2024: an der Kreuzung von Pop und Country

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"2024 demonstrierten Pop-Künstler ihr Liebe für Country Music, und die Wählerschaft der Grammy Awards honorierte das. Pop und R&B Stars dominierten die Country Grammy Nominierungen, darunter Beyoncé, die als einzige Künstlerin eine Nominierung in allen 4 Country Kategorien erhielt." (Melinda Newman / billboard.com, 8. November 2024)

Sonntags-Ausfahrt

"Ich brauchte Aufmunterung, als ich diesen Song schrieb. Ich denke, es ist sehr einfach, auf die schlechten Dinge zu fokussieren, wenn es einem nicht gut geht. Du kannst dich entscheiden, einen beschissenen Tag zu haben oder du kannst dich entscheiden, einen guten Tag zu haben. Es lag an mir, meine Wahrnehmung von der Welt zu ändern."
(Brett Eldredge / genius.com, Juni 2020)
Mit 8 Top-5 Hits (davon 5 Nummer-1) seit 2012 ist Brett Eldredge kommerziell alles andere als erfolglos! Aber am Ende geht es eben nicht nur um den kommerziellen Erfolg, besonders dann, wenn persönliche Themen dabei auf der Strecke bleiben. So tauchte der heute 34-jährige Junggeselle Anfang 2019 ab und kappte die Social Media Kanäle, denen er sich zuvor sehr intensiv gewidmet hatte. "Ich wollte nicht mehr, dass es mein ganzes Leben bestimmt", beschrieb er den Auslöser gegenüber der Chicago Sun Times.

Und Billboard Magazine zitierte ihn: "Ich wurde es müde, immer zu versuchen, ein perfektes Leben zu führen. Ich wollte wieder die Unvollkommenheit finden und deshalb entschloss ich mich dazu." Es folgten Monate des In-sich-Gehens in denen er das Meditieren entdeckte und die Pläne für seine nächsten Karriere-Schritte reifen ließ. Es war wie ein dunkler Tunnel, an dessen Ende ein wieder mehr in sich ruhender Brett Eldredge zurück ins Licht kehren wollte.

Dabei sollten ihm die beiden Produzenten Ian Fitchuck und Daniel Tashian helfen. Immerhin zeichneten die beiden für das mit einem Grammy Award als bestes Album des Jahres 2019 ausgezeichnete Projekt "Golden Hour" von Kacey Musgraves verantwortlich. Aber Ian Fitchuck war zu Beginn mehr als skeptisch, wie er gegenüber Rolling Stone Country die ersten Gespräche beschrieb: "Ich erwartete, dass die Corporate Manager zu uns sagen würden: diese Songs hier müssen wir aufnehmen, bei den restlichen könnt ihr euch austoben! Ganz ehrlich, das interessierte mich nicht."

Doch den Umschwung brachte der Moment, als er die Demo-Aufnahme von Brett Eldredge mit dem Song 'Sunday Drive' zu hören bekam. "Dieser Song packte mich. Auch wenn die Worte authentisch und ehrlich so achtlos und häufig verwendet werden, spürte ich, dass [Eldredge] es genauso meinte." Und ergänzend: "Er wollte wirklich wissen, wie seine weitere Karriere aussehen könnte. In dem Moment wusste ich, dass wir es machen mussten."

Es folgten Wochen der Findung und des Neubeginns. Keine ausgetretenen Pfade sollten begangen werden. So kehrte das gesamte Team zu den Wurzeln von Brett Eldredge zurück. Nämlich in den kleinen Ort Paris im Bundesstaat Illinois, in dem dieser aufgwachsen war. "Ich wollte, dass die Musik, die gesamte Aura des Projektes für diese Gegend steht, aus der ich komme", betonte Brett Eldredge in einem Interview mit thinkcountrymusic.com.

Unweit von Chicago fanden sie ein kleines Studio, wo sie begannen, die Vision des Projektes umzusetzen: "Ich brauchte einen Ort, der mich inspirierte, mir aber auch das Gefühl gab, auf mich alleine gestellt zu sein. Bereit, etwas zu schaffen, das ich noch nie zuvor geschaffen hatte. Und ich glaube das ist uns gelungen."

Am 10. Juli 2020 stellte Brett Eldredge schließlich das Ergebnis dieser Arbeiten vor. 12 Songs beinhaltet das Album, auf dessen Cover-Foto sein Großvater und dessen Cousin als Jugendliche zu sehen sind, bereit für das, was das Leben ihnen bringen mochte. Es ist ein erwachsenes Werk, ein anspruchsvolles und tiefgehendes, für das man sich Zeit nehmen sollte, gleichzeitig aber auch gefasst darauf sein sollte, dass es einen berührt.



