Kaltes Bier & der King der Country Music

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"Das ist es, was gute Musik ausmacht. Sie fasst das in Worte und Melodien, was Menschen oft schwer fällt, mit eigenen Worten zu sagen. Aber wenn sie den richtigen Song hören, dann fühlen sie sich verstanden. Ich denke, das ist ganz entscheidend." (Zach Top / americansongwriter.com, 5. April 2024)

die spottdrossel & DIE KRÄHE

"Ich komme aus [dem US-Bundesstaat] Mississippi, wo der Wappenvogel die Spottdrossel ist. Ich bin wie eine Spottdrossel, die Dinge wiederholt, die sie ihr Leben lang gehört hat. Und gleichzeitig ist das ein Teil dessen was ich als Songschreiber und als Mensch bin. Dann [aber werde ich] zur Krähe, der Rock'n'Roll Persönlichkeit, die ihren eigenen Weg fliegt."
(Hardy / Instagram, 10. Oktober 2022)


Zumindest die knapp 1 Mio. Follower auf Instagram werden ihm mehr als dankbar dafür sein, dass er sie nicht zu lange auf die Veröffentlichung eines der mit am meisten Spannung erwarteten Alben des neuen Jahres hat warten lassen. Denn schon am 10. Oktober 2022 hatte Hardy sein zweites Studio-Album mit den Worten "Es wird ein halbes Country und ein halbes Rock Album sein" angekündigt. Und gleichzeitig den außergewöhnlichen Titelsong 'the mockingbird & THE CROW' veröffentlicht.

Mit 20. Jänner 2023 ist das neue Projekt nun endlich erschienen! Mit ganzen 17 Songs ist es nicht nur vom Umfang, sondern auch vom Thema her eigentlich ein Doppelalbum, in dessen Mittelpunkt der Titelsong steht. Er bildet die Wasserscheide von der ersten Country- in die zweite Rock-Hälfte und hat ebenso 2 Teile, wie das nach ihm benannte Projekt. Gemeinsam mit Brett Tyler und Jordan Schmidt geschrieben, stellt der Song eines der unumstrittenen Highlights in der bisherigen Karriere von Hardy dar.

Denn nicht ganz unkritisch setzt sich Hardy in der ersten Hälfte des Liedes in vermutet autobiographischen Zügen mit seinen eigenen Anfängen in einer von der Industrie fremdbestimmten Musikwelt auseinander.

Ich singe Lieder, die wie andere klingen, die man kennt,
über Freitag abends und Scheinwerferlicht auf schmalen Schotterstraßen
und dass Mississippi mein Zuhause ist.
Ich war immer schon eine Spottdrossel,
aber jetzt bin ich eine Spottdrossel mit einem Mikrophon.
 
Mach dies, mach das,
dieses Shirt, diese Kappe,
vergiss nicht zu lächeln,
küss den Ring von Zeit zu Zeit.
Sag nicht diese Worte,
lass den Finger unten,
mach immer wieder mal ein Liebeslied.
(the mockingbird & TEH CROW / Michael Hardy, Brett Tyler, Jordan Schmidt)

Gemäß Hardy ursprünglich 7 Minuten lang, verwandelt sich die Midtempo-Country Biographie zur Halbzeit in einen rotzigen Rock-Song, der sich weigert, jemand zu sein, der er nicht ist, und der demonstrativ seinen Mittelfinger hebt. Ohne sich dabei selbst zu ernst zu nehmen, indem er auf die Ermahnungen der Industrie, dass das so nicht funktioniere, aus rauher Kehle erwidert: na dann erzählt das mal 25.000 Rednecks mit meiner dummen Fresse auf ihrem T-Shirt.

Es fällt nicht schwer zu erkennen, dass sich Hardy textlich kein Blatt vor den Mund nimmt. Und Worte in den Mund legen lässt er sich schon gar nicht, denn an jedem seiner bisher veröffentlichten Songs war er selbst als Songschreiber beteiligt. Keine Selbstverständlichkeit in Nashville, der Stadt mit der zweifellos höchsten, hauptberuflichen Songschreiber-Dichte der Welt. Gleichzeitig aber verpasst man auch einen entscheidenden Teil des Künstlers Hardy, wenn man sich nicht mit seinen Texten auseinandersetzt.

Zwar erzählen viele von ihnen nichts fundamental Neues. Aber die Art und Weise, wie sie es tun, machen es sehr wohl! Meist tun sie es mit überraschenden Blickwinkeln, die neue Zugänge zu alten Themen erlauben, so wie etwa der Song 'Jack' das Thema Alkohol-Sucht und -Abhängigkeit aus der Sicht des personifizierten Alkohols selbst zur Diskussion stellt.

