Eigentlich hätte es der Überraschungsauftritt von Stevie Wonder werden sollen. Aber dieser musste mit Bestürzung feststellen, dass die Floppy Disk für sein Keyboard, welches für seinen Auftritt unerlässlich war, abhanden gekommen war und er nun unmöglich auftreten konnte. Also holte man eine Künstlerin zurück auf die Bühne, die für ihren Auftritt nicht viel mehr als eine akustische Gitarre benötigte.
"Ich musste buchstäblich auf die Bühne hinauslaufen," erinnerte sich die damals 24-jährige schwarze Sängerin Tracy Chapman an ihren ersten großen inernationalen Auftritt. Nachdem sie bereits zuvor 3 Lieder (darunter das thematisch treffende 'Talkin'Bout a Revolution') präsentiert hatte, improvisierte sie nun mit 2 weiteren Songs aus ihrem gleichnamigen, eben erschienenen Debüt-Album: nämlich der ersten Single 'Fast Car' und 'Across the Lines'.
Diese beiden Auftritte führten nicht nur dazu, dass ihr Album in den nächsten beiden Wochen 1,75 Mio. Mal verkauft wurde, sondern auch dass 'Fast Car' zu einem weltweiten Hit wurde. So erreichte es Platz 6 in den Billboard Hot 100 in den USA, Platz 5 in den UK Singles Charts und Platz 4 in Australien. Und im Folgejahr (1989) wurde Tracy Chapman gleich 6x bei den Grammy Awards nominiert (darunter für Song und Record of the Year für 'Fast Car') und schließlich mit 3 Grammies (darunter Best New Artist) ausgezeichnet.
Auch ihr Debüt-Album erhielt einen Grammy Award, nämlich den für das Beste Zeitgenössische Folk Album (Best Contemporary Folk Album). Einer Stilrichtung, welcher sie wegen ihres sozialkritischen, vorwiegend akustischem Musikstils gerne zugeordnet wurde. Auch wenn sie interessanterweise in einem Interview in der Travis Smiley Show (2005) auf die Frage, was sie an akustischer Musik so fasziniere, antwortete:
"Meine Familie liebte es im Fernsehen Hee Haw zu sehen. Das war eine Country Music Variety Show, mit Glen Campbell, Buck Owens, Minnie Pearle, glaube ich. Sie spielten alle auf akustischen Gitarren und ich denke ich mag einfach den Klang und das Aussehen einer Gitarre und ich dachte, das wäre das richtige Musikinstrument für mich. Es hatte für mich einfach Ausstrahlung und so fragte ich meine Mutter, ob ich eine haben könnte."
Der Grammy für den Song of the Year ging zwar an Bobby McFerrin für 'Don't Worry, Be Happy', aber die Geschichte von 'Fast Car' hat bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Und das, obwohl es eine tragische Geschichte ist, deren fehlendes Happy End vielen beiläufigen Hörern typischerweise entgeht. Es ist eine Geschichte über Träume und Hoffnungen, aber auch die bittere Realität.
In einem Interview mit der BBC sagte Tracy Chapman über das Thema des Liedes: "Es ist nicht unbedingt autobiographisch. Ich hatte nie ein schnelles Auto. Es ist vielmehr eine Geschichte über ein Paar und darüber wie sie versuchen miteinander zu leben und mit verschiedenen Schwierigkeiten klarzukommen."
Aber in der beschriebenen Lebenssituation geht es nicht nur darum, sich einen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern auch darum, mit einer zerrütteten Familiensituation fertig zu werden. Denn während die Mutter längst fortgegangen ist, kümmert sich die Protagonistin um den dem Alkohol verfallenen Vater:
So wenden sich die beiden einer hoffnungsvolleren Zukunft zu, indem sie die
trostlose Gegenwart hinter sich lassen. Es ist dieser Moment, den der Song für
die meisten Zuhörer symbolisiert. Sich aus eigener Kraft einer positiven
Zukunft zuwenden, voller Hoffnung und Zuversicht.
Genau jetzt hätte die Geschichte des Songs mit einem Happy End enden können,
aber das tut sie nicht. Vielmehr führt sie in ein resignierend offenes Ende. Wieder ist es die Realität, die auf Träume und
Hoffnungen zu vergessen scheint. Denn in der aufkommenden Ernüchterung findet die Protagonisting sich erneut in der Situation, sich um einen Menschen kümmern zu müssen, der nichts auf die Reihe bekommt. Und wieder wird das
schnelle Auto zur Metapher für einen möglichen Neu-Anfang, wenn auch diesmal
nicht mehr hoffnungsvoll und optimistisch.
