2024: an der Kreuzung von Pop und Country

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"2024 demonstrierten Pop-Künstler ihr Liebe für Country Music, und die Wählerschaft der Grammy Awards honorierte das. Pop und R&B Stars dominierten die Country Grammy Nominierungen, darunter Beyoncé, die als einzige Künstlerin eine Nominierung in allen 4 Country Kategorien erhielt." (Melinda Newman / billboard.com, 8. November 2024)

Rücksichtslos

"['Mend'] ist der einzige Song auf dem Album, den ich schrieb, als ich noch nicht vom Alkohol los war. Ich bin jetzt fast 4 Jahre trocken und das war das erste Lied, das Sadler [Vaden] von mir gehört hatte. Er und Paul [Ebersold] bestanden darauf, dass es auf das Album musste."
(Morgan Wade / Apple Music, 19. März 2021)

Jeder scheint im Moment über "Reckless" zu sprechen, das Debüt-Album von Morgan Wade. Eine 26-jährige Singer-Songwriterin, die aus dem Dorf Floyd im US-Bundesstaat Virginia kommt, das trotz seiner nur 425 Einwohner ein historisches Zentrum für die Bluegrass Musik ist. So war es unvermeidlich, dass Musik im Leben von Morgan Wade bereits in früher Kindheit eine zentrale Rolle spielte. Auch wenn es später nicht bei Bluegrass blieb, sonder sie bald versuchte, mit selbst geschriebenen Songs ihren eigenen Stil zu finden.

"Ich habe es zu oft gehört", sagt sie im Interview mit americansongwriter.com. "Die Leute haben mir gesagt, ich könnte die nächste X, Y oder Z sein. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte einfach nur ich sein."  Und bei Rolling Stone Country unterstreicht sie: "Ich spreche mit einem ländlichen Akzent, daher glaubt jeder, dass ich nur Country Music singe. Aber ich möchte viel mehr als das machen. Ich möchte einfach spielen, was mir gefällt. Und im Moment ist das eben mehr Rock oder Pop Musik."

All das trägt dazu bei, dass die Musikpresse aus allen Lagern momentan über die nicht ganz einfach einzuordnende Morgan Wade schreibt. Fast scheint es als wolle jeder sie rechtzeitig für sich reklamieren. Eine Begeisterung, die irgendwie von heute auf morgen aus dem Himmel gefallen zu sein scheint. Schließlich hat sie ihre erste Single ('The Night') erst 2019 veröffentlicht und auf Wikipedia findet man sie bis heute noch gar nicht.

'The Night' ist nicht nur der erste Song, den Sadler Vaden (langjähriger Gitarrist in der Band The 400 Unit bei Jason Isbell) für sie produzierte, nachdem er sie bei einem Musikfestival entdeckt hatte, sondern er klingt auch wie ein Hilferuf, es wenigstens durch diese finstere Nacht zu schaffen, wenn schon nicht endlich alte Abhängigkeiten abschütteln zu können: Johnnie rief letzte Nacht nach mir und ich sagte zu Mr. Walker er solle nach Hause gehen / warum wollen die Dämonen in meinem Kopf mich nicht alleine lassen?

Für Morgan Wade war es der Alkohol, der sich viel zu früh schon in ihr Leben geschlichen hatte und immer mehr Besitz von ihr ergriff. "Es ist oft so einfach, wenn es Zeit ist, auf die Bühne zu gehen und du nichts einzuwenden hast, gegen einen kleinen Mutmacher. Und wann immer man auf den Soundcheck oder Auftritt wartet, gibt es in der Gegend meist coole Bars und dergleichen."

Irgendwann in New York begann sie schließlich ihr Alkohol-Problem zu realisieren. Im Song 'The Night' finden sich die treffenden Worte: ich fühle mich, als würde ich das eine Leben verschwenden, das ich habe. Möglichkeiten kommen und gehen, aber die Zeit bekommst du nie zurück.

