Reboot II

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"Das spannende war, dass es uns nicht darum ging, die ursprünglichen Aufnahmen oder Arrangements, oder unsere eigenen Visionen umzusetzen. Wir gaben ihnen die Freiheit, unsere Songs mit ihren eigenen künstlerischen Visionen aufzunehmen." (Ronnie Dunn [Brooks & Dunn] / billboard.com, 16. September 2024)

Härter als die Wahrheit

"Der traditionellere Stil des Albums steht für mich und wie ich aufgewachsen bin. Ich mag es nicht, mich nach Trends richten zu müssen, auch wenn ich es oft genug in meiner Karriere machen musste. Dieses Mal wollte ich einfach Musik aufnehmen, die mich berührt und glücklich macht, ohne überlegen zu müssen, wo sie gespielt werden würde oder auch nicht."
(Reba McEntire / Billboard Magazine, 5. April 2019)

Das erste April-Wochenende 2019 ist ein großes Comeback-Wochenende für Reba McEntire. Denn die eben 64 gewordene Country Queen hat am 5. April ihr bereits 33. Studioalbum unter dem Titel "Stronger Than the Truth" veröffentlicht. Darüberhinaus kehrt sie am 7. April auf die Bühne der MGM Grand Garden Arena in Las Vegas zurück, wo sie die 54. Preisverleihung der Academy of Country Music (ACM-Awards) präsentiert.

In einer Phase, in der das stilistische Pendel des Genres wieder mehr in Richtung traditioneller Klänge auszuschlagen beginnt, und der Sound der 1990er Jahre wieder aktuell wird, erhält das neue Album von Reba McEntire wesentlich mehr Aufmerksamkeit, als es ihr Comeback-Album "Love Somebody" 2015 erhalten hatte.

So jubelt countrystandardtime.com: "'Stronger Than the Truth' ist Reba in Bestform. Jedes einzelne Lied beweist ihre beständige Kraft als Vokalistin, ihre Einzigartigkeit, Songs zu präsentieren und die Fähigkeit, jede Emotion in uns auszulösen, wenn sie unsere Herzen mit ehrlichen und aufrichtigen Gefühlen berührt."

In der Tat ist das Album eine Sammlung von ergreifenden Geschichten und Lebenssituationen, deren Texte selbst ohne Musik zu berühren wissen. Genaugenommen erfordert es einiges an Mut, sich auf die fast durchwegs traurig-tristen Szenen einzulassen. Trotzdem sind genau sie der Lack, der das Projekt zum Glänzen bringt. Denn die übrigen Bausteine hat man bereits in den 1990er Jahren gehört, als Reba McEntire noch eine entscheidende Rolle in den Charts gespielt hatte. Trotzdem ist auch das für viele, die ihre Reba schon zu lange vermisst haben, ein weiterer Pluspunkt.

"Der [erste] Song stimmt einen auf das Album ein", sagt Reba über den Opener 'Swing All Night Long With You' und führt das Publikum damit etwas in die Irre. Denn der unbeschwerte Swing-Titel mit seinem langen Instrumentalteil spricht zwar textlich davon, sich auf all das einlassen zu wollen, was da so kommen mag. Aber genaugenommen sollte man das Lied nutzen, um tief Luft zu holen, denn so leichtfüssig geht es im Rest des Albums nicht mehr zu.

Bereits der Titelsong 'Stronger Than the Truth' beschreibt die Suche nach Trost im Alkohol, wenn man der letzte ist, der über das Ende seiner Beziehung erfährt. Geschrieben von ihrer Nichte Autumn, beschreibt Reba das Lied als einen zeitlosen Country Song, den schon Merle Haggard hätte aufnehmen können.
"Nichts ist so laut wie Stille,
keine Klinge ist so scharf wie eine Lüge,
nichts ist schlimmer, als der letzte zu sein,
der es erfährt, dass du etwas Neues 
mit jemandem anderen angefangen hast,
und kein Whiskey ist so hart wie die Wahrheit."
(Hannah Louise Blaylock, Autumn McEntire)



'Storm In a Shot Glass' könnte die nächste Phase nach der Trennung beschreiben, wenn die Protagonistin in diesem bissigen Uptempo-Song zur verletzten Furie wird und ihn mit Alkohol und Musik vergessen möchte. "Sagt der Band, sie soll ein's drauf legen / und keine Songs über Schluss-Machen / und das allerletzte was du tun solltest, ist seinen Namen zu erwähnen."

Am Ende bleibt lediglich, sich in den Schmerz fallen zu lassen. Ein Schmerz, der sich nur mit dem vergleichen lässt, den Tammy Wynette in ihren Songs bereits beschrieben hat. Auch wenn 'Tammy Wynette Kind of Pain' die Erkenntnis bringt, dass "Stand by your man" kein guter Plan ist, wenn "der Himmel voller Tränen ist und jede Note und jedes Wort getränkt von Whiskey und Wein ist".


