Tagebuch einer Songschreiberin

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"Sei aufgeschlossen und höre es an einem ruhigen Ort. Lass dich mitnehmen. Höre es von Anfang bis zum Ende. Ich hoffe, du lernst ein bisschen über mich oder vielleicht auch über dich. Wir alle versuchen das [Leben] zu verstehen oder brauchen auch mal eine Pause davon. Lasst mich euch dabei helfen." (Lanie Gardner / sweetyhigh.com, 25. Oktober 2024)

7 Tage am Felsen

"Country Radio ist ein zimperliches Wesen und es hat aus [Kip] Moore gewissermaßen einen Gesetzlosen (Outlaw) gemacht. Die Nashville Szene hat ihn so schnell wieder ausgespuckt, wie sie ihn zuerst aufgenommen hat. Zum Glück für uns gedeihen manche Dinge besser abseits des Lichts - und Kip Moore ist eine davon."
(Katie Beekman / The Michigan Daily, 3. Juni 2020)
Der Red River ist ein Nebenfluss des Kentucky Rivers im Osten des gleichnamigen US-Bundesstaates. Eingebettet in den Daniel Boone National Forest, fließt er durch naturbelassene Landschaften voller Sandsteinklippen, Wasserfälle und von der Natur geschaffener Felsbrücken. 1993 wurde ein rund 32 km langer, besonders eindrucksvoller Abschnitt davon (die Red River Gorge) unter Naturschutz gestellt. Seitdem hat sich die Red River Gorge zu einem weltweit anerkannten und beliebten Ziel für Felskletterer entwickelt.

Im Sommer 2018 errichtete Jeremy Salyers gemeinsam mit Kip Moore dort eine Lodge, die bis zu 32 Kletterern, Wanderern und Naturliebhabern Unterkunft bietet. BedRock ist keine Luxusabsteige, sondern einfach gehalten und bietet den Besuchern in einer vollausgestatteten Küche die Möglichkeit, sich selbst Mahlzeiten zuzubereiten. "Jeder Teil der Lodge wurde sorgfältig geplant und soll die Besucher auch ermutigen, ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben", betonte Kip Moore.

Gewissermaßen in einer Parallel-Welt dazu arbeitete er zur gleichen Zeit aber nicht nur an einem neuen Album, sondern suchte auch laufend über Konzertauftritten Kontakt zu seinem Publikum. Nach einer Accoustic-Tour im vergangenen Jahr, war für den März 2020 die erste Headline-Tour in Australien geplant. Angesichts der bereits heraufdämmernden Umstände sollte es jedoch nicht mehr dazukommen. Zwar blieb er bis zuletzt hoffnungsvoll, doch schließlich musste auch Kip Moore am 14. März 2020 auf Twitter eingestehen: "Ich habe die Tour nicht abgesagt - für alle, die die vollständige Mitteilung nicht mitbekommen haben. Die Veranstalter wurden von der Regierung gezwungen, alle Veranstaltungen über 500 Besucher zu verschieben. Wir haben es versucht, aber wir wurden überstimmt."

Als zunehmend auch in den USA die Lichter abgedreht wurden und das öffentliche Leben zum Erliegen kam, zog sich Kip Moore auf seine Lodge in der Red River Gorge in Kentucky zurück. Dort fand er nun nicht nur die Zeit, den Klettersport ausgiebig zu entdecken, sondern es entstand dabei auch eine knapp halbstündige Dokumentation über die Entstehung des neuen Albums "Wild World".
Denn anstatt das neue Projekt bei Konzerten vorzustellen, konnte er nun im besten Fall lediglich auf Internet-Streams zurückgreifen.

Und so nutzte er, wie auch schon für sein letztes Album "Slow Heart", die neue Dokumentation mit dem Titel "7 Days at the Rock" , um Schlaglichter sowohl auf den Menschen und Künstler Kip Moore, als auch auf die Entstehung des Albums zu werfen. Damit unterstreicht er, dass "Wild World" kein Fließbandprodukt aus dem Studio ist, sondern eine mit Herzblut gemalene Perspektive auf das Leben. Produziert und veröffentlicht wurde der Film von Outside TV, einem Sender für Outdoor-Abenteuer Themen.

"Wann immer ich hierher komme, ist das wie das Betätigen der Pause-Taste. Es bringt einen zurück zu den einfachen Dingen", sagt Moore. Und auf der Veranda sitzend ergänzt er: "Ich könnte den ganzen Tag in diesem Schaukelstuhl sitzen, Kaffee trinken, Bücher lesen und Zeit mit [der Katze] Boots verbringen."