Bei 11 der Songs war Brett Eldredge als Autor beteiligt, lediglich der titelgebende Song, stammt nicht von ihm. Trotzdem fügt er sich als Herzstück nahtlos in das gesamte Projekt, trägt er doch eine eigene Geschichte, die ihn mit dem Künstler verbindet. Mehr als 10 Jahren ist es her, dass dieser als Praktikant im Verlagshaus von Universal Music tätig war. Noch gab es keinen Plattenvertrag und so war es vorerst sein Job, Songs zu digitalisieren. Dabei bekam er eines Tages auch 'Sunday Drive' von Barry Dean, Don Mescall und Steve Robson zu hören.

"Ich hoffte, dass ich mir eines Tages mit meiner Musik einen Namen machen und dass ich dann diesen Song aufnehmen würde können." Obwohl er schließlich seine eigenen Hits landete, schien die Zeit noch nicht reif dafür zu sein. "Ich musste erst bereit sein, für diesen Song. Wenn ich heute zurück schaue, dann brauchte ich einige Alben dafür - und das aktuelle Projekt ist nun endlich das Richtige."

Der Song ist so berührend, dass Brett Eldredge während der Aufnahme, seine Fassung verlor. "Ich musste mich vom Mikrofon wegdrehen, aber Ian [Fitchuck am Piano] spielte einfach weiter", beschrieb er Rolling Stone Country den emotionalen Aufnahmenprozess. "Ich musste mich zusammenreißen, um die letzte Strophe noch singen zu können. Und das war dann die offizielle Version. Das hat mich so getroffen und gleichzeitig so stark gemacht, wie ich mich noch nie im Studio gefühlt habe."

In der Tat geht die Geschichte, die 'Sunday Drive' erzählt, unter die Haut. Denn sie beschreibt nicht einfach nur die Sonntags-Ausfahrt der Familie mit dem Auto, sondern sie geht viel tiefer. Sie vermittelt die großen Kinderaugen auf den Rücksitzen, die voller Neugier in eine Welt blicken, welche draußen am Autofenster vorbei zieht, aber gleichzeitig die Geborgenheit, die die Eltern auf den Vordersitzen sicherstellen.

Wir kletterten auf die Rücksitze,
die Blicke gerichtet auf das Kino da draußen.
Ich denke, wir haben es nicht so recht verstanden,
kann mich erinnern, sie da vorne zu sehen,
Hände, die sich berühren, kaum wahrzunehmen.

Ohne es zu wissen, wird das elterliche Auto zum Ort, an dem die Kinder wichtige Dinge über das Leben lernen. Zum Beispiel, dass die kleinen Dinge wichtig sind, aber auch dass das Leben voller nicht immer gewollter Überraschungen ist.

Es sind die einfachen Dinge, die zählen,
dort habe ich es von ihnen gelernt.
Zu streiten, zu lieben und wieder zu lachen,
dabei dachte ich nur, wir vertreiben uns die Zeit.

Es sind diese glücklichen Momente, in denen die Zeit stehenzubleiben scheint und dann doch so schnell entglitten ist.

Die Sonne wärmt deine Seele wie ein alter Freund.
Wir singen Lieder, während wir das Band der Straße entlang fahren,
und alle die wir lieben, sind uns so nahe.
Niemals denkt man daran, dass man auch alt wird,
nein, niemals wird man alt.

Aber wer vermag die Zeit aufzuhalten? Und so tauchen solche Momente erst dann wieder aus Erinnerungen auf, wenn man sich der Vergangenheit bewusst wird. Momente, in denen der Kreislauf des Lebens uns die Sitzplätze tauschen lässt. Und nichts bleibt, wie es war.

Ich half ihnen auf den Rücksitz.
Vater lachte nur und sagte: "Sohn, fahr nicht zu schnell,
deine Mutter wird jetzt schnell müde."
Nach einigen Meilen schien es,
dass sie einige Orte wiedererkannten
und ich hörte ihnen zu, als sie darin schwelgten,
in einer Welt, die sie kannten und die sich so verändert,
die wohl nie wieder dieselbe sein wird.
Im Rückspiegel sah ich,
wie sie ihre Hände hielten und lächelten.



