Sünde am Fluss Haw

Nach 12 Jahren trennte sich Kip Moore im Frühjahr 2024 von seinem Label MCA Nashville, für das er 5 Studio-Alben aufgenommen hatte. Im Herbst des gleichen Jahres präsentierte er mit Virgin Music Group ein Nachfolge-Label. "Ich wollte [ein Team], das den internationalen Markt versteht," betonte der 44-jährige Künstler im Interview mit billboard.com. "Sie haben ihre Leute überall und sie wollen meine internationale Bekanntheit anheizen - etwas, das für die Labels aus Nashville nicht so sehr im Zentrum steht."
Schließlich hatten die letzten Jahre Kip Moore von Amerika über Australien nach Großbritannien und Kontinentaleuropa bis in ausverkaufte Stadien nach Südafrika geführt. Märkte, die noch viel Potential bieten und zu denen er zu gerne auch noch Brasilien oder Mexiko hinzufügen würde.
Als im Herbst 2024 dann 13 Songs für das neue Studio-Album ausgewählt waren, schien das erste Projekt für Virgin Records Group abgeschlossen. Aber das Label plante eine Veröffentlichung erst für Anfang 2025 und ermunterte den Künstler daher, weiter daran zu arbeiten. Als schließlich am 28. Februar 2025 das insgesamt sechste Studio-Album von Kip Moore veröffentlicht wird, beinhaltet es 23 Songs und trägt den Titel "Solitary Tracks".
Billboard.com bezeichnet es als genre-agnostik, aber zumindest der Albumtitel greift die Doppeldeutigkeit auf, die Country gerne in seinen Song-Konstrukten verarbeitet. Denn während der Titelsong von den sich kreuzenden Lebenswegen zweier Einzelgänger erzählt, die nur einsame Spuren (im Schnee oder Sand) hinterlassen, steht das Englische Wort tracks auch für Titel oder Song. Und fasst damit gelungen das zusammen, wofür sich Kip Moore in den letzten Jahren immer mehr einen Namen gemacht hat: nämlich musikalisch seinen eigenen Weg zu gehen.
Auch James Daykin von entertainment-focus.com tut sich schwer, das Projekt einem Genre zuzuordnen. So unterstreicht er das weite Spektrum an Einflüssen, wenn er schreibt: "Mit 'Take What You Can Get' und 'Good Things Never Last' taucht Moore in den Blues und klassischen R&B, wenn er zu seinem Sound groovy Gitarren und soulige Background-Stimmen hinzufügt. Ersterer [Song] ist wohl inspiriert von den Rolling Stones' 'You Can't Always Get What You Want', sowohl klanglich als auch stilistisch, während 'Good Things Never Last' einen Muscle Shoals Sound mit klassischen Rolling Stones und R&B Motown verbindet."
Welche musikalischen Einflüsse man auch immer auf dem Album finden mag, mit seiner unverkennbaren Stimme drückt Kip Moore dem Ergebnis jedenfalls seinen eigenen Stempel auf. Auch inhaltlich hat er sich längst von den simplen Themen seines allerersten Albums aus 2012 gelöst, auf dem es -dem Trend der 2010er Jahre entsprechend- vorwiegend um Pickup-Trucks oder Bier ging. Längst geht es in seinen Songs mehr um ein Verstehen-wollen, wie das Leben funktioniert. Songs, an denen er fast ausnahmslos auch als Songschreiber beteiligt ist.
"Ich werde niemals versuchen, etwas zu schreiben, nur weil ich denke, die Leute wollen das hören, oder mich an einem Sound festhalten, der erfolgreich war," betont Kip Moore bei musicrow.com. "Ich werde auf jedem Album authentisch sein und alles was ich hoffe, ist, dass die Leute ein wenig Trost darin finden können. Dieses Projekt ist eine Reise in sich selbst und ich hoffe, es hilft den Menschen, ihr eigenes Leben zu navigieren. Es geht darum den Mut zu haben, seinen eigenen Gefühlen zu vertrauen und ein Risiko einzugehen, wenn man auch daran glaubt."