In den Radio (Billboard Country Airplay) Charts hat die aktuelle Single 'She's Mine' nach 38 Wochen inzwischen die Top-30 (Platz 26) erreicht, aber Kip Moore scheint nicht mehr sehr auf kommerziellen Radio-Erfolg konzentriert zu sein. Zu eigenständig ist er geworden, zu anders ist der Blickwinkel geworden, den er in seine Musik und Texte legt.

"Er ist vielleicht der am meisten selbst-reflektierende und in sich gehende Mensch, den ich kenne", beschreibt Cindy Mabe, Präsidentin des Labels Universal Music Group Nashville den Künstler. "Und das ist nicht unbedingt allgemeine DNA in der Unterhaltungsindustrie. Er ist jeden Tag auf Erkenntnis-Suche."

Und das hinterlässt auch unübersehbare Spuren im neuen Album. Da geht es weniger oft um Geschichten aus dem Leben, sondern viel häufiger um inneres Erleben und den Wunsch, die Welt zu verstehen. Es geht nicht mehr um materielle Oberflächlichkeiten wie Pickup Trucks und Bier, die Dreh- und Angelpunkte seiner ersten Hits. Sie sind persönlicheren Themen gewichen, auch wenn man mit 'Reckless' oder 'Faith When I Fall' auch auf dem ersten Album bereits den suchenden und verletzlichen Menschen findet.

Viel intensiver noch beschreibt Kip Moore diese Zerrissenheit auf der Suche nach dem richtigen Weg in einem der herausragendsten Songs auf dem neuen Album, 'Fire and Flame', wenn er sich zwischen dem Feuer des Erfolgs und der Flamme der Hoffnung auf spirituelle Einkehr hin- und hergerissen fühlt. "Ich bin immer auf der Suche nach diesen flüchtigen Momenten der Freude und des Friedens. Und wenn du auf der Suche bist, dann verbrennst du dich dabei schon mal", beschreibt er auf Apple Music das Thema des Songs.

Der treibende Sound des Songs beschwört im Netz immer wieder Vergleiche mit U2 aus Joshua-Tree Zeiten herauf und steht gleichzeitig für ein Album-Klangbild, das durch und durch Heartland Rock ist. Was nicht wundert, war doch Kip Moore's ursprünglicher Traum, ein Mitglied in den Heartbreakers zu werden, der Band von Heartland Rock Legende Tom Petty. Aber auch der unmittelbare Vergleich mit Bruce Springsteen, an den er vorallem stimmlich so sehr erinnert, bleibt nicht aus.



Der Wunsch nach einem einfachen, aber glücklichen Leben ist auch Thema in 'Red White Blue Jean American Dream', dem einzigen Song auf dem Album, an dem Kip Moore nicht als Autor beteiligt war. Entsprechend findet sich hier ein stärker country-lastiger Fokus von Bodenständigkeit und Zufriedenheit mit den eigenen Möglichkeiten:
Dylan ging nach New York, Cash ging nach Nashville,
Mark Twain fuhr auf der Mississippi Queen,
Papa ließ sich in Dixon County nieder.
Großmutter hat nie ihre Veranda verlassen,
wir können den Eiffelturm in Paris, Texas besteigen,
in Rock City Tennessee feiern
du und ich.
(Jimi Bell, Barton Davies, Luke Dick, Philip Lammonds)

Die Rock-Hymne 'Southpaw' beschreibt am Beispiel einer Wildwest-Szene das tiefere Gefühl, ein Außenseiter und eigentlich fehl am Platz zu sein. Southpaw ist nicht nur ein Filmtitel über ein Boxer-Schicksal, sondern auch der Begriff für den seltenen Boxer, der Linksausleger ist. Kip Moore nutzt das als Metaphor für jemanden, der anders und damit auch unberechenbar ist, meint am Ende aber sich selbst damit.

Ruhiger wird es in 'More Than Enough', wenn es um die Erkenntnis geht, dass "es immer etwas geben wird, das wir fürchten", so Kip Moore und er fügt dem hinzu: "Aber ich glaube ganz fest daran, dass wir uns im Leben zurecht finden, wenn wir das, was uns besonders wichtig ist, bei uns haben."