Eine trostlose Geschichte, die dennoch mit einem Funken Hoffnung endet, findet sich im Lied mit dem ungewöhnlichen Titel 'Cactus in a Coffee Can'. Allen Shamblin und Steve Seskin schrieben diesen Song - oder vielmehr diese Kurzgeschichte über die Begegnung mit einer Tochter, die die Asche ihrer Mutter in einer Kaffeekanne nach New Mexico bringt, um sie dort zu zerstreuen. Im Gespräch mit dem Sitznachbarn auf dem Flug dorthin erfährt man, dass ihre Mutter sie bei der Geburt zur Adoption freigegeben hatte, weil die Mutter nicht nur drogenabhängig war, sondern auch ihren Lebensunterhalt mit Prostitution verdient hatte. Erst kurz vor ihrem Tode, fand die Tochter sie und verzieh ihr.
"Sie sagte: 10 Jahre habe ich gebraucht, um sie zu finden.
Es war so unfair, dass sie im Sterben lag, als ich sie endlich fand.
Wir hatten zwei Wochen, um zusammen zu lachen und zu weinen,
zwei Wochen um sich zu begrüßen und zu verabschieden.
Sie gab mir diesen Kaktus und sagte: er ist ein wenig wie ich,
er wird dir weh tun, wenn du ihn hältst, aber er blüht zu jedem Frühling auf."

'The Heart' überrascht mit einer spanischen Gitarre, die inhaltliche Botschaft jedoch bleibt ein verbitterter Ratschlag einer Mutter oder Freundin, einem Mann viel, aber niemals ihr Herz zu schenken.

Nicht weniger ernüchternd besingt Reba die Szene um das unerwartete Ende einer Beziehung in einem Restaurant. Musik und Text malen ein so eindringliches Bild der Situation, dass man meint, am Nachbartisch zu sitzen und den Klavierspieler im Hintergrund zu hören, den unnahbaren Kellner zu sehen und die Emotionen der Protagonistin zu spüren, die sich zum Clown gemacht fühlt.
"Nach einigen Flaschen Rotwein kam die Wahrheit ans Licht.
Die Worte 'Ich liebe dich nicht mehr', flossen aus seinem Mund.
Ich sah den Kellner hilfesuchend an,
aber er schenkte lediglich den Kaffee nach
und sagte ohne zu zögern:
'Hätten Sie noch gerne etwas, Madam?'"
(The Clown / Dallas Davidson, Hillary Lindsey, James Slater)

Gemeinsam mit Ronnie Dunn schrieb Reba McEntire den Song mit dem Wortspiel 'No U in Oklahoma' im Titel. Ein weiterer Song über eine enttäuschte Liebe.

Der wohl intensivste, weil so düster realistische Titel auf dem Album findet sich mit 'The Bar's Getting Lower'. Er beschreibt die verlorene Hoffnung auf das große Glück in einer Beziehung. Beginnend mit der Warnung der Mutter, sich nicht zu früh auf jemanden einzulassen, sondern die Ansprüche hoch zu halten, verstrichen die Jahre und die Ansprüche wurden immer kleiner.
"Der One-Night-Stand, der eben zur Tür hereinkommt,
ist mit Sicherheit kein Partner fürs Leben.
Aber sie wird älter, die Nächte werden kälter
und die Ansprüche werden kleiner."
(Kellys Collins, Erin Enderlin, Liz Hengber, Alex Kline)



'In His Mind' ist der einige Song auf dem Album aus der Perspektive eines Mannes. Das macht ihn nicht optimistischer oder fröhlicher. Denn er handelt von dem verzweifelten Festhalten an einer vergangenen Liebe und der Hoffnung, dass sie wieder zurückkehren wird. Eine Hoffnung, die sich jedoch nur in seinen Gedanken abspielt.

Gegen Ende des Albums gibt es dann doch noch einen positiven Titel. 'Freedom' ist aber weder ein Cover des Aretha Franklin Klassikers 'Think (Freedom)', noch eine typische Hymne für alle Amerikanischen Patrioten, sondern der Song nutzt die Worthüllen letzteren Themas, um damit die Freiheit zu beschreiben, die entsteht, wenn man den richtigen Partner gefunden hat.

Das Album schließt mit der sentimentalen Klavier-Ballade 'You Never Gave Up On Me'. Ein Song, den Reba ursprünglich für ihr Gospel-Album aus dem Jahr 2017 aufnehmen wollte. Nun aber beschließt er ihr aktuelles Album und wechselt das religiöse Thema mit einer Widmung an ihre Mutter, wie sie im Outro mit leiser Stimme festhält.

Wer Reba aus ihren besten kommerziellen Zeiten vermisst, der wird Freude am neuen Album haben und muss sich auch vor keinen modernen Überraschung fürchten. Im gleichen Atemzug könnte man auch sagen, nichts Neues von Reba - wären da nicht die Songs und die Geschichten, die sie erzählen. Denn sie bestätigen am Ende doch wieder, dass es im Herzen guter Musik immer noch auf den Song ankommt.

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