Inzwischen ist sie fast 4 Jahre trocken und sie schreibt genau diesem Umstand die Tatsache zu, dass es heute ein erstes offizielles Album von Morgan Wade mit dem Titel "Reckless" gibt. Ein Titel, den im Übrigen ihr Produzent Sadler Vaden vorgeschlagen hatte, nachdem sie den gleichnamigen Song aufgenommen hatten. Laut Apple Music meinte Morgan Wade: "Er passt. Ich hatte das Gefühl, er fasst die Songs gut zusammen. Sei es, dass sie sich auf meine Rücksichtslosigkeit bezogen, oder auf jemanden anderen, der rücksichtslos war oder einfach das Leben, das manchmal rücksichtslos ist. Deshalb glaube ich, dass es der perfekte Titel für dieses Kapitel in meinem Leben ist."

10 Songs befinden sich auf dem Album. Sowie die rastlosen Gedankengänge einer Songschreiberin, die sich in ihren Texten zwischen Liebe, Schmerz und Abhängigkeit selbst zu finden hofft. Und sich gleichzeitig ihrer menschlichen Schwächen bewusst wird, wie sie im Interview eingesteht: "Erst die Jahre der Alkohol Probleme haben mich dahin gebracht, wo ich jetzt bin. Ich könnte nicht über das singen, worüber ich singe, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte. Aber nur weil ich 4 Jahre trocken bin, heißt das nicht, dass ich es nicht vermisse - es fehlt mir dauernd."

Über diesen Moment der Veränderung und das Gehen-Lassen des bisherigen Lebens und all der damit verbunden An- und Einsichten schreibt sie in 'Don't Cry':
Es kommt der Moment, da muss dein Held sterben,
damit er nicht alt werden muss.
Es ist in Ordnung, nicht recht zu haben,
lass es sein, lass es sein.
Stell dich der Wahrheit und offenbare deine Seele.
(Morgan Wade, Paul Ebersold)
 
 
 
Auch in 'Mend', dem verzweifelten Wunsch nach der Rückkehr einer verlorenen Liebe, schwingt in der Bridge, eine hoffnungsvolle Erkenntnis mit, wenn sie singt:
Ich ging einige Schritte und atmete durch,
und ich schaute hinauf in den Himmel.
Da[mals] hatte ich das Gefühl, dass du mich betrogen hast,
jetzt denke ich, dass du mich gerettet hast.

Noch vor Beginn der Pandemie wurde sie von Ashley McBryde als Vorgruppe auf deren Tour eingeladen. Eine Künstlerin, die nicht nur die Vorliebe von Morgan Wade für Tatoos teilt, sondern ebenfalls von Anfang an versucht hat, ihren eigenen Weg im Musikgeschäft zu gehen. Beide sprechen ihr Publikum an, weil sie über ihre eigenen Erfahrungen schreiben und damit glaubhaft zu berühren vermögen. Das fasziniert und macht menschlich, ebenso wie es gleichzeitig erleichtert, nur der emotional verbundene Voyeur sein zu müssen, wenn es etwa um Ablehnung oder Abhängigkeiten geht.

Auch wenn Morgan Wade mit diesem ersten Album auf den Musikplattformen als Country klassifiziert wird, liegt sie momentan dem Americana-Genre näher und wird vermutlich nicht den Weg ins Country Radio finden.

Denn wie schreibt Claire Shaffer auf Rolling Stone Country: "[Produzent Sadler Vaden] betrachtet Tom Petty's 1988er Album "Full Moon" (dasjenige welches mit 'Free Fallin' beginnt) als die Vorlage für "Reckless" und das zeigt sich zweifellos in der Produktion, die sich zwischen Country-Rock aus 2004 und Don Henley's Pop-Rock einschwingt. Und doch bleibt sie nicht zwischen diesen beiden Markern, denn 'Northern Air' ist ein atmosphärischer Folk Song aus akustischen Instrumenten, während Snaps und der ins Ohr gehende Refrain den Song 'Last Cigarette' auf eine Stufe mit den erfolgreichsten, aktuellen Mainstream Country Streaming Hits stellen."


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