Das Midtempo 'Sweet Virginia' überzeugt mit seiner eingängigen Melodie, den Gitarren-Soli und dem Refrain über die oft fehlende Ernsthaftigkeit in unserer Welt. "Ich habe das Gefühl, wenn ich Erzählungen meiner Großeltern oder auch meiner Eltern zuhörte, dann war früher alles viel direkter", beschreibt Kip Moore das Thema des Liedes. "Heute scheint alles irgendwie nur mehr ein Spiel geworden zu sein."

Es kümmert mich nicht, was deine Freunde sagen, aber ganz ehrlich, sie könnten Recht haben, heißt es im ruhigen 'Crazy for you Tonight', in dem Kip Moore sich selbstbewusst, aber nicht ohne menschliche Fehler gibt.

Und doch ist nicht alles stimmig auf "Wild World".

'South' ist kein patriotisches Lied über die Südstaaten, sondern die großartig melancholisch-stimmungsvolle Beschreibung eines verblassenden Sommers, von dem nur Erinnerungen an eine verlorene Liebe bleiben, wenn die Vögel in den Süden ziehen. Aber auch wenn die Bridge im Text Hoffnung auf einen neuen Sommer macht, passen die mitreißenden, treibenden Riffs irgendwie nicht zur Stimmung des Textes. Beides für sich sind großartige Bausteine - die nur irgendwie nicht zueinander zu gehören scheinen.

Auch das intensivste Lied ('Payin' Hard'), welches das Album beendet, verwirrt mit seiner musikalischen Umsetzung. Kip Moore beschreibt es inhaltlich als das persönlichste Werk, das er je geschrieben hat. Und wer sich die Zeit nimmt, auf den Text zu hören, der kann nicht anders, als zutiefst berührt zu sein, von der Reue, über verpasste Situationen in einem Leben, das sich erst im Rückblick einordnen lässt, das im Moment aber andere Prioritäten gefunden hat:

Auf Kosten meines Herzens, habe ich meine Seele verkauft,
ich entschied mich für diese Gitarre,
anstatt der einzigen Liebe, die ich kannte.

Ich habe zu oft gehört, dass Momente kommen und vergehen,
und ein solcher ist vergangen, als ich meinen Vater hätte sehen sollen.
Aber ich spielte ein weiteres Konzert in einer neuen Stadt.
Ich schwor mir, dass es schon eine neue Chance geben würde.

Und jetzt ist es vorüber, so vorüber, dass es nie mehr kommt.
Jetzt kann ich ihn nur mehr in meinen Träumen sehen.
Muss damit leben, wenn ich nicht schlafen kann,
und wenn ich meine Augen schließe, werde ich damit sterben.

Mein Leben ist wie eine Kreditkarte,
spiele jetzt, bezahle später - und ich bezahle heftig.
(Payin' Hard / Blair Daly, Westin Davis, Kip Moore)

So ergreifend der Text unter anderem für die Erinnerung an seinen Vater steht, der im Alter von 62 an Krebs verstorben war, so holprig und übereilt klingt die musikalische Umsetzung. "Es klingt, als würde er hastig den Song und die damit so unangenehm verbundene Verletzlichkeit hinter sich bringen wollen", beschreibt tasteofcountry.com nicht ganz unzutreffend den Titel.

Am Veröffentlichungstermin des Albums "Wild World" (29. Mai 2020) ist dieses nicht nur auf Platz 3 der itunes Verkaufscharts in den USA eingestiegen, sondern auch auf Platz 2 in Australien und Kanada (hinter dem neuen Album von Lady GaGa), auf Platz 9 in Großbritannien und ganz kurz aufgeleuchtet ist es sogar in Deutschland auf Platz 29.

Ein Andeutung dafür, dass es Kip Moore gelungen ist, sich eine solide Basis zu errichten, die immer mehr auch abseits des kommerziellen Country Radios tragfähig scheint. Wenn er sich wie in 'Southpaw' als Außenseiter fühlt, dann hat er damit wohl nicht ganz unrecht. Selbst politisch lässt er sich nicht so recht dem republikanischen Gedankengut zuordnen, dem sich wohl die meisten Country Künstler verpflichtet fühlen, auch wenn nur wenige darüber sprechen.

Vor 20 Jahren wäre "Wild World" möglicherweise als außergewöhnliches Rock-Album (nur) in den USA veröffentlicht worden. Heute können wir uns glücklich schätzen, dass uns weder eine geografische noch eine Genre-Grenze daran hindert, intensiv in die Wilde Welt von Kip Moore einzutauchen.

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