Ist das okay?

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"Sowohl das Buch als auch die Redewendung wurden seit Veröffentlichung des Buches Teil der Populärkultur, beginnend mit dem Cartoon aus dem New Yorker Magazin [1972] über ein Telefongespräch: "Oh - wir lesen gerade ''Ich bin O.K. - du bist O.K.' und ich nehme an, wir sind O.K.. Aber ich denke ist wegen der Martinis und nicht wegen dem Buch." (Nicholas Berne Calcaterra / drthomasharris.com/im-ok-youre-ok-book-thomas-harris/)

Erziehung oder die 6. Kugel

"Ich steckte 6 Kugeln in einen .357 Revolver. Ich hatte einen langen Brief an alle die ich kannte und liebte und alle, die ich nie getroffen hatte, geschrieben. Und ich sagte, Gott wenn es Dich gibt und Du mich hörst: ich brauche Hilfe! [...] So laut, wie ich nur konnte, rief ich "Sorry" und betätigte den Abzug."
(Chase Bryant / YouTube - This Is Me, 22. Februar 2021)

Die Karriere für Chase Bryant aus dem 1.000 - Seelen Kaff Orange Grove im südlichen Texas begann so, wie man es sich erträumt: mit 20 Jahren unterschrieb er beim Label Broken Bow Records, veröffentlichte im Jahr darauf seine gleichnamige EP und platzierte gleich die ersten beiden Singles daraus in den Top-10 der Radio (Billboard Country Airplay) Charts. So durfte er bereits 2015 mit Tim McGraw auf Tour gehen und als dessen Opener fungieren.

Mit nur 22 Jahre schien Chase Bryant eine musikalische Familientradition fortzuführen, die sein Großvater Jimmy Bryant begründet hatte, der für den legendären Roy Orbison als Musiker aufgetreten war, und die seine Neffen als Mitbegründer der Country Band Ricochet erweitert hatten. Aber der so schnell aufgestiegene Stern des jungen Künstlers hatte vorerst seinen Zenith erreicht und begann wie eine Sternschnuppe zu verglühen.

Für die dritte Single 'Room To Breathe' aus einem kommenden Album schlug Chase Bryant eine neue Richtung ein. Nicht nur mimte er im zugehörigen Video James Bond, sondern der moderne, groovige Titel zeichnete sich durch eine glatte Pop-Produktion aus, die zwar ins Ohr ging, aber viele Country Fans vor den Kopf stieß. In den Charts erreichte sie nicht einmal mehr die Top-40.

Im Interview mit people.com beschrieb er seine musikalische Entwicklung zu dieser Zeit: "Ich suchte den Erfolg ... ich suchte keine Zufriedenheit. Ich versuchte, jemand zu sein, der ich nicht war. Ich war nur der, den sie mir vorgaben. Ich machte, was sie mir sagten, und das war zu der Zeit leicht, weil es mir jeder dankte. Und das war ein Gefühl, das ich nicht kannte."

Frühes Mobbing in der Schule hatte bald dazu geführt, dass er immer stärker nach Selbstbestätigung suchte. Diese Unsicherheit begann er mit wahrgenommener Arroganz zu kompensieren und sich dabei selbst immer mehr zu verlieren. Als auch noch verstärkte Schübe von Depression folgten, begann seine Welt auseinanderzubrechen. "Ich wusste, dass meine [2017er Single] 'Hell If I Know' musikalisch nicht stimmig für mich war. Es war ein Lied, das ich einfach nicht mehr jeden Abend, den Rest meines Lebens  singen wollte."

"Ich war ein Wrack und verstand nicht, wie das niemand sehen konnte?" Aber seine emotionalen Hilferufe blieben unverstanden und ungehört. Im Mai 2018 glaubte er schließlich, keinen anderen Ausweg mehr zu sehen. Er belud eine .357er Magnun, fuhr mit seinem Auto auf einen Parkplatz vor einer Tankstelle in Nashville und wollte sein Leben, in dem er keinen Sinn mehr sah, endgültig beenden.

Dass dann jedoch ausgerechnet die eine entscheidende Kammer des Revolvers nicht geladen war,  grenzt rückblickend an ein Wunder. So sieht er es heute als Zeichen, wenn er sagt: "Das Leben ist viel zu kurz, mach es nicht noch kürzer. Das ist es nicht wert. Wir haben doch alle etwas, für das wir dankbar sein können."

Zwei Jahre später, im Pandemie-Sommer 2020 wagte er sich mit Produzent Jon Randall, Schlagzeuger J.J. Johnson und Gitarist Charlie Sexton in Austin, Texas, in die Arlyn Studios, um nicht nur an neuer Musik, sondern auch an neuen musikalischem Selbst zu arbeiten. Entstanden ist sein erstes Album in voller Länge, veröffentlicht auf dem kleinen Label Green Iris Records. Das Projekt enthält 12 Songs und trägt den Titel "Upbringing".