Ein Konzept, das Hardy auch im ersten Song ('beer') des neuen Projektes umsetzt. Als Songschreiber stellt er damit nicht nur klar, dass Bier für ihn kein harter und problematischer Alkohol ist, sondern stellt vielmehr fest, dass er ein lebenslang treuer Freund mit vielen gemeinsamen Erinnerungen sein kann, so wie damals, als du eins von mir ihrem Vater mitgebracht hast, bevor du fragtest, ob du sie heiraten dürftest. Also eine sowohl musikalisch, als auch thematisch entschärfte Version von 'Jack', das sich auf der Rock-Seite des Albums befindet.

Im großartigen 'happy' geht Hardy noch einen Schritt weiter. Denn diesen nachdenklichen Song hat er nicht nur als einzigen auf dem aktuellen Album ganz alleine geschrieben, sondern diesmal personifiziert er damit ein Gefühl. Nämlich das, welches im Englischen für glücklich und zufrieden sein steht. Und sinniert im Zuge dessen nicht nur über Erklärungen, warum wir uns das Leben oft selbst so schwer machen, sondern wünscht sich auch mehr Positivität in der großen Welt da draußen.

Happy hat keine Lügen zu erzählen,
will von niemandem etwas haben,
beschäftigt sich nie damit, wer Recht hat und wer nicht.
Happy mag keinen Alkohol, keine Verbitterung und Grausamkeit schon gar nicht,
aber wenn er die Liebe durch die Mauern singen hört,
dann singt Happy mit.
 
Happy wartet geduldig hinter dem Neid,
und auf die bescheidene Offenbarung, dass das Gras [woanders] grüner sein könnte
und [gleichzeitig] hat Happy nie etwas von Ich-bin-nicht-gut-genug gehalten,
denn du kannst dir sicher sein,
wenn du dich [selbst] nicht magst, magst du Happy auch nicht.
(happy / Michael Hardy)

Ähnlich gelungen ist 'screen', das sich fragt, warum immer mehr Menschen verlernen, wirklich zu leben - indem sie nur mehr auf den Bildschirm eines Smartphones oder Fernsehers starren, anstatt den anderen Bildschirm zu nutzen, um durch die Tür aus Fliegengitter (=screen door) auf der Veranda ein echtes Gewitter oder einen echten Sonnenuntergang zu beobachten.

Schau doch einfach aus dem Fenster,
lass es in der Hosentasche bei einem Rock Konzert,
versuch es einfach nur,
jede Batterie hat ein Ende, aber niemals deine Erinnerung.
(screen / Hunter Phelps, Jessie Dillon, Matt Dragstrem, Michael Hardy)

Eine weitere unerwartete Perspektive liefert 'drink one for me'. Denn das Lied handelt nicht, wie vielleicht vermutet, von einem Treffen, bei dem man nicht dabei sein kann und sich vom Freund wünscht, eins mitzutrinken. Vielmehr erinnert es thematisch an 'Give Heaven Some Hell' aus Hardys erstem Album. Denn im aktuellen Song kommt die Stimme aus dem Jenseits und wünscht sich, dass für alle anderen das Leben weitergeht. Und in der Bridge vergisst der Text dabei nicht ein leises Augenzwinkern voller Zuversicht, wenn es da heißt:

Und ich fragte Jesus, als ich angekommen war,
ob er mich nicht für eine Nacht zurückschicken könnte,
weil ich nicht wusste, das mein letztes Bier,
das letzte Bier meines Lebens war.
 
Er sagte: "Es wird ihnen gut gehen, auch ohne dich,
gib ihnen nur ein paar Jahre."
Aber wenn es etwas gibt, dass meine Erinnerungen wach hält,
bis zu dem Tag, an dem ihr alle mich hier trefft,
dann trinkt eins für mich.
(drink one for me / David Garcia, Hunter Phelps, Michael Hardy)

Ich spreche nicht von Politik, singt Hardy im Song 'red', auf dem ihn Morgan Wallen begleitet. Einem Lied, in dem es auf den ersten Blick um die politische Farbe der Republikaner geht. Aber die Farbe dient nur als ein Aufhänger für viele Kleinstadt-Themen, wie die Trikotfarbe der Heim-Mannschaft, die Ziegelfarbe des Rathauses oder die Dosenfarbe des beliebtesten Biers. 

Auch wenn dann doch die unterschwellige Doppeldeutigkeit hängen bleibt, die einen guten Country-Song ausmacht und mit der Hardy ganz besonders gelungen zu spielen vermag. Ein nicht ganz ungewollter Effekt, wie er im Interview mit tennessean.com zugibt: "Es ist eine Vielzahl von Kleinstadt-Stereotypen, die wir mit politischen Anspielungen vermischt haben. Aber wir verpacken die Dinge in eine Konversation über Menschen, die für unser Land kämpfen. Am Ende sagen wir [dann] im Refrain, dass wir alle rot bluten." Und betont damit dann doch eine übergreifende Gemeinsamkeit, die alle Menschen ungeachtet ihrer politischen Einstellung miteinander verbindet.

