Reboot II

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"Das spannende war, dass es uns nicht darum ging, die ursprünglichen Aufnahmen oder Arrangements, oder unsere eigenen Visionen umzusetzen. Wir gaben ihnen die Freiheit, unsere Songs mit ihren eigenen künstlerischen Visionen aufzunehmen." (Ronnie Dunn [Brooks & Dunn] / billboard.com, 16. September 2024)

Vom Leben eines Gitarren-Helden

"Vielleicht ist es die Erkenntnis, dass Musik zwar ein erfüllendes und kreatives Ventil sein kann, aber auch, dass sie dir nicht Gute Nacht sagt, wenn der Mond in den Himmel aufsteigt. Zwar sind sie oft ein gleichwertig dynamisches Duo, aber manchmal ist die Musik der Herr und der Künstler nur der Diener, und [der Song] 'The Guitar Slinger' beschreibt diese Beziehung meisterhaft."
(Shelia Taylor / amplifythenoise.com, 30. April 2023)

Ab einem bestimmten Punkt in ihrer Karriere haben erfolgreiche Künstler keine Wahl mehr, sondern sie müssen ihr Leben auch in der Öffentlichkeit führen. Obwohl es in vielen Fällen gar nicht die primäre Zielsetzung, sondern nur ein Nebeneffekt ihres eigentlichen Zieles war. Noch herausfordernder wird es für Musiker, die ständig unterwegs sein müssen, wenn sie ihr Publikum auch persönlich erreichen wollen. Besonders dann, wenn es in Zeiten des wenig lukrativen Streamings auch eine nicht zu unterschätzende Einkommensquelle ist.

Doch nicht jeder ist im Stande damit so gut umzugehen, wie etwa ein Willie Nelson, der auch mit 90 Jahren noch aktiv unterwegs ist und nie ein Hehl daraus gemacht hat, dass er sich auf Tour am wohlsten fühlt. Denn vielen fällt es nachvollziehbar schwer, wenn es keinen festen Ruhepol mehr im Leben gibt und das Leben nur mehr aus einem kräfteraubenden Umherziehen von einem Veranstaltungsort zum nächsten besteht. Es sind dann die wenig glitzernden Stunden zwischen den funkelnden Auftritten, die dem Publikum verborgen bleiben und für den Künstler zur Herausforderung werden.

Kein Wunder also, dass sich unzählige Künstler mit diesem Thema in ihrer Musik schon auseinandergesetzt haben. So mancher dieser Titel wurde auch zum Hit, andere wiederum blieben als Deep Cuts kaum gehört. Gemeinsam ist ihnen allen das Grundthema Life on the Road, auch wenn sich die Blickwinkel immer ein wenig unterscheiden.

So beschreibt Willie Nelson in einem seiner größten Hits in geradezu idealisierter Sichtweise seine Einstellung zum Leben auf Tournee. Er tut es auf eine Art und Weise, die es einem im ersten Moment schwer macht, diese Begeisterung für bare Münze zu nehmen. Aber wenn man weiß, dass der offizielle Name seiner Begleitband Family ist, dann ist das schon ein Hinweis darauf, dass es ihm damit vielleicht doch recht ernst gemeint ist:

Kann es nicht erwarten, wieder unterwegs zu sein,
das Leben, das ich liebe, ist Musik zu machen mit Freunden,
an Orte kommen, wo ich noch nie war,
Dinge sehen, die ich vielleicht nie wieder sehen werde.
(On The Road Again / Willie Nelson [1980])

Ganz anders hingegen vermittelt Jon Bon Jovi seine Eindrücke vom Tournee-Leben. Bei ihm klingt es nach nichts anderem als Einsamkeit und Enttäuschung, wenn er singt:

Manchmal kann ich schlafen, dann wieder tagelang nicht.
Die Menschen, die ich treffe, gehen immer ihre eigenen Wege.
Manchmal erkennst du den Tag an der Flasche, die du trinkst
und manchmal wenn du alleine bist, dann denkst du nur,
ich bin ein Cowboy ...
(Wanted Dead Or Alive / Richie Sambora, Jon Bon Jovi [1986])

Manche Künstler flechten noch mehr Details ein, indem sie einen konkreten Ort beschreiben und die Atmosphäre, die sie erleben, wenn sie unterwegs sind. So wie es Bob Seger in einem der bekanntesten Songs zum Thema gemacht hat:

Auf einem langen und einsamen Highway, östlich von Omaha,
kannst du dem Motor zuhören, wie er sein eintöniges Lied singt.
Du kannst an die Frau oder das Mädchen aus der letzten Nacht denken,
aber bald wandern die Gedanken wieder, so wie sie es immer tun,
wenn du 16 Stunden unterwegs bist und es nichts zu tun gibt.
Und dabei dir ist gar nicht nach fahren, du wünscht dir nur, die Fahrt wäre schon vorüber.
(Turn The Page / Bob Seger)

Veröffentlicht wurde dieser selbstgeschriebene Song 'Turn The Page' erstmals auf dem heute nicht mehr erhältlichen Album "Back In '72" [1973]. Über die Jahre hinweg wurde der Titel, der auf persönlichen Erfahrungen basiert, zu einem Klassiker und mehrmals gecovert. So machte ihn Waylon Jennings 1985 zum Titelsong seines ersten Albums nach dem Drogenentzug und auch die Band Metallica nahm ihn 1998 auf und hatte einen weltweiten Hit damit.