Auch wenn der Titelsong ein klassisches Country-Thema beschreibt, dient er in diesem Fall nicht nur als große Überschrift für das Projekt, sondern auch als Symbol für die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und die Werte, mit denen er erzogen wurde.

Ich stehe zu dem, der ich bin,denn so bin ich immer gewesen.
Du kannst mich mögen, hassen, lieben oder in Ruhe lassen,
es ist in meiner DNA,
es ist im Wasser hier,
hier sind meine Wurzeln.
(Upringing / Chase Bryant, Stephen Wilson Jr.)

Nur an einem einzigen Song des Projektes ('In the First Place') war Chase Bryant nicht als Songschreiber beteiligt. Und das begründet er mit den Worten: "Ich war genau in der Situation [die das Lied beschreibt] und ich wusste, ich musste diesen Song aufnehmen. Ich liebe ihn und bin stolz darauf, dass er jetzt zu meinem Reportoire gehört." Der Song beschreibt die ernüchternde Erkenntnis, dass die Partnerin in der Beziehung nicht an erster Stelle gestanden war.

Du kamst erst nach dem Whiskey,
erst nach Mama,
nach der Hypothek,
nach all meinen Problemen.
Ich habe sie alle wichtiger genommen
und nun muss ich damit leben,
einem leeren Haus, einem leeren Glas und der Wahrheit,
dass die Liebe zu dir nie an erster Stelle stand.
(In the First Place / Ryan Beaver, Stephen Wilson Jr.)

In 'Think About That' verknüpft er glückliche Jugenderinnerungen an seine erste große Liebe, die er nicht vergessen kann, sich dabei aber einzureden versucht, dass er ohnehin gar nicht mehr daran denkt.

Es gibt viele Dinge, die ich nicht bereue,
viel mehr, was ich vergessen möchte,
wie ihre blauen Augen, diese Nächte,
die [absichtlich] langen Heimwege,
Melodien und Erinnerungen,
sie lassen mich nicht in Ruhe.

Die Liebe in einer Kleinstadt wird immer dann ein zusätzliches Problem, wenn sie zerbricht, man aber nicht darüber hinwegkommt. Den dazu notwendigen Abstand zu gewinnen, ist in einer Kleinstadt dann fast unmöglich, wenn man sich gezwungermaßen immer wieder über den Weg läuft.

Immer wieder sehe ich sie mit ihm herumfahren,
ihr Haar im Wind,
sie singt vielleicht unseren Song mit ihm, verdammt,
während mich das fertig macht,
was mache ich jetzt?
Jeder weiß, sie war mein Mädchen.
Es ist eine große weite Welt,
aber eine winzig kleine Stadt.
(Little Bitty Town / Tim Owens, Lance Miller, Chase Bryant)

In der melancholischen Ballade 'Even Now' ist die Beziehung an seiner Achtlosigkeit gescheitert. Nun, da er sie verloren hat und sie mit jemandem anderen sieht, fragt er sich, ob sie nun ausgeglichen (even) hat, auch wenn er auch jetzt noch (even now) an sie denkt.

Verschiedenste Schicksale und Situationen finden sich in 'Somewhere in a Bar' und mit 'Cold Beer' schafft er sich den AC/DC  - Back in Black Moment auf dem Album. 'Selfish', 'Paradise' und 'Red Light', der Titel über den Kuss im Auto an einer roten Ampel, stechen durch eine modernere Produktion als der Rest des Albums hervor.

Das Projekt endet mit einer 6-minütigen Ballade voller Hoffnungslosigkeit. "Ich hörte zu der Zeit viel von Willie [Nelson] und Kristofferson", erzählt er soundslikenashville.com. "Ich saß in einem Hotelzimmer und spielte mit diesem einfachen Gedanken, wie könnten wir etas schreiben, dass klanglich niemand von mir erwarten würde."

"Ich wollte ein ehrliches Country Album machen und aus vielerlei Gründen ist 'High, Drunk, and Heark Broke' eines meiner Liebelingslieder darauf, wegen der Art, wie es zustande kam. Denn es klingt wie ein alter Willie Nelson Song oder einer von Kristofferson oder Waylon ...".

Auf itunes scheint das Projekt unter der Rubrik Alternative Country-Musik auf, was auch immer das bedeuten mag.  Es ist jedenfalls ein überraschend gelungenes Projekt, mit dem man das Gefühl hat, Chase Bryant könnte sich damit wirklich selbst gefunden haben. Jedenfalls wirkt es glaubhaft, wenn er seine neue Lebenseinstellung zusammenfasst:

"Wenn ich darüber nachdenke, dann möchte ich genau diese eine leere Kammer für jemanden sein. Ich möchte diese eine Kugel aus Erfüllung und Hoffnung sein. Ich hoffe, das nimmt auch eine Kugel aus dem Leben von jemandem. Vielleicht sieht das eines Tages jemand, jemand, der gerade Dinge durchmacht und sich sagt: Weißt Du was? Es gibt Hoffnung - denn die gibt es wirklich."



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