die von Ungewissheit anstatt Vertrauen und Sicherheit geprägt ist:

Ich weiß nie, wann du bleibst oder wann du gehst.
Geschosse sind Rosen, die dauernd auf mich niederregnen.
Gibst du mir das Paradies?
Wirst du jedesmal schießen, wenn du etwas siehst?
Ich weiß nie, wann es Waffen oder Rosen sein werden.
(Guns and Roses / Morgan Wade, Nathalie Hemby, Sadler Vaden)

Die Phantom-Schmerzen eines verlorenen Körperteils werden in 'Phantom Feelings' auf die verlorene Liebe übertragen, während das flehentliche 'Want' im Gospel-Klang das Verlangen nach ihm oder ihr immer wieder betont. Das dröhnende 'Meet Somebody' äußert unverhohlenen Frust über die sexuelle Oberflächlichkeit der Welt: Warum kann ich niemanden mehr kennenlernen? Alles was diese Leute wollen, ist, auf einer Party mit jemandem zu ficken.

Rundum gelungen mit seiner Mischung aus Nostalgie und Ernüchterung präsentiert sich das selbst geschriebene 'Losers Look Like Me' als eines der Highlights des Projekts:

Ich dachte, wir würden [gemeinsam] alt werden und ich würde deinen Namen übernehmen,
wir würden Freitag abend Brettspiele spielen
und unsere Kinder zu Hause zu Bett bringen.
 
Nun sehe ich all diese Leute auf der Strasse
und die Verlierer, die Steine wegkicken, sehen aus wie ich.
Ich wünschte, ich wäre noch immer sechzehn
und wüsste nicht, wie verdammt mies die Welt sein kann.
(Losers Look Like Me / Morgan Wade)

"Psychopath" ist kein oberflächliches Pop-Album. Gleichzeitig fehlt ihm ein wenig dessen Leichtigkeit. Und auch klanglich bewegt es sich in einem schmalen Band. Aber wenn man sich Zeit für seine Texte nimmt, dann ist es ein höchst stimmiges Projekt, das viele berührende Einblicke bietet. Oder wie Morgan Wade selbst es auf X (vormals Twitter) formuliert: "Egal was die Leute über Psychopath sagen, ich bin stolz darauf, denn es zeigt wo ich gerade bin. Ich kann einfach nicht anders als authentisch zu sein und ich muss das fühlen, was ich fühle. Und jetzt gerade fühle ich genau diese Musik."

 

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