Ein Stein

"Wir wollten endlich ein One-Take Video machen, denn in der Art und Weise, wie dieses Lied über das Leben spricht, sagt es ja, dass es auch im Leben keinen Schnitt gibt. Es geht einfach immer weiter vorwärts, man bekommt eben nur eine Chance. [Es ist wie ein One-Take]." 

(Justin Clough, Regisseur / Behind the Scenes - A Rock, 15. Oktober 2020)

In den Radio (Billboard Country Airplay) Charts vom 12. Oktober 2020 ist der Song 'One Beer' von Platz 11 um eine Position auf Platz 10 geklettert. Es ist damit der erste Top-10 Hit für den Songschreiber Hardy als Interpret und gleichzeitig ein gelungenes Beispiel dafür, was den 30-jährigen Künstler aus Mississippi so außergewöhnlich macht.

Denn geschickt spielt er mit den traditionell wiederkehrenden Themen des Genres und gibt ihnen erfrischend neue Wendungen. So sagt er zu soundslikenashville.com: "Ich denke, man kann in einem Country Song nur von einer handvoll Dingen erzählen. Ich liebe dich, ich hasse dich, ich vermisse dich ... mein Truck ist groß. Die beste Variante das zu tun, ist es, seinen persönlichen Stil zu finden und diese Dinge auf eine Art und Weise zu erzählen, wie es noch niemand zuvor gesagt hat."

Und genau das macht er unwiederstehlich auf seinem aktuellen Solo-Debüt-Album "A Rock" (sein 2019 erschienenes Album "Hixtape, Vo.1" ist in dem Sinn ja kein echtes Solo-Album). Nicht zuletzt rückt er damit auch das Bild zurecht, dass nach seiner ersten Single 'Rednecker' im vergangene Jahr in vielen Köpfen entstanden sein mag. Denn, wie er im Interview mit entertainment-focus.com. sagt: "Ich habe mehr zu sagen, als nur, dass ich ein Redneck bin, dass ich Country Dinge mag und Bier trinke und blah, blah, blah ... ich bin bereit, mehr als das zu sagen."

Und dem fügt er etwas nachdenklich hinzu: "Ich denke, dass es [auch] ein Zeichen dafür ist, dass ich mich als Künstler weiterentwickelt und bereit bin, Fans ein bisschen von meiner einfühlsamen Seite zu zeigen. Und ich möchte damit auch sagen, dass ich nicht perfekt bin und dass meine Freundin und ich uns auch streiten." Also ein Mensch wie du und ich.

Viele dieser Momente im Leben, die uns menschlich machen, greift Hardy im Titelsong des Albums auf. Im Interview mit countrynow.com sagt er: "'A Rock' ließ mich darüber nachdenken, wie sich mein Leben entwickelt hat, auch wie verrückt es geworden ist, seitdem ich in Nashville bin. Es hat mich nachdenklich gemacht und irgendwie finde ich mich selbst in 'A Rock' wieder."

 

Dabei ist 'A Rock' keine autobiografische Geschichte des Lebens von Hardy, sondern die Themen sind viel universeller. Aufhänger und roter Faden für das Lied ist der Titel, mit dem uns Hardy durch eine ganze Lebensspanne führt. Und in jeder Lebensphase steht der Titel für eine etwas andere Bedeutung, die sich erst im sprachlichen Kontext der jeweiligen Wortverwendung erschließt.

In der ersten Strophe erschafft Hardy eine Welt, wie sie sich aus Kinderaugen darstellt:

Wenn Mama und Papa überlebensgroß sind,

du Posters von Superhelden an der Wand hast,

und noch nicht weißt, dass die Welt voller Begierden ist,

du dich einfach in die dritte Reihe im Schulbus setzt,

...

und nur darüber nachdenkst, wie weit du einen Stein werfen kannst.

In dieser Lebensphase symbolisiert der Stein die vom Spielerischen geprägte Kindheit, in der es einfach darum geht, wie geschickt man sein kann, einen Stein möglichst weit über eine Wasseroberfläche springen zu lassen.

In der zweiten Strophe nimmt er uns mit in die Zeit des Sturm und Drangs der Jugend:

Deine Räder laufen jetzt mit Benzin,

du kommst in Berührung mit der ersten Liebe und mit Nikotin,

dein Herz wird gebrochen, deine Familie findet dein Feuerzeug,

du verlierst ein paar Schlägereien und stellst fest, du bist eigentlich kein Kämpfer.

 

Jetzt sind es nicht mehr die Eltern, jetzt kommt die Zeit der ersten eigenständigen Entscheidungen, die zu treffen sind. Aber noch ist da die fehlende Lebenserfahrung, die vorhandene Unsicherheit, aber auch der erste Gesellschaftsdruck. Im Terminus der englischen Sprache (between a rock and hard place) findet man sich jetzt zu oft in einer Zwickmühle, wofür man sich denn entscheiden soll.

Du weißt, was richtig ist und du weißt, was falsch ist,

aber Freitag abend möchtest du auch cool sein,

wenn dir jemand eine Flasche vors Gesicht hält.

Und zum ersten Mal weißt du nicht, was du tun sollst.

 

Die dritte Strophe öffnet den Lebensabschnitt des sich Niederlassens und Familie gründens und der Rock wird zum Stein am Verlobungsring.

Dann zahlst du deine Rechnungen, arbeitest hart,

bist mit deinen Freunden in einer Bar,

lernst jemanden kennen, erzählst ihr von deinen Gefühlen

und plötzlich fühlt es sich so echt an.

Denkst plötzlich an Dinge, an die du noch nie gedacht hast,

dann triffst du ihre Eltern.

...

und plötzlich sparst du auf einen Verlobungsring.

 

In der vierten und letzten Strophe schließt Hardy den Kreis des Lebens und man kann sich schon denken, wofür der Rock nun steht:

Eines Tages hauchst du dein Leben aus,

deine Lebensgeschichte landet auf einem Bücherregal im Himmel,

man sagt einige Worte, wie verdammt schade es ist.

Dann legen sie dich nieder und schreiben deinen Namen auf einen Grabstein.

Ein allerletztes Synonym baut Hardy dann aber doch noch in die abschließende Bridge des Songs ein, indem er den Rock nun zum Planeten Erde macht, auf dem wir, jeden Tag wiederkehrend, unser Leben verbringen.

Wir alle leben nur auf einem Felsen!

Die sich immer weiterdrehende Erde, für die dann doch jeden Morgen wieder die Sonne aufgeht, bilden einen endlosen Zyklus, in dem sich alle wiederfinden, ohne dabei zu sehr ins Sentimentale abzugleiten. Und gleichzeitig ist es Anstoss für den Regisseur, das Video möglichst ohne Schnitt zu produzieren. Die Szenenwechsel, so sie notwendig sind, werden dabei lediglich durch dezente Überblendungen (Türen, die sich schließen) bewerkstelligt. Eine Technik, die sich Hollywood bereits zunutze gemacht hatte, als es noch keine anderen technischen Möglichkeiten der Umsetzung dafür gab (siehe den Alfred Hitchcock Film "Rope" mit James Stewart von 1948).