Ebenfalls mit dem Tournee-Leben befasste sich die Band Sawyer Brown auf ihrer im Dezember 1986 erschienen Single 'Gypsies On Parade'. Geschrieben von Lead Sänger Mark Miller, beginnt auch dieser Song mit einer Ortsreferenz, vermittelt aber gleichzeitig, dass so eine Tour auch bei unangenehmem Winterwetter stattfinden muss (indem der Tourbus der Marke Eagle zum Schlitten umformuliert wird):

Es schneite, als wir aus Charlotte hinausfuhren.
Nun sind wir unterwegs in diesem Eagle-Schlitten, bis wir einen anderen Ort erreichen.
Unser Name ist hell erleuchtet auf den Plakatwänden, in jeder Stadt, in der wir auftreten.
Aber was wir eigentlich nur sind: Zigeuner auf einer Parade.
(Gypsies On Parade / Mark Miller)

Etwas anders geht Kip Moore das Thema auf seinem aktuellen Album "Damn Love" mit dem 6-Minuten Song 'Guitar Slinger' an. Er setzt am Morgen nach dem Auftritt an und stellt vermutlich wiederholt fest, wie sehr anders sein Leben verläuft, als das der übrigen Menschen.

Wieder graut ein Morgen herauf,
es scheint, es ist wieder Schlafenszeit für mich,
und ein alter Farmer füllt [schon] seine [Kaffee]Schale,
während ich erst langsam von letzter Nacht herunterkomme.
(Guitar Slinger / Dan Couch, Kip Moore)
 
 
Zwar sind sie auf der Bühne Stars und oft überdimensionale Helden, danach werden sie jedoch meist rasch wieder nur allzu menschlich und sehen sich mit ihren eigenen Problemen konfrontiert. Eine langhaarige Rockband etwa, wie die von Bob Seger in der Hippie-Ära der 1970er Jahre, erlebte im Alltagsleben viel zu oft nicht die gewünschte Akzeptanz. Ganz besonders in den konservativen Gegenden des Mittelwestens der USA.
 
Und dann betrittst du ein Restaurant, ganz erledigt von der Fahrt,
und du spürst die Blicke aller, während du dich aufwärmst.
Du tust, als würde es dich nicht stören, aber du könntest explodieren.
Meistens kannst du sie nicht reden hören, aber manchmal schon.
All die gleichen alten Klischees: "Ist das eine Frau, ist das ein Mann?"
Und immer bist du in der Unterzahl, also verhältst du dich ruhig.
(Turn The Page / Bob Seger)

Ähnlich beschreibt es Mark Miller rund 10 Jahre später. Auch hier geht es unterschwellig um ein Akzeptanz-Thema, denn die Band Sawyer Brown fand mit ihrem pop-rockigen Sound im Country Genre lange Zeit nur wenig Anerkennung:

Wir halten vor einem Diner [Restaurant], die Leute bleiben stehen und starren.
Du hörst sie sagen, Mann, es ist eine Rock'n'Roll Band,
so wie sie aussehen und wie sie angezogen sind.
(Gypsies On Parade / Mark Miller)

Das zentrale Motiv in den Songs transportiert der Refrain. Es ist die Kernaussage zum Thema des Liedes. Bei Bob Seger ist es der Gedanke an die wiederkehrende Abfolge von Auftritten, fast mechanisch, sich immer wiederholend, ehe die Geschichte wieder von vorne beginnt:

Hier bin ich,
wieder unterwegs,
da bin ich,
auf der Bühne,
dort mache ich
wieder den Star,
dann gehe ich,
einfach umblättern.
(Turn The Page / Bob Seger)

Für Mark Miller geht es mehr um das Mühsal hinter den Kulissen, das keiner da draußen zu sehen bekommt, weil es unter der schillernden Fassade verborgen bleibt. Sogar sie selbst müssen sich diese Erkenntnis erst aneignen:

Zigeuner auf einer Parade, Vagabunden, die es geschafft haben.
Sie wissen nicht, was man ihnen gesagt hat,
über die Diamantringe und die Gewänder, die wir tragen.
Sie wissen nicht, was wir dafür bezahlen, Zigeuner auf einer Parade zu sein.
(Gypsies On Parade / Mark Miller)

Kip Moore ringt in diesen Momenten vielmehr mit sich selbst. Fühlt sich zerrissen zwischen der Leidenschaft für die Musik und der Belastungen, die diese ihm auferlegt. Der Held offenbart seine Verletzlichkeit:

Es ist das Leben eines Gitarren-Helden,
die Tage und Nächte eines Unterhalters,
Hochs und Tiefs eines Sängers mit traurigen Liedern.
Ich bin ein einfacher Mensch, aber es ist kompliziert,
wenn deine Seele brennt und dein Herz sich zerschlissen fühlt.
Und doch beschwere ich mich nicht.
(Guitar Slinger / Dan Couch, Kip Moore)

Natürlich spielt auch das zutiefst menschliche Thema Liebe und Beziehung eine Rolle. Steve Earle widmete auf seinem legendären Album "Guitar Town" [1986] einen ganzen Song ('Little Rock 'n' Roller') nur einem ernüchternden Anruf von unterwegs nach Zuhause, den überraschenderweise bereits sein kleiner Sohn beantwortete, den er noch nie so recht kennengelernt hat: Ich hätte nicht gedacht, dass du das schon kannst, bin ich wirklich schon so lange fort?

