Tagebuch einer Songschreiberin
Als Hurrikane Helene am Abend des 26. September 2024 in Florida auf Land traf, musste man ihn auf Kategorie 4 hochstufen. Mit Windspitzen von bis zu 220 km/h zog der Sturm in den folgenden Tagen primär über die Bundesstaaten Florida, Georgia, South Carolina und North Carolina. Die dabei sinnflutartigen Regenfälle führten zu katastrophalen Überschwemmungen, geschätzen Schäden in der Höhe von 88 Milliarden US-Dollar und zu über 230 Todesopfern. Im Zentrum der Spur der Verwüstung lag unter anderem die 95.000 Einwohner zählende Stadt Asheville in North Carolina.
Genau ein Monat später, am 25. Oktober 2024, veröffentlicht Lanie Gardner auf Broken Bow Records das Album mit dem Titel "A Songwriter's Diary". Es ist das Debüt-Album der 25-jährigen Künstlerin, die rund 60 km nördlich von Asheville, im winzigen Ort Burnsville aufgewachsen ist. Inzwischen in Nashville beheimatet, spielt ihr Heimatort eine wichtige Rolle im Thema des Albums.
"Sich bewusst zu sein, woher man kommt und die Erfahrungen, die man dabei gemacht hat, gute aber auch schlechte, machen einen zu dem [Menschen] der man heute ist", sagt Lanie Gardner im Interview mit sweetyhigh.com. "Sich damit auseinanderzusetzen und mit dem Wissen über einen selbst, kann man versuchen, das zu ändern, was einem am Leben oder einem selbst nicht gefällt. Eine solche Reise kann zwar Angst machen, aber sie ist auch schön und sehr lohnenswert."
Genau diese Auseinandersetzung mit ihren Wurzeln in einem kleinen Ort irgendwo in North Carolina und den Herausforderungen eines (Künstler-)Lebens in der großen Stadt, beschreibt sie im ersten Song 'Somewhere, Nowhere In Carolina':
Es gab eine Zeit, da hat der Klang dieser Saiten,
"Ich war enttäuscht und wollte nichts mehr, als wieder irgendwo zu Hause und nirgendwo in meiner Karriere sein", ergänzt sie im Interview über die Emotionen, aus denen der Song heraus entstanden ist. "Heute schreibe ich Lieder für meine Fans, meine Freunde und meine Familie, die mir alle in schweren Zeiten geholfen haben. An jenem Tag aber schrieb ich einen Song nur für mich."
Stilistisch präsentiert sich nicht nur dieser Song, sondern auch mehrheitlich
das weitere Projekt passend zum Titel des Albums ein wenig so, wie man sich
das Projekt einer Songschreiberin wohl vorstellt. Es ist eine nachdenkliche
Zurückgezogenheit, die einen damit auffordert, sich auf die Texte und die
Feinheiten von Produktion und Stimme der Künstlerin einzulassen.
"Ich wollte die Ursprünglichkeit und Ausgeglichenheit der Appalachen Berge und ihrer Instrumente vermitteln, mit denen ich das Glück hatte, aufzuwachsen", betont Lanie Gardner. Bewusst verzichtet sie also etwa auf die dramatisch-hämmernde Percussion von 'Blood Mountain' oder die treibenden Gitarren von 'Daughter of a Gun' aus dem vergangenen Jahr (2023).
Lediglich die spirituelle Reise von 'Lord Knows' greift auf eine mächtigere Produktion zurück und betont damit die Intensität von Hoffnung und Selbstfindung. Auch das bluesige 'Cry' sticht hervor. Nicht zuletzt durch die enttäuschte Liebe, die sich einen anderen Partner gefunden hat und für die es nur in der ersten Strophe ein paar schöne Gedanken gibt. Denn danach bricht die Emotionalität der Enttäuschung so richtig hervor:
Besonders persönlich wird es mit 'Letters To Home', mit dem Lanie Gardner ihren Eltern versichern möchte, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Und dass es ihr trotz aller Schwierigkeiten, im Leben erfolgreich zu sein, gut gehe.
Auf mystischere Art und Weise verarbeit Lanie Gardner das Thema des Erwachsenwerdens und in die Welt Hinausgehens nocheinmal im abschließenden 'Neon Notions'. Minimalistisch und authentisch erzählt sie die Geschichte, die mit Sicherheit auch ein wenig ihre eigene ist.
"A Songwriter's Diary" ist so viel stiller und nachdenklicher, als man es nach den bisherigen Veröffentlichungen von Lanie Gardner vermutlich erwarten würde. Es ist ein außergewöhnliches Album mit 10 persönlichen Themen, die -heutzutage geradezu unüblich- alle ohne Mithilfe und aus der alleinigen Feder von ihr selbst stammen. Es ist gleichzeitig ein Projekt mit vielen Feinheiten. Und es die Art von Tagebuch, mit denen sich Songschreiber eben viel besser artikulieren können.
Denn wie sagt sie so treffend:
"Poesie aus Worten, verbunden mit Rythmen und einer Melodie - so drücken
wir uns aus und so verarbeiten wir die Dinge. Ich glaube, man wird damit
geboren, wenn man die Fähigkeit hat, musikalische Verbindungen zu schaffen
und die Musik in uns allen zu verstehen."
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