Erst 2 Jahre nach der Veröffentlichung von 'Fast Car' kommt
Luke Combs zur Welt. Trotzdem bezeichnet er den Titel heute noch als eines seiner
Lieblingslieder.
"Ich erinnere mich, dass ich den Song im Auto meines Vaters gehört hatte,
als ich vielleicht 4 Jahre alt war", sagt er im Interview mit
musicmayhemmagazine.com.
"Er hatte eine Kassette [mit dem Album] in diesem alten, braunen F-150 Top
Camper. Es war mein erstes Lieblingslied."
Und betont im Interview mit smoothradio.com: "Es war immer eines meiner Lieblingslieder. Ich spielte es, während ich auf's College ging und mit Freunden und ... 2020 machten wir schließlich ein Video damit. Es ist so ein wichtiger Teil meines Lebens, [dass wir uns fragten] warum eigentlich nicht überhaupt eine offizielle Version daraus machen?"
Als Luke Combs am 24. März 2023 sein viertes Studio-Album "Gettin' Old" veröffentlichte, enthielt es mit 'Fast Car' erstmals in seiner Karriere einen Cover Song. Allerdings war der Song nicht als Single-Kandidat geplant. Vielmehr wurde die traditionelle Liebesballade 'Love You Anyway' als erste Single ausgewählt.
Aber schon nach kurzer Zeit war die Nachfrage zu 'Fast Car' so groß, dass es viele Radio Stationen eigenständig in ihre Playlisten aufnahmen und der Song ohne offizielle Promotion die Radio Charts hinaufzuklettern begann. Als das Label Ende Mai 2023 dann mit der offiziellen Promotion startete, saß der Titel bereits auf Platz 12 der Radio (Billboard Country Airplay) Charts.
Nach nur unglaublichen 11 Wochen stand 'Fast Car' Anfang Juli 2023 dann als 15.
Nummer-1 Hit von Luke Combs an der Spitze der Radio Charts (und hatte dabei die offizielle Single 'Love You Anyway' überholt, die aktuell eben erst die Top-10 erreicht hat). Und tut das nun schon die dritte Woche. Aber nicht
nur das, denn fast zur gleichen Zeit wurde der Song auch zum Pop-Hit und stand Anfang Juli 2023 für 2 Wochen auf Platz 2 der
Billboard Hot 100 Pop Charts. Was ihn zu einem größerer Hit macht, als für die
Songschreiberin des Liedes 1988, die mit der Single nur bis auf Platz
6 kam.
Das macht 'Fast Car' schon heute zu dem Überraschungshit des Jahres
2023! Denn dass ein Cover-Song in praktisch der Originalfassung (selbst die
Textzeile über den Job als Kassiererin im Supermarkt übernimmt Luke
Combs unverändert) und fast ohne offizielle Promotion es zum zweitbeliebtesten
Song in Amerika schaffen würde, darauf hätte zu Jahresbeginn wohl niemand zu
wetten gewagt.
Grundsätzlich gibt es rechtlich keine Notwendigkeit, um Genehmigung für die Neuaufnahme eines Liedes zu ersuchen. Diese Zustimmung wird automatisch durch die dadurch ausgelösten Tantiemen abgegolten (Billboard Magazine schätzt übrigens, dass Luke Combs mit seiner Version bis dato rund 500.000 Dollar an Tantiemen für Tracy Chapman eingespielt hat).
Trotzdem verweist Luke Combs im Interview mit YouTuber Grady Smith auf strenge Lizenzbestimmungen: "Ich darf kein Musik-Video zum Song machen und durfte auch keine Werbung vor der Veröffentlichng des Albums dafür machen, dass das Lied darauf enthalten sein würde. Auch dürfte ich es nicht für einen Film oder eine Fernsehserie freigeben."
Inzwischen hat sich Tracy Chapman, die so gut wie keine Interviews mehr gibt, auch offiziell zum Erfolg ihres Liedes zu Wort gemeldet: "Ich hätte nie erwartet, mich in den Country Charts zu finden. Aber ich fühle mich geehrt und freue mich für Luke Combs und seinen Erfolg damit."
Ein Erfolg, der anderen Cover-Versionen des gleichen Songs über die letzten 20 Jahre nicht vergönnt war. Und daher wohl ungleich mehr neue Fans für das Lied gewonnen hat. Auch wenn vielleicht nicht alle davon wissen werden, dass es von der schwarzen Sängerin Tracy Chapman geschrieben und vermutlich nur durch ein technisches Problem 1988 weltbekannt wurde.
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