Das Klavier begleitet nicht nur diesen so berührenden Song, sondern legt auch den musikalisch-roten Faden durch das restliche Album. Damit hat es mehr mit einem Singer-Songwriter Werk gemein, als mit einem kommerziellen Country Album. Lediglich das nostalgisch-unbeschwerte 'Magnolia' klingt wie ein Titel, dem man ungeschaut Country Radio Potential zuschreiben muss. Trotzdem bleibt auch er nicht oberflächlich, sondern greift die Vergänglichkeit als ein wiederkehrendes Thema des Albums auf.

Es ist so schade, dass du erwachsen wirst, wenn du aufwächst,
denn all die Meilen und die Jahre nehmen ein Stück von dir mit,
und alles verliert sich wohl mit der Zeit.
Aber das heißt nicht, dass ich nicht in Gedanken wieder dort bin.

Der Unberechenbarkeit des Lebens nimmt sich Brett Eldredge in 'Then You Do' an. In den unerwartetsten Situationen findet sich eine große Liebe. Aber gerade als das Happy End greifbar wird, geht sie - und reißt eine Welt auseinander. "Trotzdem musst du ins Leben hinaus. So ist das Leben. Es sind die Auf und Ab's, denen du begegnen musst", sagt er auf applemusic über den Song.

Auch in 'When I Die' sinniert er über die Vergänglichkeit und das Leben im Jetzt, gibt dem tiefen Thema aber ein Augenzwinkern, wenn er sich im Refrain wünscht, seine sterblichen Überreste als Feuerwerk in den Himmel zu schießen.


'Good Day' beginnt mit den Worten:
Ich denke, ich beginne meinen Tag mit Sinatra
und lasse [seine] blauen Augen zu mir sprechen.
Das Lied ist eine Anmerkung dazu, dass es an uns liegt, ob wir einen guten Tag erleben oder nicht. "Ich habe darüber nachgedacht, dass wir vergessen zu leben, wenn wir uns in den kleinen Ängsten und Sorgen des Lebens verlieren", betont er im Gespräch mit Rolling Stone Country. "Und irgendwann wird dir bewusst, dass von dir nichts bleibt, als deine Geschichten und Menschen, die du geliebt hast."

Zurück blickt er auch in der ersten Single aus dem Album, der Midtempo-Ballade 'Gabrielle'. Sie erzählt von einer Beziehung, von der nur die Erinnerung geblieben ist. Und die nostalgischen Gedanken darüber, wo im Leben sich nun diese andere Person befindet und was hätte sein können, ganz ohne Verbitterung. "Es handelt von einer realen Situation in meinem Leben, aber ich verrate nicht, ob ihr Name wirklich Gabrielle war", erzählt der Künstler theboot.com. Nach 12 Wochen befindet sich die Single mit dem musikalisch etwas schwerfälligen Titel auf Platz 43 in den Radio (Billboard Country Airplay) Charts.



In Berlin entstanden sind die Anfänge des positiv-bestärkenden Liedes 'The One You Need', über den Brett Eldredge sagt: "Ich habe immer versucht, Lieder, die von Herzen kommen, zu schreiben. Und irgendetwas bei diesem hat mich besonders angesprochen. Der Gedanke, in schweren Zeiten für jemanden da zu sein, der Fels in der Brandung zu sein, das waren neue Überlegungen für mich."

So ehrlich und verletztlich, wie sich Brett Eldredge in diesem anspruchsvollen Album offenbart, so beendet er es auch. 'Paris Illinois' ist das 'New York, New York' (seines großen Vorbildes Frank Sinatra) über seine Heimatstadt. Ein kleiner Ort, dessen Beschreibung selbst im Lied nach 1 1/2 Minuten Text abgehandelt ist. Da gibt es nichts, was man künstlich aufpauschen müsste. Bis zuletzt bleibt Brett Eldredge dem Motto des Projektes treu: ehrlich und von Herzen kommend.



Was sehen wir, wenn wir in den Spiegel schauen?, heißt es in der ersten Strophe von 'Where the Heart Is', der Song mit dem das Album beginnt und der den roten Faden (oder wie Brett Eldredge es nennt: den Herzschlag) für das Projekt liefert. Wir sehen dort nicht nur einen Künstler, der innerlich gereift ist, sondern auch jemanden, der über seine Erfahrungen mit dem Leben nachdenkt und uns damit so manchen Anstoß geben kann, selbst einen Blick in den Spiegel zu werfen.

Soundslikenashville.com bezeichnet das Album "Sunday Drive" nicht so sehr als Romanze des Herzens, mit der man die Musik von Brett Eldredge bisher verknüpft hat, sondern vielmehr als eine Romanze der Seele. Und das trifft es wohl ziemlich gut!

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