Auf dem Weg zum Top-10 Hit ist die aktuelle Radio Single 'wait in the truck', die Mörder-Ballade mit Lainey Wilson.

Mit 'Sold Out' als 10. Titel des Projekts beginnt unüberhörbar die Rock-Seite des Projekts. Bereits im März 2022 veröffentlicht, präsentiert sich Hardy damit als stolzer Redneck und country bis er stirbt, unterstrichen von unmissverständlichen Metal-Riffs, die keinen Widerspruch dulden.

Ein Thema, dem er sich bereits 2018 mit einem seiner ersten Songs 'REDNECKER' verschrieben hatte, in dem er das Wortspiel von "Du glaubst vielleicht, du bist ein Redneck - aber ich bin rednecker als du, denn mein Ort ist kleiner als deiner und mein Truck ist lauter als deiner" zum Titel des Liedes machte.

Es klingt überzeichnet und nach Klischee, wenn Hardy auf dem neuen Album gar einen Song nach der Bezeichnung für eine Standard-Gewehrmunition betitelt ('.30-06') und darin die Diskussion beschreibt, die er mit seiner Frau hat, die ihm sein Gewehr wegnehmen und zum Pfandleier bringen möchte. Nur um festzuhalten, dass er damit kein Problem hat, besitzt er doch mehr als nur eine Waffe. Aber vermutlich steckt dann doch so viel Wahrheit in dem Thema, dass er dem Abknallen von Wild gleich einen weiteren Banger widmet: 'KILL SH!T TILL I DIE'.

Das melodischere 'I AIN'T IN THE COUNTRY NO MORE' erzählt von einem ersten Ausflug in die große Stadt mit ihrem Asphalt, Schmutz und Obdachlosen, und suggeriert damit das -ohne es auszusprechen-, was die meisten anderen Country Songs explizit tun: nämlich zu betonen, dass am Lande draußen alles besser ist.

Der erste Teil des Refrains von 'RADIO SONG' klingt musikalisch und textlich wie ein typisch kommerzieller Country Radio Hit. Allerdings nur bis zu dem Moment, wenn Jeremy McKinnon von der Post-Hardcore-Band A Day To Remember eingreift. Danach trennt sich die Spreu vom Weizen.

"Ich bin ein Redneck, ich bin ein Redneck, mit einer Waffe am Beifahrersitz, denn wenn etwas fliegt, dann knall ich es ab, denn das Redneck Leben ist das einzige Leben für mich", singt Hardy im abschließenden 'REDNECK SONG', den er mit Andy Albert, Nick Donley und Zach Abend geschrieben hat. Strophe um Strophe werden darin Hinterwäldler-Gemeinplätze beschrieben, wie man sie in einem echten Redneck-Song wohl erwarten würde. Erst die letzte Strophe gibt zu: für dich werde ich vermutlich nichts anderes als ein Stereotyp sein ...

'the mockingbird & THE CROW' ist ein von Joey Moi produziertes, ungewöhnliches Album, das sein Konzept der musikalischen Dualität konsequent durchzieht. Das beginnt im Cover-Bild, das zwei Fotos von Hardy zusammenführt, und endet bei der Schreibweise der Lieder in Kleinbuchstaben für die Country Songs und in lauten Großbuchstaben für die Rock Songs. Beide Stilrichtungen bewegen sich dabei in ihren längst ausgetretenen Bahnen und schaffen doch etwas Neues, wenn sich ihre Wege kreuzen oder sie ineinanderlaufen.

"2015 spielte ich mit anderen Songschreibern für Trinkgeld, das die Leute in einen Topf vor der Bühne werfen konnten. Niemand von uns hatte schon einen Hit gehabt. Wir spielten eigene Songs und jeder hatte vielleicht $10 eingenommen. Aber jemand schrieb "Gib's auf" auf eine Serviette und warf sie in meinen Topf", erzählte Hardy im September 2022, als er von der Academy of Country Music (ACM) die Auszeichnung für den Songschreiber des Jahres verliehen bekam. "Und heute abend werde ich diese Serviette neben diese Auszeichnung legen!"

So ist 'the mockingbird & THE CROW' in erster Linie ein Projekt, unter das Hardy seine Unterschrift als Songschreiber gesetzt hat. Als ein Künstler, der nicht nur musikalisch Aufmerksamkeit zu erregen vermag, sondern vor allem mit der Wortwahl seiner Texte unerwartete Einblicke eröffnet und den Zuhörer an so manchen Stellen im Unklaren belässt, ob die Doppeldeutigkeit von Sprachwendungen nun zufällig oder nicht doch vielleicht beabsichtigt ist.


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