Auch Mark Miller beschreibt einen solchen Anruf und den enttäuschenden Versuch, Worte zu finden, wenn die physische Distanz auch zur emotionalen wird:

Dann rufst du Zuhause an, weil du dich einsam fühlst,
und du überlegst, was du sagen könntest.
Aber es scheint, es kommen nur Tränen der Reue,
weil du ein Zigeuner auf einer Parade bist.
(Gypsies On Parade / Mark Miller) 
  
Bei Kip Moore wiederum klingt es nach einer viel zu kurzen, nächtlichen Bekanntschaft, die er schon am nächsten Morgen wieder zurücklassen muß:
 
Ich schließe meine Augen und Stück für Stück
erinnere ich mich an alles, außer ihren Namen.
Die süße Stimme mit südlichem Akzent, sie bittet mich zu bleiben.
Letzte Woche verschmilzt mit gestern. 
 
Ich höre den Diesel Motor anspringen,
das ist mein Wecker, es ist Zeit zum Beladen.
Ich schlurfe hinaus in die Kälte,
versuche die Müdigkeit abzuschütteln,
aber sie steckt mir in den Knochen.
(Guitar Slinger / Dan Couch, Kip Moore)

Bei Bob Seger steht das Bühnenerlebnis im Mittelpunkt und überstrahlt alle anderen Erinnerungen. Erst spät am Abend, nach der Show, werden die Gedanken an sie zur Fußnote dieser einen Leidenschaft:

Da draußen im Scheinwerferlicht, da ist man eine Million Meilen fort,
gibt jeden Funken Energie,
während der Schweiß aus deinem Körper läuft, wie die Musik, die man spielt.
 
Spät abends, wenn man dann wach im Bette liegt,
noch mit den Echos der Verstärker in deinem Kopf,
raucht man die letzte Zigarette des Tages, denkt daran, was sie gesagt hat.
(Turn The Page / Bob Seger)

Kip Moore und Dan Couch beschreiben die Verausgabung noch intensiver. Sie ist nicht mehr nur eine körperliche, sondern sie führt fast bis an den Punkt der totalen Aufgabe. Nur um sich im nächsten Atemzug doch einzugestehen, dass das Feuer zu sehr brennt, um diesen endgültigen Schritt zu machen. Auch wenn am Ende die ernüchternde Erkenntnis bleibt, so vieles andere im Leben dadurch zu versäumen:

Ich sehe, wie sie sich in den Straßen anstellen.
Von mir ist nur mehr eine Hülle über,
Gitarrenklänge hallen in meinem Kopf.
Ich weiß ich bin am Leben, aber ich wandle wie ein Toter.
 
Ich habe schon versucht, es sein zu lassen,
aber die Musik lässt mich nicht gehen.
Unaufhaltsam vergehen die Jahre,
wieder wird ein Tag zur Nacht.
(Guitar Slinger / Dan Couch, Kip Moore)

Im Interview mit americansongwriter.com beschreibt Kip Moore den Kontext: "Du spürst den Druck von so vielen Leuten und die ganze Zeit diese Erwartungen und all das nimmt immer mehr zu und belastet und belastet und belastet dich und dann hast du keinen anderen Garten in deinem Leben gepflegt."

 
Auch Mark Miller beschreibt diese Zerrissenheit und sieht mit jedem Exit-Schild auf dem Highway ein Stück Leben vorbeiziehen, gefangen im Erfolg, den man nicht loslassen will:
 
Zu Hause ist dort, wo das Herz ist, aber das Herz ist niemals zu Hause.
Während ich die weißen Lichter an den Exit-Schildern zähle,
ist es immer nur eine Gitarre die ich halten werde.
 
Aber die Geschichten, die wir erzählen könnten oder die Geschichten, die wir erzählen,
machen es leichter, all die Zeiten, die wir fort sind,
fort von Freunden und Familie, denn
es gibt einfach kein Ende für Zigeuner auf einer Parade.
(Gypsies On Parade / Mark Miller)

So werden Musiker auch weiterhin auf endlosen Straßen unterwegs sein, um ihre Fans zu treffen und sie mit funkelnden Auftritten zu begeistern. Es ist Teil der Faszination für das Publikum, ihre Stars live zu erleben, ebenso wie für die Künstler, die dabei ein Stück von der weiten Welt zu sehen bekommen. Aber dass nicht immer alles Gold ist, was glänzt, davon erzählen die Texte ihrer Lieder, wenn man sich die Zeit nimmt, genau hinzuhören.

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