So macht sich Kip Moore auf "Solitary Tracks" Gedanken über das Leben. Ein Leben, in dem Erinnerungen, Hoffnung und Zweifel zentrale Rollen spielen, besonders dann wenn uns das Verständnis und der Mut abhanden gekommen sind.
Und so bleibt 'High Hopes' motivierend positiv, auch wenn die zugrundeliegende Erkenntnis eine ernüchternde ist:
Auch 'Livin' Side' beschreibt die unerwartete, positive Wendung in einem verlorenen Leben. Den Moment, an dem es endlich darum geht, wirklich zu leben:
Auch 'Straight Line Boots' befasst sich mit dem Thema des verlorenen Mannes, den die Frau zu retten vermag, während das vetraute Country-Thema von 'Half Full Cup' die Träume von einfachen Menschen aus der Kleinstadt sind. 'Burn' hingegen flüchtet vor dem Irrsinn dieser Welt ins einfache Leben auf dem Land, in der Hoffnung, dass nicht auch dieses niederbrennt.
Das von Kip Moore mit Casey Beathard und Produzent Jaren Johnston geschriebene 'Like Ya Stole It' ist eine Geschichte über die ersten Fahrstunden mit dem Vater, dessen Empfehlungen gleichzeitig Ratschläge für das weitere Leben sind: genieß' die Fahrt und sollten die Zeiten einmal schlecht werden, dann komm zurück nach Hause.
Das epische 'Southern Son' beschreibt die Geschichte des aus dem Süden stammenden Protagonisten, der seine Liebe in Kanada findet und sich wünscht, dass auch sein Sohn im Süden geboren wird:
'Flowers In December' befasst sich mit der Vergänglichkeit und der Zeit, die vielleicht doch so manche Wunde zu heilen vermag, vorausgesetzt, man ist auch bereit, damit abzuschließen: es wird friedlich und ich spüre es um mich, es ist an der Zeit Abschied [von der Vergangenheit] zu nehmen.
Jegliche Illusionen verloren hat nach einer zerbrochenen Beziehung hingegen
'Forever Is A Lie', wenn es sich an hoffnungsvollen Erinnerungen festzuhalten versucht:
Es sind 23 bereichernde Songs mit weitreichenden musikalischen Einflüssen und inhaltlichen Gedanken. Es gibt nur ein ABER. Und dieses ist leider sehr gewichtig, denn es betrifft die Produktion (von Jaren Johnston, gemeinsam mit Kip Moore). Denn speziell die Vocals sind so low-fi gemischt, dass es an manchen Stellen beinahe schwer fällt, den Text zu verstehen. Teilweise klingen die Passagen so verwaschen, dass aus einem s ein f wird und man meint, es wurde Seidenpapier als Filter für die Stimme verwendet. Das schafft für mich unnötige Distanz. Zu schade, dass die Produktion dem Qualitätsstandard der Songs damit nicht gerecht wird.
Subjektiv besser präsentieren sich die Songs, bei denen Jay Joyce ('Love & War') und Oscar Charles ('Take What You Can Get', 'Alley Cat', 'Learning As I Go') mit am Schaltpult gesessen haben. Auch die Solo-Produktion von Kip Moore ('Forever Is A Lie') klingt besser.
Zusammenfassend lässt sich sagen: "Solitary Tracks" kümmert sich nicht um Trends und Vorgaben. Es greift das auf, was Kip Moore als treffend erachtet und ist damit geprägt vom Künstler (aber leider auch vom Produzenten). Gleichzeitig aber auch vom Menschen Kip Moore, der bei The Tennessean sagt: "Ich bin ein selbstbeobachtender Mensch, der immer versucht zu erkennen, wo ich in Bezug auf andere Menschen in der Welt bin. Ich bin nicht motiviert von den extrinsischen Erfolgsfaktoren in dieser Welt. Meine Energie lädt sich auf, indem ich menschliche Verbindungen schaffe, mich um Menschen kümmere und großartige Erlebnisse für sie schaffe."
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